Der Gang zur amerikanischen Botschaft nach Bern führt durch ein mannshohes Gittertor, den Sicherheitscheck und hinunter in einen dunklen Raum. Er endet auf einem harten Stuhl, der sich entlang der Wand neben seinesgleichen reiht. Gegenüber arbeiten Botschaftsmitarbeiter hinter Panzerglas, berichten Besucher, die dort waren. Missbilligende Blicke ernteten diese Menschen von ihrem Gegenüber, wenn sie sagten: «Ich verzichte auf meine Staatsbürgerschaft.» Dann schworen sie, aus freiem Willen in der Botschaft zu sein, und schoben ihren blauen US-Pass unter dem Panzerglas hindurch.

Partner-Inhalte
 
 
 
 
 
 

So einfach geht es, als Auslandamerikaner die Staatsbürgerschaft abzulegen. Immer mehr US-Bürger greifen zu diesem drastischen Schritt. In den ersten drei Monaten dieses Jahres haben laut der US-Steuerbehörde IRS 679 Amerikaner ihren Pass abgegeben. Im Vorjahresquartal waren es 461. Darunter seien viele Amerikaner in der Schweiz, heisst es aus botschaftsnahen Quellen. Sie wollen Ruhe vor der US-Steuerbehörde, die auf der Jagd nach Steuersündern vor keinem Bürger im Ausland haltmacht. Denn die persönlichen Konsequenzen wegen des Steuerkriegs zwischen den Vereinigten Staaten und der Schweiz haben für das Leben vieler Expats hierzulande bizarre Züge angenommen.

So berichtet etwa ein amerikanischer Unternehmensberater in Zürich, dass er bei der Beratung eines Finanzinstituts aufgefordert wurde, das Gebäude zu verlassen, weil die Banker Angst hatten, er sei ein Spion des amerikanischen Justizdepartements. «Ich habe meinen Pass abgegeben, weil ich es mir nicht leisten kann, beruflich eingeschränkt zu sein», erzählt der Mann, der anonym bleiben möchte. Sein Chef habe ihn zwar nicht dazu gezwungen, seine Staatsbürgerschaft abzugeben, aber ihn doch mit «Nachdruck ermuntert».

Auch für andere Betroffene wurde ihre Herkunft zur Hürde. So hat ein Manager aus der Lebensmittelbranche im vergangenen Jahr seinen Job verloren. Zwar habe er keine Beweise, doch für ihn stehe fest, schuld war sein amerikanischer Pass – und das neue Steuergesetz Fatca (Foreign Account Tax Compliance Act), das dem automatischen Informationsaustausch gleichkommt und ab 2014 in Kraft tritt. «Damit bin ich nun unerwünscht und weit weniger wettbewerbsfähig», sagt er. Mitte der 1990er-Jahre kam er in die Schweiz, heiratete eine Schweizerin und gründete eine Familie. Einen neuen Job hat er noch nicht gefunden.

Auch die FBAR-Regulierung (Report of Foreign Bank and Financial Accounts) sorge dafür, dass viele hiesige Firmen keine Amerikaner mehr wollten, sagt Anne Hornung-Soukup, Finanzdirektorin bei der Organisation American Citizens Abroad in Genf. Mit dieser Regelung müssen US-Bürger alle ausländischen Konten mit mehr als 10000 Dollar offenlegen sowie alle ausländischen Bankverbindungen, für die sie zeichnungsberechtigt sind. Diese Regelung führt zu absurden Situationen. Als Zeichnungsberechtigte bei American Citizens Abroad muss Hornung-Soukup die Konten der Organisation angeben. Viele Firmen scheuen davor jedoch zurück. Hornung-Soukup berichtet vom Schatzmeister einer Genfer Kirche, der deshalb sein Amt aufgeben musste.

Querelen mit den Banken

Auch finanzielle Angelegenheiten treiben viele Auslandamerikaner seit einiger Zeit um. Mit der Angst vor der US-Steuerbehörde im Nacken sind «wir für die meisten Banken zur Persona non grata geworden», sagt Amy Webster. Sie lebt seit 30 Jahren in der Romandie, ist mit einem Schweizer verheiratet. Ihren Fall hat sie 2012 publik gemacht, als die damalige Bank Zweiplus das Ehepaar aufforderte, ihr Konto samt Fonds und einem Hypothekarkredit für ihr Ferienhaus zu schliessen. Die Fonds mussten sie mit Verlust verkaufen, für die Refinanzierung der Hypothek eine neue Bank finden. Nur dank der langjährigen Beziehung ihres Mannes zur UBS seien sie dort untergekommen. Doch ohne ihren Mann wollte die Grossbank die Amerikanerin kürzlich nicht mehr bedienen. Auf eine Offertenanfrage für eine neue Hypothek auf ihr Haus in Morges hiess es: «Leider können wir Ihnen aufgrund Ihrer US-Staatsbürgerschaft kein Angebot machen.» Webster fühlt sich in ihrer Freiheit beraubt, alle Bankangelegenheiten laufen mittlerweile über ihren Mann. «Ich habe studiert, gearbeitet und war immer finanziell unabhängig.» Sie überlege sich ernsthaft, auf ihren US-Pass zu verzichten. Lange sei sie stolz gewesen auf ihre Herkunft, habe immer ihre amerikanische Steuererklärung ausgefüllt. Nun erfahre sie nur noch Geringschätzung dafür.

Auch der arbeitslose Manager aus der Lebensmittelindustrie hat kürzlich von seiner Bank Post erhalten – 30 Tage habe er Zeit, der Offenlegung seiner Kontodaten zuzustimmen oder sein Konto zu schliessen. «Mir bleibt nichts anderes übrig, als das Formular auszufüllen», sagt er. Wie sonst solle er seine Rechnungen bezahlen? Viele hatten erst gar nicht diese Möglichkeit, sie wurden von den Banken zur Schliessung gezwungen. So erging es Anne Hornung-Soukup im vergangenen Sommer. Ihre damalige Bank teilte ihr mit, sie könne aufgrund ihrer Herkunft kein Konto mehr bei der Bank führen. Auf ihren Protest hin hiess es, ab 1 Million Franken oder Dollar Einlage könne sie das Konto behalten. «Entweder du hast diese Million, oder du bist draussen.»

Besser betuchte Amerikaner scheinen nicht die gleiche Härte zu erfahren. Ein Investor, der seit Jahren in Zürich lebt, berichtet von einer Schweizer Privatbank, die ihn mit offenen Armen empfangen würde. Dennoch habe er es satt, jährlich mehrere Tausend Franken für seinen Steuerberater auszugeben. Sollte er seinen Pass abgeben, fürchtet er, geschäftlich und privat nicht mehr frei in die USA reisen zu können.

Dass für immer mehr Auslandamerikaner der Zustand untragbar wird, zeigt die hohe Anzahl derer, die den Gang nach Bern machen. Laut Schätzungen der amerikanischen Gemeinschaft haben letztes Jahr 700 bis 900 US-Bürger in der Schweiz ihren Pass abgegeben. Die Botschaft in Bern will diese Zahl nicht kommentieren. Der Unternehmensberater aus Zürich ist jedenfalls froh, den blauen Pass ausgehändigt zu haben. Er ist überzeugt, dass ihm noch viele seiner früheren Landsleute in die Katakomben der Botschaft folgen werden.

Supporters of republican presidential candidate McCain wait for the first results during the US election party in Geneva, Switzerland, Tuesday, November 4, 2008. Every four years on the first Tuesday in November, the Americans of Geneva organize an all night party for those who wish to follow the US Presidential Elections live.

Amerikaner in der Schweiz: 18'000 leben hier

Arbeit
Auch wenn der amerikanische Fiskus ihnen das Leben in der Schweiz schwer macht, lassen sich viele USBürger immer noch hier nieder. Lebten vor 20 Jahren etwa 10000 Amerikaner in der Schweiz, so waren es 2012 über 18000. Fast alle sind wegen der Arbeit hier, und viele bleiben wegen der Liebe. 16000 der in der Schweiz lebenden Amerikaner sind nach offiziellen Schätzungen erwerbstätig. 3000 sind mit einer Schweizerin oder einem Schweizer verheiratet.

Banken
Besonders gefragt sind die Arbeitskräfte aus den Vereinigten Staaten in der Finanzbranche, in der Beratung oder in der Pharmaindustrie. So fanden von den 1091 US-Bürgern, die letztes Jahr neu in die Schweiz zum Arbeiten kamen, 356 bei Banken, Versicherungen und in der Beratung eine Stelle.

Unternehmen
Auch US-Firmen lassen sich hier nieder. Die nach Angestellten in der Schweiz zehn grössten amerikanischen Unternehmen beschäftigen zusammen fast 29000 Mitarbeiter. An der Spitze liegt McDonald’s mit geschätzten 6800 Mitarbeitern. Bei IBM, Johnson & Johnson, Philip Morris International und Procter & Gamble arbeiten zurzeit je über 3000 Angestellte. Bei Synthes und Hewlett-Packard sind es 2900 und 2140 Arbeitkräfte. Auch zu den Top-10-US-Arbeitgebern gehören Mettler-Toledo und Mondelez International mit 1450 (Schätzung) und 1350 Mitarbeitern.