Sein Reichtum ist märchenhaft. Er besitzt fürstliche Anwesen auf mehreren Kontinenten. Wenn es ihm in seiner Prachtvilla am Zürichsee zu langweilig werden sollte, steht für ihn ein Pilotenteam am Flughafen parat. Er zählt zu den Reichsten der BILANZ, und mit Ausnahme der eigenen Bediensteten hat er keinen Kontakt mehr zu Normalverdienern. Sein Kosmos ist die Parallelwelt der Superreichen.

Auf dem Büchertisch seiner Bibliothek liegt neben neuen Auktionskatalogen von Sotheby’s und Christie’s ein dünnes, knallrotes Büchlein. «Reichtum ohne Leistung» ist der Titel, «Die Feudalisierung der Schweiz» der Untertitel. Es ist die knallharte Abrechnung mit den «Geldaristokraten», ein flammendes Plädoyer für eine «Steuer auf hohe Erbschaften», verfasst von Hans Kissling, dem ehemaligen Statistikchef des Kantons Zürich. Für den begüterten Leser in seiner herrschaftlichen Bibliothek ist dies gewiss eine schwer erträgliche Lektüre. Er versteht dabei rasch: Es geht um sein Geld.

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Die Angst geht um unter den Superreichen. Die Rufe nach Gerechtigkeit und mehr Gleichheit werden lauter, die Attacken und Proteste schriller. Politiker entdecken den Geldadel als Wahlkampfthema, und sie lösen für einmal sogar ihre Versprechen mit neuen Reichensteuern ein. Und auch den Bonusmillionären in der Finanzindustrie geht es an den weissen Kragen.

Wieder einmal setzt Amerika den Trend. In der Kapitale des Kapitals ist die Stimmung gekippt. Der kritische Diskurs über die Ursachen der Finanzkrise zerstörte einen Mythos, der die Vereinigten Staaten zusammenhielt – die Idee, dass jeder eine Chance hat, der sich anstrengt. Und verflogen scheint zum ersten Mal die neidlose Grundhaltung der Amerikaner, die schon der Politikwissenschaftler Alexis de Tocqueville vor über 150 Jahren in seinen Schriften beschrieb: Habenichtse, die bewundernd und ohne Groll zu denjenigen aufschauen, die es geschafft haben, weil sie es ihnen gleichtun wollen.

Der New Yorker Nobelpreisträger Joseph Stiglitz, ein leidenschaftlicher Vertreter des linken Flügels der Demokraten, gab dem Protest im Magazin «Vanity Fair» einen Namen. Er schrieb über die Konzentration des Vermögens in den Händen des «einen Prozents».

Eine Strasse, zwei Welten. Die «Occupy Wall Street»-Bewegung hatte nun ihren Schlachtruf: «Wir sind die 99 Prozent!» Die Bewegung erreichte nie eine kritische Masse, aber das Thema war nun in den Köpfen. In der Trinity Church, am westlichen Ende der Wall Street gelegen, kritisierte der Pfarrer in seiner Sonntagspredigt die Gier der Banker und verlangte mehr Solidarität mit den Armen. Mit Pathos und Verve beeindruckte er die Gläubigen, unter ihnen viele aus der Finanzindustrie.

So nah waren sich Wall Street und Main Street schon lange nicht mehr. Der Oscar-prämierte Autor Alex Gibney präsentiert in einem Dokumentarfilm, wie nah und doch fremd die Extreme der Gesellschaft einander sind: «Park Avenue. Geld, Macht und der amerikanische Traum». Mit seiner Kamera fing er das Leben im Luxus-Tower an der Park Avenue Nr. 740 ein, gegenwärtig Ort der höchsten Konzentration von Milliardären in den USA. Aussen sieht man grau livrierte Doormen, die ihren Herrschaften devot die Wagentür öffnen. Von der Upper East Side fuhr Gibney die Park Avenue nordwärts, bis diese nach zehn Autominuten zum Harlem River führt. «Auf der anderen Seite des Flusses sehen wir eine andere Park Avenue», erzählt Gibney, «die South Bronx, Amerikas ärmsten Distrikt.» Hier zeigt er Colin und April Dunkley, wie sie sich in ihrer Suppenküche abmühen, das Essen unter ihren arbeitslosen Gästen gerecht zu verteilen, aber zusehen müssen, wie ihre Töpfe innert fünfzehn Minuten leer sind. «Das machte mich wütend», sagt Gibney. Der Weg nach oben sei für die Armen längst ausser Reichweite.

«Hello, one percent!» Die Debatte ist eröffnet. Das Magazin «The New Yorker» brachte eine Titelstory darüber, wie die Superreichen den Wahlkampf der Republikaner für ihre Interessen einspannten. Nobelpreisträger Paul Krugman studierte Steuerstatistiken und folgerte: «Seit 80 Jahren waren die Steuern für die Reichen noch nie so niedrig wie heute.» Die «New York Times» verfolgte mit Akribie, wie zögerlich Mitt Romney, der Präsidentschaftskandidat der Reichen, seine Multimillionen-Steuererklärung offenlegte und schliesslich eingestand, dass er nur vierzehn Prozent an den Fiskus abliefern musste. Und das «Fortune»-Magazin versuchte mit einer Titelstory die Prügelknaben zu verteidigen – mit einer etwas befangenen Autorin, deren Ehemann Senior-Stratege in Romneys Wahlkampfteam war.

Romney und die Republikaner haben die Debatte radikalisiert. Im Mai, zu Beginn der Kampagne, trafen sich «Titanen der Wall Street» im Bellagio-Hotel in Las Vegas, einer gigantischen luxuriösen Bettenburg mit Pokersälen und Springbrunnenshow. «Hello, one percent!», begrüsste Sarah Palin, die schrille Konservative aus Alaska, ihre Zuhörer im Toskana-Saal, «how y’all doing!»

Im Saal waren jene Finanzmanager und Konzernchefs versammelt, die Nobelpreisträger Joseph Stiglitz in seinem neuen Buch über den «Preis der Ungleichheit» stellvertretend als Prügelknaben einsetzt. «Sie verkörpern all das, was schiefläuft», schreibt Stiglitz. Der reichste Mann im Raum war Leon Cooperman. Der 69-jährige Gründer des Hedge Fund Omega Advisors sieht gar nicht nach Wall Street aus, und im Saal war er wohl der Einzige, der die Armut aus eigenem Erleben kennt. Er ist als Sohn eines Klempners in der South Bronx aufgewachsen. «Er ist der schlechtestgekleidete Milliardär der Welt», sagt ein Kollege.

Tölpelhafte Republikaner. Als Star-Redner Al Gore, einst Vizepräsident in der Regierung Clinton und früher selbst Kandidat der Demokraten für das höchste Amt, ans Pult trat, lief Cooperman zur Hochform auf. «Sie schulden mir einen kleinen Gefallen», rief er Al Gore zu, «ich habe Sie gewählt.» Er überreichte Al Gore einen offenen Brief an Obama. Darin warf er dem Präsidenten vor, er vergrössere mit seiner Rhetorik gegen die Reichen die Kluft in der Gesellschaft. Er, Cooperman, würde höhere Steuern durchaus akzeptieren, aber nur wenn man ihm auch Respekt zolle und die Regierung das Geld nicht verschleudere.

Cooperman traf die Seele seiner Kollegen. Schlagartig solidarisierten sich zahlreiche Hedge-Fund-Grössen und verbreiteten seinen Brandbrief. Der New Yorker Fund Manager Orin Kramer, einer der grössten Geldsammler Obamas, bezeichnete das Ereignis als Aktivierung einer Schläferzelle von Hedge-Fund-Verwaltern gegen Obama.

Cooperman genoss es fortan, seinen stillen, aber erbosten Kollegen eine Stimme zu geben. In Interviews gab er zum Besten, dass ihn an der Diskussion um Romneys moderaten Steuersatz nur eines interessierte: «der Name seines Steuerberaters». Und er demonstrierte, dass Reichtum nicht vor Torheiten schützt. An einer Konferenz des TV-Networks CNBC verglich Cooperman Obamas Aufstieg mit der Machtergreifung Hitlers. Daraufhin bezeichnete seine Ehefrau den Präsidenten als einen «Schmock» – auf Jiddisch ein vulgäres Schimpfwort, das man wohlwollend mit «Trottel» übersetzen mag.

Aber Mitt Romney agierte nicht weniger tölpelhaft. Als er in einer heimlich mitgeschnittenen Rede vor einer geschlossenen Sponsorengesellschaft in Florida unbefangen über die 47 Prozent der Gesellschaft herzog, die von der Regierung abhängig seien, keine Steuern zahlten und ohnehin Barack Obama wählten, da kippte die Stimmung vollends. Diese Hälfte der Nation konnte nun zusehen, wie man sie verachtet.

Dies war der Tiefpunkt der Debatte, nicht nur für Amerika. Aus dem Thema ist ein globaler Konflikt geworden. Ob in Industrienationen oder in aufstrebenden Volkswirtschaften: Die Reichtumskritik beherrscht vielerorts das politische Leben. In Frankreich gipfelte der Entrüstungssturm in einer Cover-Schlagzeile der Zeitung «Libération» gegen Bernard Arnault, den Chef des Luxusgüterkonzerns LVMH und reichsten Mann des Landes: «Casse-toi, riche con!» (Hau doch ab, reicher Idiot!). Es war eine Anspielung auf einen Spruch des Ex-Präsidenten Nicolas Sarkozy gegenüber einem Landwirt, der ihm die Hand nicht reichen wollte: «Hau ab, du armer Idiot!» Der Anlass: Arnault drohte mit dem Wegzug nach Belgien, weil die Regierung Hollande die Steuern für Millionäre auf 75 Prozent anhob.

Einen «Neid-Storm» sieht Roland Tichy, Chefredaktor der «WirtschaftsWoche», auch in Deutschland. Unter dem ehemaligen Finanzmister Peer Steinbrück habe «jene verbissene Jagd auf angebliche Steuerhinterzieher und Schwarzgeldschufte begonnen, bei der man den Eindruck hat, Steuern zahlen sei noch wichtiger als überhaupt Geld zu verdienen und Arbeitsplätze zu schaffen».

Kampfzone Schweiz. In Griechenland erheben geistig verarmte Rechtsextremisten ihre Fäuste, zunächst gegen arme Einwanderer. Jeder zweite Polizist wählte die Faschistenpartei, heute drittstärkste politische Kraft des Landes. Noch verschonen sie die Eliten, die sich in ihre verschlossenen Quartiere zurückgezogen haben.

Die Schweiz hingegen erscheint als Insel der Stabilität. Noch. Die vergangenen Dekaden brachten zwar Erleichterungen für die Reichsten. Im Jahr 1998 wurden die Kapitalsteuern abgeschafft, 2011 erhielten Grossaktionäre milliardenschwere Entlastungen, zum Beispiel durch den steuerfreien Bezug von Kapitalerhöhungsdividenden. Doch der Druck auf das eine Prozent der Gesellschaft wächst auch hierzulande. Statistiker Hans Kissling rechnete 2008 in seinem Büchlein über «Reichtum ohne Leistung» vor, dass innerhalb von 30 Jahren rund 50 Schweizer jeweils mehr als eine Milliarde Franken erben würden.

Kisslings Warnung wurde aufgenommen. Eine Volksinitiative fordert eine Erbschafts- und Schenkungssteuer für Vermögen ab zwei Millionen Franken. Über 95 000 Unterschriften sind bereits gesammelt. Eine Volksinitiative zur Abschaffung der Pauschalbesteuerung ist im November zustande gekommen. Sie betrifft derzeit rund 5000 reiche Ausländer. Und der Kampf von Ständerat Thomas Minder gegen überrissene Managersaläre wird nicht folgenlos bleiben: Ob seine Abzockerinitiative oder der direkte Gegenvorschlag durchkommt – allemal wird dies die Stimmung im Ein-Prozent-Club dämpfen. Die Schweiz ist für die Superreichen nicht mehr das Schlaraffenland.

Der Kampf ist nun auch hier eröffnet, Economiesuisse und Avenir Suisse stellen Millionen für Abwehrkampagnen bereit. Auf die bürgerlichen Parteien können sich die Lobby-Organisationen nicht mehr uneingeschränkt verlassen. SVP-Mann Toni Brunner weiss, was das Volk will: «Wir wollen die Boni-Exzesse unterbinden», sagt er. Und FDP-Präsident Philipp Müller klagt: «Wir werden als Partei der Geldsäcke wahrgenommen.» Eine freisinnige Gruppe aus Olten gründete die Initiative «Freiheit24» mit dem Ziel, «ein ‹unten gegen oben› und ein ‹oben gegen unten›» zu verhindern. «Freiheit braucht Fairness» ist ihre Parole.

Wer wird die Debatte gewinnen: 1 Prozent oder 99 Prozent? «Das reichste Prozent besitzt in diesem Land schon mehr als die 99 restlichen Prozent», verteidigt sich Hans Kissling, «nicht ich bin radikal, die Verhältnisse sind radikal.» Kein Zweifel, sein Thema wird die Reichen weiterhin beschäftigen.