Bereits während meines Studiums beschäftigte mich die Frage, warum wir Mediziner nicht mehr von der Industrie lernen. So wagte ich nach meinem Studium den Berufseinstieg als Ärztin in einer Unternehmensberatung. Inmitten der Covid-19-Krise wechselte ich zurück in die Spitalwelt, denn bekanntlich steckt in jeder Krise eine Chance.

Die Covid-19-Pandemie verdeutlicht die Wichtigkeit der Synergien zwischen der Medizin und anderen Industrien, die einige Spitäler schon im Vorfeld erkannt haben – insbesondere für die Ausbildung der Ärztinnen und Ärzte.

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Beispiel technische Innovationen: In einigen kleineren Spitälern gibt es teilweise keine elektronischen Blutdruckmessgeräte und immer noch Papierakten. Andere Spitäler verzichten aus Kostengründen auf ein EDV-System mit Texterkennung. So müssen Ärzte Diagnoselisten von eingescannten Arztbriefen abtippen.

Das braucht viel Zeit und geht zulasten der Patientenversorgung. Die Unterschiede zwischen den Spitälern bezüglich technischer Ausstattung und Innovationen sind frappant. Am Universitätsspital Zürich (USZ) durfte ich sogar an einer Studie teilnehmen, die Virtual Reality aus der Industrie zur Visualisierung von medizinischen Daten nutzt.

Sayeh Bagheri ist Ärztin am Universitätsspital Zürich. Davor war die 26-Jährige beim Beratungsunternehmen McKinsey tätig.

Beispiel Diversität: Während über 50 Prozent der Medizinstudierenden weiblich sind, bleiben einige (Sub-)Fachdisziplinen immer noch männerdominiert. Zum Beispiel sind in den USA unter fünf Prozent der Ärzte, die minimalinvasive Eingriffe am Herzen durchführen, weiblich. Auch in der Schweiz zeigt sich ein ähnliches Bild. «Gender Diversity» ist in einigen Fachdisziplinen wenig vorhanden.

Aus der Industrie wissen wir jedoch, dass «Gender and Ethnic Diversity» die Performance von Organisationen steigert, wie ein McKinsey-Report von 2020 zeigt. Als Ärztin mit zweifachem Migrationshintergrund erhoffe ich mir, dass ich zahlreiche Medizinstudentinnen für solche Fachdisziplinen begeistern kann.

Beispiel Feedback: In der Medizin verstand man früher unter Feedback negative Kritik. Eine richtige Feedbackkultur mit strukturierten Rückmeldungen habe ich erst in der Unternehmensberatung kennengelernt. Beim Wechsel zurück in die Medizin erlebte ich jedoch den Wandel der Spitalkultur. Trainings zur Förderung von «Speak-up» waren lange nur in der Luftfahrtindustrie bekannt. In meinem Fremdjahr in der Anästhesiologie am USZ erfuhr ich von den Trainingsmethoden, welche für die Airline Swiss entwickelt wurden und nun hier im Spital eingesetzt werden.

«In der Medizin verstand man früher unter Feedback negative Kritik.»

So wird man bereits am ersten Arbeitstag unter anderem durch Lernvideos vom eigenen professionellen Produktionsteam zum «Speak-up» ermutigt. Ausserdem arbeitet das Weiterbildungsteam der Anästhesiologie am USZ an der Förderung einer Feedbackkultur. Die vom Startup PrecisionED AG entwickelte App «prEPAred» fördert Feedback auf einer täglichen Basis. Die App verbindet Elemente aus der Industrie und passt sie auf den hektischen Spitalalltag an.

Zusätzlich zum didaktischen Nutzen bietet die App Anreize durch «Gamification»: Sie erstellt ein Ranking, in dem die Anzahl der Feedbackeinträge gemessen wird. Assistenzärztinnen und -ärzte werden für einzelne Tätigkeiten bezüglich ihrer Selbstständigkeit bewertet. Dies erleichtert den gezielten Einsatz wie auch die massgeschneiderte Weiterbildung von Ärztinnen und Ärzten. Vor allem in Krisenzeiten wie der Covid-19-Pandemie hat sich dies bewährt.

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Ich hoffe, dass in Zukunft mehr Fachdisziplinen und Spitäler Elemente der Industrie nutzen, um die Qualität in der Medizin weiter zu verbessern. Ansätze von aussen tun generell gut und wirken ja auch in die andere Richtung.

Denn die Industrie kann auch von uns Ärzten lernen – insbesondere beim Krisenmanagement und bei der Priorisierung von Notfällen.