Bei diesem Firmenbesuch muss man am Ende des Prozesses beginnen – in einem kleinen, quadratischen Raum mit ein paar Werkbänken aus Holz. Hier, im Atelier für Restaurierungen, arbeitet ein Mikroteam, dessen jüngster Mitarbeiter nicht einmal 30 Jahre alt ist. Und auf der Ablage eines grossen Buffets sticht umgehend ein Häufchen mit Ersatzteilen ins Auge – es würde das Herz vieler Fans zum Vibrieren bringen. Die Teile gehören zu einer der raren Pendules sympathiques von Abraham-Louis Breguet (1747–1823). Pendules sympathiques waren raffinierte Tischuhren, mit denen man seine Taschenuhr mechanisch synchronisieren konnte.  

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Breguet glaubte, dass diese intelligenten Uhren ihn und seine Nachkommen reich machen würden. Er verkaufte aber nur eine Handvoll davon, darunter diejenige, die sich auf dem erwähnten Buffet im Herzen der Marke Breguet im Vallée de Joux befindet. Mitten in einem grossen architektonischen Komplex von 21’000 Quadratmetern, der wie ein Kristall um die Manufaktur Nouvelle Lémania herumgewachsen ist. Zur Erinnerung: Nouvelle Lémania wurde 1999 von Nicolas G. Hayek zusammen mit der Marke Breguet übernommen, um sie zu einem der Vorzeigeobjekte des Bereichs Haute Horlogerie der Swatch Group zu machen.  

Die Pendule sympathique öffnet eine Art Fenster zur Geschichte der Uhrmacherei und zur Geschichte von Abraham-Louis Breguet, einem Leuchtturm der Uhrmacherei. Die Uhr ist das Ebenbild ihres genialen Erfinders, ein Konzentrat aus Technik und Ästhetik: Bimetall-Unruh mit geteiltem Keil, doppelte zylindrische Spiralfeder, Hemmung mit konstanter Kraft. Und ein smarter Mechanismus, der es ermöglicht, eine Taschen- mit der Tischuhr zu verbinden, sie aufzuziehen und automatisch zu verstellen.  

Auf einer Werkbank wiederum ist es eine Taschenuhr, welche die Geschichte von Breguet evoziert. Eine grosse Uhr – kleines neoklassizistisches Monument für die Westentasche. Ein Kunde hat sie abgegeben.  
 

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Der Restaurator führt daran verschiedene Arbeiten durch: Zerlegung, Entfernen der Oxidation, Auffrischung von Dekoration und Anglierung. Dazu gilt es, Spuren vorheriger Restaurierungen ausfindig zu machen und defekte Teile zu erneuern – in diesem Fall den Minutenzeiger, die Achse und den Anschlag der Zeiger. Ziel ist es, den Originalzustand wiederherzustellen, ohne die Spuren der Zeit zu verwischen, unter Einhaltung der Praktiken, die zur Zeit der Herstellung der Uhr im Jahr 1813 galten: Alle Messingteile wurden im Quecksilber-Verfahren vergoldet, die Kadratur, so ein alter Begriff für die Teile des Schlagwerkmechanismus unter dem Zifferblatt, ist aus poliertem Stahl, das originale Zifferblatt aus guillochiertem Silber gefertigt.  

In dieser Werkstatt wurde auch die berühmte Uhr namens Marie-Antoinette nachgebaut, ein Gipfel der Komplexität, deren Original von Abraham-Louis Breguet zwischen 1783 und 1823 angefertigt wurde.  

Nur eine Tür trennt im Gebäude das 18. vom 21. Jahrhundert. Eine Schwelle, die Breguet selbst hätte überschreiten können, ohne völlig aus der Bahn geworfen zu werden. Viele der damals üblichen Handgriffe werden immer noch angewendet, überarbeitet zwar, aktualisiert und optimiert, aber doch nur ein Haar von den Ursprüngen entfernt. Insbesondere die Guillochierung, die Kunst der mechanischen Reproduktion all der geometrischen Muster – Friese, Grains d’Orge oder Clous de Paris –, die das Herzstück des Breguet-Stils bilden. Die erste Uhr mit guillochiertem Zifferblatt stammt von 1786.  

Die Guillochierung hat ihre eigene Geschichte. Es ist eine sehr alte dekorative Kunst, die Archäologen auf die Amphoren der neosumerischen Ära zurückführen. Sie besteht darin, regelmässige Muster auf einen Untergrund zu zeichnen. Diese Kunst wurde im 17. Jahrhundert mechanisch und erlebte im 18. und 19. Jahrhundert ihre Blütezeit. Zunächst in der Juwelierkunst, mit Schmuckstücken, deren Raffinesse uns noch heute verblüfft, etwa auf den berühmten Pierre-Karl-Fabergé-Eiern. Dann eroberte die Guillochierung die Uhrmacherei, angeführt von Abraham-Louis Breguet.  

Als Nicolas G. Hayek die Marke wiederbelebte, war das Guillochieren eine Kunst der Vergangenheit, die nur noch von einer Handvoll Handwerkern gepflegt wurde. Die Hersteller von Guillochiermaschinen hatten seit gut 40 Jahren ihre Produktion eingestellt. Hayek gab den Anstoss zur Wiederbelebung dieser Spezialität, die heute von der Haute Horlogerie zelebriert wird.  

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Das Guillochieren ist eine mechanische Kunst, die jedoch von Hand ausgeführt wird. Die linke Hand dreht eine Kurbel. Der rechte Daumen gibt einem Meissel den jeweils nötigen Druck.  

Es sind, grob gesagt, zwei Typen von Guillochiermaschinen zu unterscheiden. Die bekannteste Art ist die Rundzugmaschine, die in Aussehen und Funktion einer Drehbank gleicht. Mit ihr lassen sich konzentrische Muster machen. Mit einer Gradzugmaschine wiederum lassen sich parallele Linien schneiden oder solche, die strahlenförmig von einem Zentrum ausgehen.  

Das Prinzip ist immer das gleiche: Es gibt eine Rosette oder Nocke, in die ein Relief geschnitten wurde, und einen Greifer – einen «Metallfinger» –, der sich an diesem Relief orientiert und es in eine Dreh- oder Vertikalbewegung umwandelt. Die Qualität des Ergebnisses hängt von der Regelmässigkeit der Arbeit ab und die Regelmässigkeit wiederum von der Erfahrung des Menschen an der Maschine. Alles andere ist eine Frage der Mechanik, einer sehr feinen Mechanik, denn jede Option beeinflusst das Endergebnis, vom Relief der Rosetten bis zur Schärfe des Stichels. Ganz besonders entscheidend ist auch das zu bearbeitende Material: Messing, Gold, Perlmutt – jedes Material hat seine eigenen mechanischen Eigenschaften, die man genau kennen muss, um Verzierungen herzustellen, die so fein sind, dass sie eher einer Oberfläche als einer Gravur ähneln: Die Rillen sind nur drei bis vier Hundertstelmillimeter tief.  

Der Uhrmacher Breguet hatte das Guillochieren zu seinem Markenzeichen gemacht, die Marke Breguet bringt es sozusagen zur Serienreife: Ein grosser Saal ist dieser Technik gewidmet, mit rund 15 Guillocheuren. Und mit Maschinen, die in einer eigenen mechanischen Werkstatt entwickelt wurden.  

In der Haute Horlogerie wird die Guillochierung manchmal durch das Gravieren ergänzt, das von Hand ausgeführt wird: Es braucht zum Beispiel mehrere Wochen Arbeit für die Verzierung der Brücken des Modells Marine Équation Marchante, deren Motiv das Atelierhaus von Breguet aufgreift.  

Die Gravurwerkstatt geht über in ein Atelier, in dem von Hand angliert wird. Mit feinsten Feilen und Polierpasten, vor allem aber mit viel Geduld und viel Erfahrung. Die Angleure bearbeiten alle Komponenten der Spitzenmodelle, allein die Skelettplatine des ultraflachen Tourbillons benötigt 40 Stunden.  

«Man muss das Frequenzspektrum reduzieren, um Harmonie zu erreichen.»

Nach der Fertigstellung geht das Werk dieser Handwerker zurück in die Werkstatt für Komplikationen, wo ein Dutzend spezialisierter Uhrmacher die Zeitmesser zusammenbaut und fertigstellt.  Auch hier wandelt man auf den Spuren Abraham-Louis Breguets, dessen Erfindungen noch immer im Mittelpunkt der Kreationen und Entwicklungen stehen. Das Tourbillon, seine wichtigste Erfindung, nimmt natürlich einen besonderen Platz ein und strahlt auf alle Kollektionen aus. Von der leichtesten Ausführung für eine extraflaches automatisches Tourbillon (0,29 Gramm, 56 Komponenten) bis hin zum imposantesten für das Tourbillon Mystérieux Messidor (0,895 Gramm, 84 Komponenten). Am komplexesten, dies nebenbei, ist das doppelte Satellitentourbillon.

 

Breguet ist auch der Erfinder der Sonnerie-Tonfedern (grob gesagt: gebogene Metallstäbe, die das Uhrwerk umschliessen und von kleinen Hämmern geschlagen werden). Eine Spezialität unter den Spezialitäten: Die Herstellung einer einzigen Uhr mit Sonnerie kann sich über ein Jahr hinziehen. In der Theorie ist es recht einfach, wie der Uhrenexperte erklärt: «Man muss das Frequenzspektrum reduzieren, um Harmonie zu erreichen.» In der Praxis ist die Aufgabe jedoch von einer Komplexität, die jedes Vorstellungsvermögen übersteigt. Um dies zu beweisen, legt der Meister zwei Kaliber auf den Tisch: ein rohes Schlagwerk, wie es der Uhrmacher vom Bearbeitungszentrum erhält, und ein bearbeitetes Schlagwerk, das zum Einpassen bereit ist. Das Auge erkennt den Unterschied nicht, das Ohr sehr wohl: Es klingt ein bisschen wie der Unterschied vom Hämmern auf eine Pfanne und den Klängen einer Stradivari-Geige. Um den Ton zu treffen, verlässt sich der Uhrmacher nur auf sein Ohr und seine Hände. Um die Partitur zu bestätigen, ist das Haus mit einem Akustikingenieur und einem reflexionsarmen Raum ausgestattet.  

Dies sind nur einige der Kompetenzen, die in der Manufaktur vereint sind und die alle Schlüsselberufe umfassen. Von der Grundlagenforschung zu Materialien und Mechanismen über das Labor, wo alle Innovationen validiert werden, bis hin zur Produktion – alles Berufe, die ineinandergreifen wie ein gut geöltes Uhrwerk. Breguet hat 900 Mitarbeitende in der Schweiz, die sich auf drei Standorte verteilen: L’Abbaye und L’Orient im Vallée de Joux und Le Crêt du Locle.  

«2020 war ein sehr kompliziertes Jahr»

Weiter gehts mit dem Besuch – diesmal in der logischen Reihenfolge. Gleich nach dem Empfang kommt ein Raum, aus dem das rhythmische Schlagen der Stanzmaschinen zu hören ist, welche bis zu 15 Tonnen Druck auf ein Werkstück bringen. An dessen Eingang befindet sich das Materiallager mit Stangen und Bändern. Direkt dahinter werden die verschiedenen Stempel aufbewahrt. Einige sind uralt, andere brandneu, hergestellt in eigenen Ateliers – ein wertvoller Schatz, bis zu 10’000 Franken kostet ein einziger Stempel.  

Die zweite Halle ist der computergesteuerten CNC-Bearbeitung gewidmet. Alles ist auf dem neuesten Stand, hier gibt es nur die Crème de la Crème der Sparte, ein Dutzend Maschinen mit Roboterarmen. Einmal in Gang gesetzt, laufen die Arbeitsgänge völlig autonom ab, aber der Mensch bleibt Herrscher, er programmiert, assistiert, überprüft und korrigiert.  

Aus diesem Produktionsapparat mit seiner industriellen Logik entstand ein fast unvernünftiger Produktkatalog: sechs Uhrenfamilien, ein Dutzend Basiskaliber mit mehreren Dutzend Varianten und Komplikationen. Alles ist auf das obere und sehr hohe Preissegment konzentriert, mit seinen jeweiligen Aushängeschildern in den Kategorien neoklassisch (Linie Classique), innovativ (Tradition), feminin (Reine de Naples), tonneauförmig (Héritage) und sportlich (Marine).  

Und wo steht die Marke heute? Die Frage geht an Lionel a Marca, Generaldirektor seit 2021: «2020 war ein sehr kompliziertes Jahr», sagt er, 2021 hingegen «war ein gutes Geschäftsjahr, wir sind mit den Zahlen zufrieden». Das gelte auch für die ersten Monate 2022. Und wie sieht es in Bezug auf die Stückzahlen aus? Antwort: «Die meisten unserer Teile werden von Hand fertiggestellt, was natürlich die Produktionskapazität begrenzt.» Bestseller seien Uhren mit Tourbillon, quer durch die Linien, die Stückzahlen seien je nach Preissegment unterschiedlich, die Basisversion der Reine de Naples gehöre zum Beispiel zu den Bestsellern der Marke. Der durchschnittliche Preis liegt zwischen 36’000 und 38’000 Franken, Breguet hat 32 eigene Boutiquen, weitere sollen eröffnet werden. Die Anzahl der Multimarken-Verkaufsstellen wird nicht kommuniziert. Über den Onlineverkauf werde nachgedacht, so Lionel a Marca weiter, «eine Arbeitsgruppe untersucht die verschiedenen Optionen». Der Secondhand-Markt hingegen sei kein Thema: «Wir sind jedoch auf Auktionen für historische Stücke vertreten.» 

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