Die Kurse von Bitcoin und Ether haben massiv zugelegt. Alle neuen digitalen Währungen weisen zusammen einen Wert von rund 80 Milliarden Dollar auf. Die US-Börse Coinbase verzeichnet täglich 10'000 neue Kunden. Kritiker sprechen von einer gigantischen Blase, Befürworter von einem langfristigen Trend.

Doch Börsenkurse und Spekulationen sind nur eine Seite des Phänomens der neuen Währungen, die auch Tokens genannt werden. Weitab des Lärms von Tradern und Allzeithochs wächst die Branche in der Realwirtschaft mit erstaunlicher Geschwindigkeit. Überall auf der Welt kommt es täglich zur Gründung von Startups. Mittendrin steht oft die Schweiz – und vor allem das sogenannte Crypto Valley rund um Zug. Ein Projekt nach dem anderen startet dort. «Zug – das ist die Crypto-Hauptstadt der Welt», frohlockt ein Investor.

Partner-Inhalte
 
 
 
 
 
 

Alles wird handelbar

Es gibt bereits weit über ein Dutzend grösserer Projekte, die im Crypto Valley Wurzeln geschlagen haben (siehe unten). «Wir werden richtiggehend überflutet mit Anfragen», sagt Luka Müller von der Anwaltskanzlei MME. Diese berät die Projektmacher bei der Finanzierung und Ansiedlung. «Es ist ein Boom.»

Besonders häufig lassen sich in Zug Startups nieder, die mit öffentlichen Blockchains arbeiten. Sie setzen auf das Versprechen der Blockchain-Technologie, wonach digitale Assets auf einfache Weise sicher und effizient übertragen werden können. Ein digitales Asset kann dabei ein Bitcoin sein, aber auch ein Ticket für eine Veranstaltung oder ein Recht, Strom zu beziehen oder Speicherplatz auf einem Server zu nutzen. Was banal klingt, hat Potenzial: Alles wird handelbar. Und Maschinen können autonom und ohne menschliche Kontrolle mit Geld und anderen digitalen Assets umgehen. Besonders für das Internet der Dinge ist das wichtig.

Noch ist das meiste davon Zukunftsmusik, taugliche Massenanwendungen gibt es kaum. So sind einige der Startups erst daran, die nötige Infrastruktur für den alltäglichen Gebrauch der neuen digitalen Assets zu bauen. Andere entwickeln allerdings bereits Apps für die Nutzer. Beispielsweise Messenger mit Überweisungsfunktion, Marktplätze und Finanzdienstleistungen. Spätestens 2018 dürften die ersten Apps live gehen.

Grenzenlose Euphorie

Keine Sorgen müssen sich die Startups um die Finanzierung machen. Dutzende von Millionen Dollar erhalten sie zurzeit jede Woche von risikofreudigen Investoren. Hier kommt Zug ins Spiel: Die eingenommenen Gelder werden oft von einer Stiftung nach Schweizer Recht verwaltet.

«Diese neuen Startups sind extrem global aufgestellt», sagt Müller von MME. So seien die Entwickler oftmals über mehrere Kontinente verteilt. Dank Chatprogrammen sei die Kommunikation kein Problem. Was es aber brauche, sei eine Zentrale, welche die Gelder verwalte und quasi die Oberaufsicht über die Projekte wahrnehme. «Schweizer Stiftungen sind dafür sehr gut geeignet», erklärt Müller.

«Dezentralen Netzwerken fehlt es an Örtlichkeit», heisst es etwa beim Startup Dfinity. «Umso mehr sollte die unterstützende Stiftung deshalb am neutralsten und international am bestvernetzten Ort sein.» Die Schweiz sei aus diesen Gründen eine «offensichtliche Wahl». Stabile Rechtsverhältnisse, aufgeschlossene Regulatoren und attraktive Steuerregimes tun das Übrige dazu.

Über Statistiken verfügen die Behörden von Zug nicht. Aber Bernhard Neidhart, Leiter des Amts für Wirtschaft und Arbeit, sagt: «Das Interesse nimmt zu. Es ist ein klarer Trend.» Neidhart verweist beispielsweise auf den Bitcoin-Verwal-ter Xapo und die Crypto-Wechselstube Shapeshift, die schon länger in der Region ansässig sind. «Es sind nicht nur Stiftungen hier, sondern auch Firmen», sagt Neidhart.

Der ICO-Boom

In den letzten Wochen und Monaten hat sich die Szenerie eindeutig verändert. In hoher Kadenz gelangen Projekte in die Phase, in der sie Investorengelder suchen. Umgangssprachlich spricht die Branche von ICO (Initial Coin Offering) – in Anlehnung an IPO (Initial Public Offering), den Börsengang. Tatsächlich aber werden den Investoren nicht Firmenanteile, sondern Tokens verkauft. Diese digitalen Assets haben je nach Projekt eine andere Funktion. Ether beispielsweise berechtigen dazu, Rechenleistung des dezentralen Computernetzwerks Ethereum zu benutzen. Das Kalkül der Investoren ist stets das gleiche: Ist die zu entwickelnde App oder das zu entwickelnde Blockchain-Protokoll erfolgreich, so dürfte sich auch der Wert des Tokens erhöhen. Die Euphorie ist grenzenlos. Meistens wollen die Investoren deutlich mehr Geld geben, als die Startups benötigen und wollen.

Wegen dem Fundraising-Boom hat die Zahl der Stiftungen gerade im Crypto Valley deutlich zugenommen. Bisweilen bringt das die zuständige Aufsicht an ihre Belastungsgrenzen. Mit Verweis auf Engpässe bei den Behörden hat zuletzt jedenfalls das Blockchain-Projekt Tezos sein Crowdfunding verschoben.

Wenig neue Arbeitsplätze

Zahlreiche Arbeitsplätze bringen die neusten Startups vorerst nicht in die Schweiz. Für die Stiftungsführung und die Administration des Projekts braucht es wenig Personal. Manchmal zügelt der Gründer in die Schweiz, wie Jarrad Hope vom Messenger-Projekt Status. Ins Bild passt, dass Ethereum vor einem Jahr die Entwickler-Aktivitäten in Zug reduzierte und den Standort Berlin stärkte.

Zuletzt häufen sich allerdings gegenteilige Signale. Tezos will in der Schweiz Teile der Softwareentwicklung ansiedeln. Der Portfoliomanager Melonport ist von Grund auf ein Schweizer Projekt. SingularDTV und Cosmos prüfen, Büroräumlichkeiten zu mieten. Und das Ethereum-Unternehmen Consensys mit weltweit immerhin 200 Mitarbeitenden will sich in der Schweiz verstärken.

Ob die neue Branche in diesem Tempo weiterwächst, bleibt abzuwarten. Branchenbeobachter vergleichen die momentane «Wildwest»-Phase gerne mit den neunziger Jahren vor der grossen Dotcom-Blase. Zahlreiche der damals hochgelobten Startups konnten sich nicht behaupten und gingen sang- und klanglos unter, einige wenige überlebten. Das dürfte diesmal nicht anders sein.

Blockchain-Projekte in Zug (Auswahl)

Tezos
Eine neue Blockchain und wie Ethereum eine App-Plattform. Der Fokus liegt auf Sicherheit. Die künftigen Apps sollen dank einfacher Programmiersprache sicherer sein.

Status
Eine Messenger-App. Gleichzeitig können sich die Nutzer digitale Assets überweisen und aus der App können andere Apps aufgerufen werden wie zum Beispiel Tauschbörsen.

Etherisc
Eine Versicherungs-App. Der Kauf und Verkauf von Versicherungen soll einfacher werden, ein Marktplatz für Risiken entstehen, beispielsweise für Flugverspätungen.

Golem
Cloud-Computing für
alle. Nicht benötigte CPU-Leistung kann selbst beim Desktoprechner gegen Entgelt zur Verfügung gestellt werden. Das Versprechen: günstiger als etwa Amazon.

Akasha
Eine Social-Media-App, nur ohne zentrale Firma und ohne zentrale Server. Beiträge können so nicht zensiert werden. Man kann Texte veröffentlichen, teilen und auch bewerten.

Melonport
Plattform für Fondsmanager, auf der Portfolios mit digitalen Assets gehandelt werden. Kosten und Eintrittshürden sind niedriger als in der klassischen Fondswelt.

Dfinity
Eine neue Blockchain und App-Plattform. Das Besondere: Diese Blockchain ist flexibel. Die zugrundeliegenden Regeln sind sofort änderbar, wenn die Nutzer das wollen.

Particl
Ein Marktplatz. Der Fokus liegt auf der dezentralen Kommunikation der Marktteilnehmer. Alles ist verschlüsselt, Daten liegen nirgends auf einem zentralen Server.

Bancor
Protokoll für synthetische digitale Assets. Das Ziel: Für den Kauf und Verkauf des Assets braucht es keine Gegenpartei mehr. Die Preisbestimmung übernimmt ein Programm.

Energy Web Stiftung
Förderung von Blockchain-Protokollen für den Energiesektor. Smart-Grid-Management und autonomer Strombezug von intelligenten Geräten sind die Stichworte.