Via Aurelia 1052, 20 Minuten ausserhalb von Roms Zentrum in Richtung Meer. Hier, in einer Gegend ohne Charme und Schönheit, eingekesselt zwischen Gebrauchtwagenhändlern und Superdiscountern, befindet sich die Herzkammer eines der grössten Uhren- und Schmuckfabrikanten der Welt: das Atelier Haute Joaillerie von Bulgari. Hier entstehen die teuersten, aufwendigsten, exklusivsten Schmuckuhren und Geschmeide, die das Haus zu bieten hat. Lauter Unikate.

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Aussen wird Unscheinbarkeit zelebriert, der Asphalt des Parkplatzes ist rissig, die Fassade schmucklos, die zahlreichen Fenster sind grün foliert, was vor Blicken schützt. Kameras entlang der Fassade des einstöckigen Gebäudes registrieren, was sich draussen tut. Wie von Geisterhand schwingt die Tür auf, als wir uns nähern. Erste Station: Sicherheitsschleuse. Sie öffnet sich erst, nachdem die Aussentür mit leisem Klicken ins Schloss gefallen ist.
 

Goldstaub liegt in der Luft

Der Empfangsraum ist mit hochglänzendem Parkett ausgelegt, opulent möbliert und von einem Kristalllüster beleuchtet. «Buon giorno!», ruft Alessandro Consalvi, klein gewachsen, gepflegter Bart, schwarze Jeans, dunkelblaues Jackett, weisses Hemd unter himbeerfarbenem Pulli, Wildlederschuhe. «Willkommen im Atelier Haute Joaillerie von Bulgari.» Er ist die Stimme dieses verborgenen Ortes.

Mit grosser Handbewegung winkt er in eine weitere Sicherheitsschleuse, lotst dann auf eine mit Motor betriebene Schuhputzmatte – «bitte bleiben Sie ein paar Sekunden darauf stehen». Goldstaub liegt in der Luft, legt sich auf alles, auch die Böden. Was an Schuhen klebt, holen die feinen Bürsten der Matte zurück, «rund 20 Gramm im Jahr». Die Wände des Gangs, durch den Consalvi nun vorauseilt, sind tapeziert mit Fotos von Elizabeth Taylor, zeit ihres Lebens eine der profiliertesten Trägerinnen von Bulgari-Einzelstücken.

Consalvi führt heute durch den Entstehungsprozess einer Bulgari-Schmuckuhr. Erzählt ist dieser schnell: Idee, Entwurf, Prototyp, Schmuckuhr. «Dazwischen vergehen 12 bis 18 Monate», sagt Fabrizio Buonamassa Stigliani, Uhrenchefdesigner von Bulgari.

Reifeprozess: 18 Monate vergingen zwischen der Skizze des Chefdesigners und der fertigen Schmuckuhr, der zweiköpfigen Serpenti.

Edelsteinbesetzte Uhren sind gemäss dem Italiener eine Art Krönung Bulgari’schen Schaffens, «die Verbindung unserer zwei Seelen», sagt Buonamassa Stigliani, «hier paaren wir unser Know-how der Haute Joaillerie mit unserem Know-how der Haute Horlogerie». Die Zeitmesser werden gleich in mehreren hoch spezialisierten Bulgari-Manufakturen in der Schweiz hergestellt: die Uhrwerke in Le Sentier, die Zifferblätter in La Chaux-de-Fonds, die Gehäuse in Saignelégier. In Neuenburg schliesslich werden die Bestandteile zu Uhren zusammengebaut.

Eine der Designikonen des Hauses: Der zweiköpfige Serpenti.

Wiedererkennbarkeit

Buonamassa Stigliani hat eine klare Haltung in Sachen Design. «Man soll auf einen Blick erkennen, dass es sich um eine Schmuckuhr von Bulgari handelt», sagt er. Eine der Designikonen des Hauses ist die Serpenti, die Schlange. Das Reptil prägt seit den vierziger Jahren die Schmuckkollektionen des 1884 gegründeten Familienunternehmens, das seit 2011 LVMH gehört. Die Serpenti gibt es für den Hals, fürs Handgelenk und als Uhr in unzähligen Ausführungen. Für die letztjährige High-Jewellery-Kollektion hat Buonamassa Stigliani eine zweiköpfige Serpenti designt und den Prozess dokumentiert (siehe Bilder). Eineinhalb Jahre Arbeit stecken in diesem Kleinod.

Bulgarie Serpenti Herstellungsprozess

100 Prozent Handarbeit: Bei Bulgari wird jede Uhr per Hand fertiggestellt.

Quelle: Bulgari

Hergestellt wurde es hier in Rom, wo 32 Goldschmiede, Steinschneider und Steinsetzer angestellt sind. Die Goldschmiede sitzen in einem Werkraum dicht an dicht, junge in Sneakers und Hoodies, alte in weissen Arbeitskitteln. iPods schaffen Distanz und Nippes Privatsphäre: Hier wacht eine kleine Madonna über die Arbeit, dort baumelt ein Snoopy von einer Lampe. Geredet wird nicht, nur gesägt, gefeilt, gehämmert. «Jeder hier stellt genau ein Schmuckstück her», sagt Consalvi. Wie viele pro Jahr? «Das ist ganz verschieden», antwortet er. «Wenn ein Stück drei Monate braucht, um fertig zu werden, dann nehmen wir uns diese Zeit.» Produktivität spielt in dieser Preisklasse keine Rolle.

Bulgari Serpenti

Bei Bulgari sind 32 Goldschmiede, Steinschneider und Steinsetzer angestellt. Jeder stellt genau ein Schmuckstück her.

Quelle: Bulgari

Keine Standards, sondern nur Massarbeit

Und Standards gibt es auch keine. Jedes Glied, jede Fassung, jeder Stein, jedes Detail wird für jeweils eine Uhr hergestellt und nur genau einmal. Gerade hat einer eine Serpenti in Arbeit, die Uhr wird im Kopf versteckt werden und der Kopf mit Rubinen aus «privatem Besitz» verziert – eine Special Order. «Un attimo», einen Moment, sagt Consalvi und kehrt wenig später mit dem noch nicht vollendeten Werk zurück: Die Einzelteile – Kopfober- und -unterteil, Armband, Verschluss – sind bereits fertig, übersät mit winzigen Diamanten. Nur die «privaten Rubine», die als Augen der Schlange vorgesehen sind, warten noch darauf, gesetzt zu werden.

Mit den Einzelteilen des Schmuckstücks kleben sie auf einem kleinen Holzbrett, intern «Koffer» genannt. Dass sie kleben, liegt an der doppelseitigen Klebefolie, mit der das Brettchen bespannt ist, auf dass nichts herunterpurzeln oder verrutschen kann. Das Gesamte ist milligrammgenau abgewogen. Am Morgen vor Arbeitsbeginn holt der Goldschmied seinen «Koffer» beim Tresor ab, am Abend liefert er ihn wieder an der Waage ab.

Bulgari Serpenti Herstellung

In Bulgaris Atelier Haute Joaillerie in Rom gibt es keine Standards, sondern nur Massarbeit.

Quelle: Bulgari

Emiliano und Clemente sind die Steinsetzer des Ateliers. Sie arbeiten in einem separaten, zwei auf zwei Meter grossen Kabäuschen ohne Tageslicht. Ihre Arbeit ist ein Seiltanz zwischen Kraft und Gefühl. Emiliano ist gerade dabei, die Halterung für einen linsengrossen Saphir zurechtzufeilen. Clemente setzt mit seinen grossen Händen Brillanten, die nicht viel grösser sind als ein Salzkorn. Er arbeitet via Mikroskop im Kegel einer starken Lampe. Rockmusik knattert aus dem Radio. Emiliano hat zehn Jahre Erfahrung, Clemente 17.

Angst, einen Hochkaräter kaputt zu machen oder einen der Winzlinge zu verlieren, weisen beide von sich. «Es ist noch kein wichtiger Stein kaputt gegangen», sagt Clemente, und Consalvi fügt «touch the iron» an, die italienische Variante von «Holz anfassen». Die Bedeutung von Fehlern ist im Atelier unterschiedlich verteilt. Passieren sie dem Goldschmied, war seine Arbeit umsonst und wird wieder eingeschmolzen. Passieren sie dem Steinschneider, sind die Steine verloren. Macht der Steinsetzer einen Fehler, platzen ganze Schmuckträume.

Der Mann, der hier jedes Einzelteil mehrmals in die Hände bekommt, ist Settimo. Er poliert das Gold vor dem Setting der Steine und danach und am Ende auch die fertigen Schmuckstücke. Eingeigelt in mächtige Bose-Kopfhörer, Mundschutz, Schutzbrille und blaue Plastikhandschuhe, scheint der Mann eins zu sein mit seiner lauten Poliermaschine. Blitzschnell wechselt er die verschiedenen Bürsten aus, blitzschnell sind seine Bewegungen, mit denen er die Goldschmiedearbeiten auf Hochglanz trimmt. Consalvi sagt, er sei einer der besten Polierer der Welt und einer der Stars des Ateliers.

Aufgebot an 20 VIPS

Ob Settimo darüber lächelt oder nicht, ist bei seiner Vermummung nicht auszumachen, er sagt nur: «Ich poliere, seit ich 14 wurde, also seit 30 Jahren.» Dann, wie auf Knopfdruck, schaltet er die Maschine ab, schnellt von seinem Platz hoch, nickt mit seinem kahlen Schädel ein «Arrivederci» und verlässt seine Wirkstatt. Es ist Schlag zwölf Uhr. Mittagszeit. Jetzt steht im Atelier für eine halbe Stunde alles still. Gegessen wird Mitgebrachtes in einem Pausenraum – Restaurants gibt es in dieser verlassenen Gegend nämlich keine.

Im Sommer wurde die High-Jewellery-Kollektion, die in den letzten zwölf Monaten im Römer Atelier entstanden ist, beim sogenannten Brand-Event präsentiert. Zuerst einem erlauchten Kreis von 20 höchst zahlkräftigen Bulgari-VIPs aus aller Welt. Dann durften Journalisten gucken und schliesslich nochmals rund 50 Topkunden. Sie wurden mit grösster Sorgfalt in der Zentrale in Rom aufgrund ihrer aktuellen oder auch potenziellen Bedeutung für das Haus selektioniert.

Üblicherweise werde ein grosser Teil der Kollektion bei diesem Event verkauft, sagt Alessandro Consalvi. Aber natürlich findet nicht alles auf Anhieb Abnehmer. Fabrizio Buonamassa Stiglianis zweiköpfige Serpenti mit den Smaragden zum Beispiel ist noch zu haben. Oder jetzt vielleicht auch schon nicht mehr. Damals in Rom jedenfalls hiess es, eine Dame aus Asien liebäugle stark mit den Preziosen. Kostenpunkt? 614 000 Franken.