An einem Freitagmorgen im September 2016 fährt ein Dutzend abgedunkelter Geländewagen vor dem Renova-Hauptquartier in Moskau vor. Zwei Dutzend Bewaffnete mit schwarzen Sturmhauben stürmen in die Empfangshalle. Eine Scheibe klirrt. Hausdurchsuchung durch den Geheimdienst FSB. Das Gebäude ist abgeriegelt, dann tragen Beamte Computer und Akten aus dem Hochhaus.

Die Bilder mit Vermummten in Uniform, die an der Rezeption sitzen – mit dem Renova-Firmenlogo im Hintergrund – gehen um die Welt. Die «Moscow Times» staunt: «Kein Ziel ist den Strafbehörden zu hoch.»

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Der russische Inlandgeheimdienst FSB durchsucht 2016 den Renova-Hauptsitz in Moskau.

Der russische Inlandgeheimdienst FSB durchsucht 2016 den Renova-Hauptsitz in Moskau.

Quelle: Reuters

Die Untersuchung versandet 

Der Vorwurf lautet Korruption. Zwei Renova-Kaderleute sollen einen Chefbeamten in der Provinz Komi geschmiert haben, um Haushalten überrissene Stromtarife verrechnen zu können. Der Brief des Provinzgouverneurs an Putin landet mit allen Vorwürfen in der Presse, die das Schreiben im Original abdruckt. Auch der Präsident wird in den Artikeln ausgiebig zitiert: Er verspricht hartes Durchgreifen gegen die Korruption «Schliesslich geht es um den Schutz der kleinen Leute», erklärt der Präsident, der sich als Held der Schwachen inszeniert.

Die Gründe für die Hausdurchsuchung bleiben im Dunkeln. Möglicherweise flossen tatsächlich Schmiergelder, doch es könnte auch ein Machtkampf in der Region Komi sein, wo der Regionalgouverneur allen Grund hat, einen Gegenkandidaten auszuschalten, der von zwei Renova-Managern finanziell unterstützt wird. Auffallend ist: Zu einer Anklage oder zu einem Urteil kommt es nie, vielmehr versandet die Untersuchung nach dem Medienwirbel.

Umso erstaunlicher ist, dass die Affäre den USA als Begründung für die Sanktionierung Vekselbergs dient und sie die Version der russischen Behörden – den Vorwurf der Korruption – fast wörtlich übernehmen.

Wer nicht nach den Regeln des Kremls spielt, verliert

Für Vekselbergs Entourage gilt der Raid auf die Firmenzentrale als Fingerzeig: Wer erfolgreich geschäften will, hat nach den Regeln des Kremls zu spielen. Oder es gibt Konsequenzen. Der Name Michail Chodorkowskis, der unter Jelzin den Yukos-Ölkonzern aufbaute und sich in die Innenpolitik einmischte, ist die Drohkulisse. 2003 verschwand er wegen angeblicher Steuerdelikte für zehn Jahre im Straflager, und sein Yukos-Imperium schluckte der Staatskonzern Rosneft.

Ölmagnat Michail Chodorkowski wurde wegen angeblichen Steuervergehens jahrelang ins Straflager verbannt.

Ölmagnat Michail Chodorkowski wurde wegen angeblichen Steuervergehens jahrelang ins Straflager verbannt.

Quelle: Getty Images

Trotz seines Reichtums gehörte Vekselberg nie zum inneren Machtzirkel des Kremls. Im Jahr 2012 wird Dmitri Medwedew, mit dem er per Du war, vom übermächtigen Putin ausgespielt. In seiner dritten Präsidentschaft schart dieser eine Clique von Geheimdienstlern, Apparatschiks und Jugendfreunden aus St. Petersburg um sich. Unter Modernisierung versteht Putin – im Gegensatz zu Medwedew – nicht die Digitalisierung des Landes, sondern den Ausbau des Sicherheitsapparates, der immer brutaler gegen Oppositionelle wie Nawalny, gegen Medien und Universitäten vorgeht.

Medwedew, der einstige Hoffnungsträger eines neuen Russlands, entlarvt sich als Wendehals: Der Mann, der den Westen und Steve Jobs zum Vorbild erklärte, nennt nun den Westen «ein dekadentes Pack» und droht Berlin und Paris mit der Atombombe.

Zu Putin hatte Vekselberg stets ein korrektes, aber kein enges Verhältnis, es dreht sich um Geschäftliches oder Kulturelles. Man trifft sich zwei-, dreimal im Jahr an Anlässen, am Jahrestreffen der Vereinigung russischer Unternehmer und am International Economic Forum in St. Petersburg, dem Pflichtanlass für die Wirtschaftselite der ehemaligen Sowjetunion.

Doch nahe war Vekselberg Putin nie, so sieht es auch der ehemalige US-Botschafter in Russland, Michael McFaul, der heute in Stanford lehrt. Die beiden hätten ein «komplexes Verhältnis», sagt McFaul. Ein anderer, der Putin wie Vekselberg persönlich kennt, sagt: «Er hat Angst vor Putin.»

Putin misstraut den Oligarchen

Das alles trifft wohl zu. Zum einen ist Vekselberg als Unternehmer auf den Goodwill der Zentralregierung angewiesen. Er beschäftigt allein in Russland 50’000 Mitarbeitende, betreibt Regionalflughäfen, versorgt Haushalte mit Strom. Das alles ist nur mit dem Segen der Regierung möglich. Und den gibts nur für jene, die kooperieren.

Die grosse Recherche
Viktor Vekselberg: Putins Mann, oder doch nicht?

Niemals können sich Vekselberg und andere Superreiche auf Putin verlassen. Diesen ärgert schon lange, dass sie in der Privatisierung Milliarden eingestrichen und das Geld in den Westen verschoben haben. In den Augen des ehemaligen KGB-Offiziers gelten sie als unpatriotisch und suspekt. Aus seinem Misstrauen macht er keinen Hehl. Am International Economic Forum forderte Putin vergangenen Sommer in der Präsidialansprache die Oligarchen auf, die Repatriierung ihrer Vermögen zu beschleunigen. Denn, so Putin: «Das Kapital, das in Russland verdient und auf ausländische Konten verschoben wurde, ist nicht sicher.» Vielmehr berge es «unverantwortliche Risiken». Putin weiss, dass der Grossteil der Bevölkerung hinter ihm steht. Und erklärt unumwunden: «Niemand hat Mitleid, wenn die Oligarchen Geld auf ihren Konten im Westen verlieren.»

Ein Schweizer Geschäftsmann mit Russland-Erfahrung sagt: «Die Unternehmer sind die Hofschranze Putins.» Pfeife der Chef, stünden sie stramm. Ein anderer meint: «Wer nicht mitspielt, hat die Steuerbehörden am Hals, stürzt vom Balkon, landet im Gefängnis – oder seine Familie wird schikaniert.»

Feinere Spielarten der Macht hat auch Vekselberg erlebt. Per Telefon wurde er einmal in den Kreml beordert, Besprechung mit Putin. Vekselberg steigt in Dubai in seinen Flieger, um rechtzeitig in Moskau zu sein. Auch ein Team aus der Renova-Zentrale wird umgehend eingeflogen. Im Kreml angekommen, lässt man die Truppe fünf Stunden im engen Vorzimmer warten, bis gegen Abend ein Assistent den Wartenden mitteilt: Der Präsident hat keine Zeit.

Fabergé-Eier sollen den Kreml milde stimmen 

Die Vorstellung, Putin würde auf Vekselberg und andere Unternehmer hören, sei naiv, sagt jeder, der mit Russland vertraut ist. Der ehemalige Spitzenbanker Ackermann erklärt, Putin interessiere sich überhaupt nicht dafür, was die Oligarchen denken. Ein anderer sagt: Er verachtet sie und vertraut nur alten Freunden aus dem Sicherheitsapparat.

Geschäften in Russland ist ein Ritt auf der Rasierklinge. Es überlebt nur, wer sich an die Spielregeln hält und sich jeder politischen Regung enthält. Und es ist zu parieren, wenn der Kreml Forderungen stellt. Vekselberg setzt als Kunst- und Musikliebhaber auch Spektakuläres auf, das Putin schmeichelt. So holt er die Glocken der Harvard University, die einst in einem russischen Kloster hingen, in die Heimat zurück. Oder er kauft von der amerikanischen Verlegerfamilie Forbes die Fabergé-Goldeier zurück, und zwar für 100 Millionen Dollar. Und lässt zweifellos zur Freude Putins einen Palast zu einem Museum für die Werke von Juwelier Peter Carl Fabergé einrichten, die dieser für den Zarenhof anfertigen liess.

Vekselberg kaufte für eine beachtliche Summe die legendären Fabergé-Eier zurück.

Vekselberg kaufte für eine beachtliche Summe die legendären Fabergé-Eier zurück.

Quelle: imago images/Eventpress

Doch er ist auch hier der Unternehmer: Mit dem Kauf der Fabergé-Preziosen will er unter dem Brand eine exklusive Schmuck- und Parfümlinie lancieren. Doch es gibt ein Problem: Das Markenrecht gehört dem Unternehmen Unilever, das dafür 100 Millionen Dollar verlangt. Der Deal scheitert, weil Vekselberg gemäss «Luxury London» der Preis zu hoch ist.