Es ist das Jahr 1989: Präsident Michail Gorbatschow ruft die Perestroika aus, den Ausbruch aus dem alten Sozialismus. Nun werden erstmals in der Geschichte des Landes Privatfirmen zugelassen. Vekselberg ist elektrisiert, hofft auf Freiheit, sieht Marktchancen.

Und er hat exklusives Know-how: Er weiss aus seinem Berufsleben, wie in der Öl- und Gasförderung mit Ressourcen umgesprungen wird. Gibt eine Pumpe den Geist auf, landet das Gerät kurzerhand im Müll. Also gründet er eine Privatfirma für Recycling, nennt sie NPO Kom Wek und stellt fünf Kollegen ein. Sie holen in den Staatsbetrieben tonnenweise Elektroschrott und Kupferkabel ab, sortieren die Ware und verkaufen sie nach Deutschland – mit traumhafter Rendite: billig kaufen, zum Hundertfachen verkaufen.

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Die grosse Recherche
Viktor Vekselberg: Putins Mann, oder doch nicht?

Gute Geschäfte mit alten Computern

Vekselbergs Mitarbeitende haben nach zwei Jahren Privatwirtschaft genug verdient. Sie lassen sich auszahlen und verabschieden sich in die Frühpension. Der Chef aber hat Lust auf mehr, viel mehr. Er startet eine Computerfirma, die gebrauchte IBM-Rechner aus den USA importiert und rüstet sie mit einer Steuersoftware zur Beleuchtung von Förderschächten auf. Sein Trumpf: Er kann programmieren, kennt sich aus bei Soft- und Hardware und hat die Kontakte zu den Kombinatsleitern.

Auch dieser Handel läuft wie geschmiert, der einzige Unterschied zum ersten Abenteuer im Kapitalismus: Die Gewinnmarge ist mit den Computern noch höher als beim Kupfer. Er verdient 1 Million, eine zweite, die dritte. 1990 wechselt er den Namen seiner Firma in Renova, und so ist es auch gemeint: Er will die sklerotische Staatswirtschaft renovieren – oder besser: revolutionieren.

So richtig auf den Geschmack kommt er, als er im Jahr 1991 mit Frau und Tochter erstmals nach New York reist und den alten Studienkollegen Len Blavatnik trifft. Er ist fasziniert und träumt davon, sich in den USA niederzulassen. Dort, im Epizentrum des Kapitalismus, will er es mit den Besten aufnehmen. Zuspruch erhält er vom alten Kumpel Blavatnik, der längst Multimillionär ist.

Viktor Vekselberg und seine Frau Marina, die er an der Uni kennenlernte.

Viktor Vekselberg und seine Frau Marina, die er an der Uni kennenlernte.

Quelle: ZVG

Jelzins wilde Privatisierung als Chance

In einer Rooftop-Bar in Manhattan, erzählt dieser später der «Financial Times», schmieden sie Pläne. Einer davon: zurück nach Russland, wo Gorbatschow-Nachfolger Boris Jelzin eine Privatisierungswelle von 15’000 Staatsbetrieben ankündigt. Jagdfieber kommt auf in der Bar in New York. Nichts wie hin.

Jelzin will die Werktätigen zu Firmenbesitzern machen. Dafür werden ihnen Vouchers verschenkt, die zum Aktienkauf an ihrer Firma berechtigen. Doch die allerwenigsten haben das nötige Kleingeld oder Lust auf Risiko; viel lieber verhökern sie ihre Voucher und machen schnelle Kasse. Das fehlende Vertrauen in die Privatwirtschaft ist die Chance für Blavatnik und Vekselberg: Bei Schichtanfang stehen sie vor den Fabriktoren und bieten den Arbeitern Cash gegen Voucher an.

Vekselbergs verbeulter Wolga dient als mobiles Büro, darin verstaut sind Bündel mit Rubelnoten, unterschriftsreife Kaufverträge, Wodkaflaschen und eine Luftpistole, für alle Fälle. Diese Details plaudert Blavatnik 2015 an einer Gala in Moskau aus, an der er die 25-jährige Freundschaft mit Freund Vekselberg begiesst. Geladen ist Wirtschaftsprominenz aus aller Welt.

Mit seinem Studienkollegen Len Blavatnik (im Bild mit Musikerin Callin Russo und Ex-Model Heidi Klum), der damals schon längst Multimillionär ist, ergreift Vekselberg seine Chancen.

Mit seinem Studienkollegen Len Blavatnik (im Bild mit Musikerin Callin Russo und Ex-Model Heidi Klum), der damals schon längst Multimillionär ist, ergreift Vekselberg seine Chancen.

Quelle: Getty Images

Ab 1996 kaufen die beiden Freunde Aluminiumschmelzen in der Provinz zusammen, denn die sind günstiger als jene um Moskau, wo mit Schmiergeldern um die Assets gezankt wird. Das Duo hat einen Vorteil: Der Amerikaner Blavatnik hat harte Dollars im Sack, Vekselberg weiss, wo Aluminiumschmelzen mit Potenzial schlummern. Und er ist charmant, spricht Russisch und Ukrainisch – und weiss, wie man Privatfirmen in die Gänge bringt: indem man exorbitante Ziele setzt und das Personal grosszügig am Erfolg teilhaben lässt.

Blavatnik und Vekselberg gehören zweifellos zu den grossen Profiteuren der Schocktherapie der Wirtschaft. Sie kaufen ein buntes Portfolio an Aluminiumfirmen zusammen und verschmelzen es zur Sual (Siberian-Urals Aluminium Company); diese vermengen sie mit dem Alu-Geschäft der Zuger Glencore und der Sibirsky Aluminium, die Oleg Deripaska gehört. So entsteht der grösste Aluminiumproduzent der Welt, Rusal, den man an die Hongkonger Börse bringt.

Vekselberg bekommt Hilfe von Elon Musk

Vekselberg wird Präsident, Glencore-Chef Ivan Glasenberg und Oleg Deripaska werden Verwaltungsräte. Dramatisch wird es 2018, als Vekselberg, Deripaska und Rusal auf der Sanktionsliste der USA landen. Doch sie erhalten plötzlich Schützenhilfe von überraschender Seite: von Tesla-Chef Elon Musk und den mächtigen amerikanischen Autobossen. Denn mit der Sanktionierung von Rusal schiesst der Preis für Aluminium nach oben und verteuert die Produktion von Tesla, GM und Ford.

Besonders unerfreulich ist es für Musk, der eben für das Tesla-Model Y Lieferverträge mit Rusal unterzeichnet hat. Er fürchtet einen Absatzeinbruch wegen Preiserhöhungen und lobbyiert bei Trump, bis dieser im Frühling 2019 – ein Jahr nach der Sanktionierung – den Bannstrahl gegen Rusal aufhebt. Nun sinken die Alu-Preise wieder – Big Automotive jubelt.