Jetzt, da der Sommer zurück ist, flucht Bernie wieder. «Tramfahren ist die Hölle. Überall müffelt es nach Schweiss. Haben diese Leute keine Dusche zu Hause?» Bernie stinkt es. Oder anders gesagt: Ihm entstehen Kosten, für die niemand geradesteht. Denn sich nicht zu waschen, ist gratis.

Ginge es nur um Geruchsbelästigungen, wäre das Problem der externen Kosten vernachlässigbar. Doch die Welt ist voll von Kosten, die der Allgemeinheit überlassen werden. Und geht es um Lärm oder Umweltgifte, gehen die Kosten schnell in die Milliarden. Wie beim Luftverkehr, der uns zwar Ferien in der Karibik, aber auch ein Gefühl der Flugscham beschert, weil das von den Turbinen ausgestossene CO2 den Klimawandel anheizt. Hier versagt der Markt. Und das ist mittlerweile sogar in bürgerlichen Kreisen angekommen.

Partner-Inhalte
 
 
 
 
 
 

Zum Entsetzen einzelner haben sich sogar die Delegierten der FDP für eine Steuer auf Flugtickets ausgesprochen. Und zwar für eine radikalere Form, als dies die Parteiführung vorgeschlagen hatte. Sie machen, was auch Ökonomen in einer solchen Situation vorschlagen: die nicht verrechneten Kosten «internalisieren». «Wer sich der Kosten nicht bewusst ist, fliegt zu viel», sagt Christoph Lieb vom Beratungsunternehmen Ecoplan. «Nur wer die wahren Preise bezahlt, kann gute Entscheidungen treffen.»

Doch bisher wurde wenig internalisiert. Christina Hürzeler nennt nur die Camion-Abgabe LSVA, bei der Gütertransporte nach Distanz und Gewicht besteuert werden. Zwar gebe es auch andere Abgaben, die den Strassenverkehr belasten, sagt die Ökonomin vom Bundesamt für Raumentwicklung (ARE). «Doch es verbleiben ungedeckte Kosten bei der Allgemeinheit.»

13 Milliarden Franken Verkehrskosten

Das ARE hat mit den Beratungsunternehmen Infras und Ecoplan berechnet, wie hoch die externen Kosten des Verkehrs sind. Insgesamt kommt die Studie auf über 13 Milliarden Franken, wovon 9 Milliarden dem privaten Strassenverkehr angelastet werden. Die Luftfahrt kommt auf 1,3 Milliarden. Doch auch unverdächtige Verkehrsträger wie Eisenbahn oder Velos verursachen Kosten, die nicht eingepreist sind. So sorgen im «Langsamverkehr» Unfallkosten dafür, dass dieser die Allgemeinheit mit 1,1 Milliarden Franken belastet.

Kosten und Preise

Soziale Kosten Unter sozialen Kosten verstehen Ökonomen die Kosten einer Aktion, die der Gesellschaft insgesamt anfallen, egal von wem sie getragen werden.

Interne Kosten Interne Kosten entsprechen am ehesten den Preisen, wie wir sie kennen. Sie umfassen jenen Teil der sozialen Kosten, die der Verursacher trägt.

Externe Kosten Externe Kosten sind jener Anteil an den Gesamtkosten, der nicht vom Verursacher getragen wird. Das können beispielsweise Umweltschäden eines chemischen Betriebs oder die CO2-Emissionen einer Flugreise sein.

Erstaunlich sind die Werte der Bahn. Mit 1,1 Milliarden steht sie in der Bilanz der unbezahlten Kosten. Mit Subventionen hat das nichts zu tun. Auch nicht mit zu Unrecht angerechnetem Kohlestrom, wie Hürzeler betont. Vielmehr verursacht die Bahn unmittelbare Gesundheitsprobleme über Luftverschmutzung und Lärm, weil sie – anders als die Flugzeuge – mitten in Wohngebieten verkehrt. «Auch benötigt sie verglichen mit dem Luftverkehr viel mehr Land», sagt die Ökonomin.

Und nicht zuletzt seien Flugzeuge besser genutzt. «Wegen der hohen Auslastung werden dort die Kosten effizienter auf die Passagiere verteilt.» Und so kommt es, dass Züge pro Personenkilometer mit 3,3 Rappen mehr externe Kosten verursachen als Airlines mit 2,7 Rappen

Moralische Bremse des Handels

Dass es externe Kosten gibt, ist klar. Doch wie berechnet man, wie viel Schaden CO2 konkret verursacht? Wie teuer ist eine Lärmbelästigung? Und was kostet ein Unfallopfer? Hier kommen die Ökonomen an ihre Grenzen. Zwar liefern sie Zahlen – ein Lebensjahr kostet bei uns 235 000 Franken –, doch meist mit hohen Unsicherheiten. Beim CO2-Ausstoss verwendet die ARE-Studie den Kostensatz von 120 Franken pro Tonne.

Doch gleichzeitig ermöglicht die Organisation Myclimate, mit 29 Franken eine Tonne CO2 über Umweltmassnahmen zu «kompensieren». Wie es zu dieser grossen Spanne kommt, kann keine der beiden Seiten erklären. Jeder betont, seine Rechnung stimme. ARE-Forscherin Hürzeler warnt zudem vor Direktvergleichen. «Die von uns berechneten Kosten sind Durchschnittswerte. Ein Langstreckenflug wirkt anders als ein Europaflug und eine S-Bahn in der Stadt verursacht andere Lärmbelästigungen als ein Intercity auf dem Land.»

Was kostet das gute Gewissen?

Bio-Essen

Wenns ums Essen geht, kaufen sich viele Schweizer ein gutes Gewissen – mit Bio-Produkten. Beispiel Milch: Der Liter ohne Label kostet in der Migros derzeit 1.20 Franken, die Bio-Milch 1.80 (Aufpreis: 50 Prozent). Oder die Eier: Verglichen mit normalen Eiern aus Bodenhaltung sind die Zürcher Bio-Eier bei Coop (6er-Pack, Preis pro Kilo) 67 Prozent teurer. Import-Eier dagegen kosten die Hälfte. Zusammen mit dem Bundesamt für Landwirtschaft hat der Fernsehsender SRF vor vier Jahren einen Warenkorb eines typischen Haushaltes mit 25 Produkten untersucht und kam zum Schluss: Bio ist 50 Prozent teurer. Gemessen an den Durchschnittsausgaben für Lebensmittel macht das rund 315 Franken pro Monat. Der Warenkorb enthalte allerdings fast nur Frischprodukte, sagt Lukas Inderfurth von Bio Suisse dazu. Unter Einbezug von verarbeiteten Produkten sei die Differenz kleiner. «Wir gehen von 25 bis 30 Prozent aus.»

Ökostrom

Glück hat, wer in Basel lebt. Weil die Industriellen Werke (IWB) früh in Wasserkraft investiert haben, die als ökologisch korrekt gilt, leben die meisten Basler mit dem Standard-Strom frei von schlechtem Gewissen. Andere dagegen müssen investieren, wollen sie auf Atomstrom oder importierten Kohlestrom verzichten. So verlangt das Stadtzürcher EWZ fürs Upgrade von Standard- auf Wasserstrom (EWZ Ökopower) einen Aufpreis von 50 Prozent oder 7 Rappen pro kWh (bei je 50 Prozent Hochund Niedertarif). Wer pro Jahr 3000 kWh Strom verbraucht, erkauft sich das gute Gewissen somit für 111 Franken. Deutlich teurer ist Solarstrom von Zürcher Dächern: Hierfür verlangt das EWZ einen Aufpreis von 1000 Franken. Würde man den ganzen Schweizer Nicht-Grünstrom (AKW, thermische Kraftwerke und Pumpstrom für Wasserkraftwerke) zu diesen Kosten durch Wasserstrom ersetzen, kostete das pro Jahr 2,1 Milliarden Franken. Oder 248 Franken pro Einwohner. Auf dem Papier geht es auch billiger. Das Recht, Strom dank Zertifikaten als Wasserstrom zu verkaufen, kostet am Markt derzeit rund 1,70 Euro pro MWh. Für 51 Millionen Franken wäre die Schweiz demnach zu 100 Prozent begrünt.

Einkaufspatriotismus

Für wahre Patrioten ist der Einkauf im Ausland mit viel schlechtem Gewissen verbunden: Während in Süddeutschland der Handel boomt, darben die Schweizer Detailhändler, die preislich mit der Konkurrenz nicht mithalten können. Jeder kennt die Beispiele: Das Deo, das bei uns dreimal so viel kostet wie «im Deutschen», das Fleisch vom Metzger oder das Hemd von Hugo Boss. Selbst ohne Zurückerstattung der hohen deutschen Mehrwertsteuer lässt sich mit dem Einkauf im Ausland viel sparen. Zahlen zu den Preisunterschieden liefert das Bundesamt für Statistik, das für viele Produkte die Preisniveaus unterschiedlicher Länder dokumentiert. Demnach kosten Nahrungsmittel und alkoholfreie Getränke in der Schweiz 67 Prozent mehr als in Deutschland, Alkohol und Tabak 35 Prozent mehr und Kleider 40 Prozent mehr. Hotels und Restaurants sind 47 Prozent teurer. Entsprechend teuer ist der Verzicht auf den Einkaufstourismus. In den erwähnten vier Kategorien gibt ein durchschnittlicher Schweizer Haushalt pro Monat 1532 Franken aus (siehe Seite 15). In Deutschland würden die gleichen Produkte laut Statistik theoretisch nur 1004 Franken kosten, was einem Aufpreis von 528 Franken oder 52,6 Prozent entspricht.

CO2-Kompensation

«Flugscham» dürfte zum Wort des Jahres gekürt werden. Kaum etwas wird mit so viel schlechtem Gewissen assoziiert wie die Reise mit den CO2-Schleudern in der Luft. Wer für Ferien in die Karibik fliegt, kann den Ausstoss kaum mehr durch Verzicht kompensieren. Abhilfe schafft, andere für die Kompensation zu bezahlen: Etwa durch die Aufforstung von Wäldern. Für relativ wenig Geld bieten Organisationen wie Myclimate solche Kompensationen an. Rund 29 Franken muss investieren, wer die moralische Last einer Tonne CO2 beseitigen will. Der Flug ZürichBangkok kommt so auf 50 Franken pro Weg, der Trip nach Berlin ist schon für 5 Franken zu haben. Will die Schweiz ihren ganzen CO2-Ausstoss kompensieren, wird das teurer. Inklusive über Vorprodukte importierter Verschmutzung im Ausland hat die Schweiz einen Überschuss von 114 Millionen Tonnen pro Jahr. Das zu kompensieren kostete bei Myclimate 3,5 Milliarden Franken oder rund 420 Franken pro Einwohner. Auch wenn die Kompensation zur Beruhigung des eigenen Gewissens geschieht, will Myclimate-Sprecher Kai Landwehr diese nicht als Ablasshandel verstanden haben. «Man erwirbt sich mit seiner Spende keinen Freifahrschein für die Seele, sondern eine Gegenleistung, die wirksamen Klimaschutz zur Folge hat.»

Wolle man Verkehrsmittel direkt vergleichen, müsse man die Werte jeweils für einen konkreten Reiseweg berechnen. Denn auf den Ort der Emissionen komme es an, betont sie. Ein Traktor auf dem Land stört vielleicht weniger Leute als ein Rasenmäher im Wohnquartier, auch wenn Letzterer weniger Lärm verursacht.

Landwirtschaft: Mehr externe Kosten als Wertschöpfung

Die Landwirtschaft gehört neben dem Verkehr zu den grossen Verursacherinnen externer Kosten. Zu dem Schluss kommt der Think Tank Avenir Suisse in einer 2018 publizierten Studie. 37 Prozent der von der Landwirtschaft verursachten Kosten seien Umweltschäden, für die keiner geradestehe. Ihre externen Kosten übersteigen deren Bruttowertschöpfung um 47 Prozent, rechnet Avenir Suisse vor. Anders gesagt: Die Bauern kosten mehr als sie nützen.

Als Beleg für die Umweltschäden liefert die Studie zum Beispiel Zahlen zum Einsatz von Düngemitteln. Verglichen mit den Nachbarländern verwendeten Schweizer Bauern am meisten Stickstoff und Phosphor. Bei den Pflanzenschutzmitteln werden sie nur von den Italienern überboten. Auch werden hierzulande pro Quadratmeter Nutzfläche am meisten Tiere gehalten.

Die Folge: eine intensive Landwirtschaft zum Schaden der Umwelt. Die Umweltkosten der Landwirtschaft seien fast halb so hoch wie jene des Strassenverkehrs, schreibt Avenir Suisse. Nebst strengeren Regeln für Bauern fordern die Ökonomen Grenzöffnungen und mehr Import. Eine zusätzliche Intensivierung zwecks Eigenversorgung «wäre unweigerlich mit einer höheren Belastung der Umwelt verbunden».

Auf das Wie kommt es an

Doch auch da kommt es auf das Wie an. Stammt importiertes Palmöl aus einer Raubbau-Plantage? Wurde für das Soja im Tofu Waldboden umgepflügt? Und wie werden in Osteuropa Tiere gehalten? Externe Kosten sind die moralische Bremse des internationalen Handels.
Einig sind sich Ökonomen darin, dass Externalitäten über Abgaben internalisiert werden sollten. 

Wofür das Geld verwendet wird – ob für Steuersenkungen oder tiefere Krankenkassenprämien – sei in erster Linie eine politische Frage, findet Ecoplan-Forscher Lieb. Myclimate-Sprecher Kai Landwehr dagegen fordert, Abgabe zweckgebunden einzusetzen. Finanziere man mit der Flugabgabe Klimaschutzprojekte, wirke sie gleich doppelt.

Und wie wird Bernies Tram-Problem gelöst? Eine Variante wäre eine Strafe für nicht mehr frische Fahrgäste. Eine andere: Bernie spricht die Personen an und bestraft sie mit Blossstellung. Auch so würden die Kosten des Nichtduschens erhöht.