Wer hätte gedacht, dass Privatanleger einen Kursanstieg von 1500 Prozent bewirken können, wie bei der Videospielkettenaktie Gamestop geschehen? Gamestop ist zwar ein Extrembeispiel, aber auch unabhängig davon weist der lange Bullenmarkt zumindest in Teilen bereits Symptome einer epischen Blase auf.

Und grosse Aktienmarktblasen sind bekanntlich die Zeitpunkte, an denen Vermögen gemacht sowie verloren werden. Wohin die aktuelle Entwicklung führt, werden wir erst später wissen. Aber eins ist schon jetzt klar: Das Jahr 2021 dürfte ein aussergewöhnliches Jahr im Leben vieler Anleger werden.

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Oliver Scharping ist Portfolio Manager für globale Aktien beim Asset Manager Bantleon Bank.

Zweifelsohne befinden wir uns aktuell in einer extrem aggressiven Phase des Marktzyklus. Man muss kein legendärer Investor sein, um Blasenbildungen zu identifizieren, aber es hilft, wenn man bereits die Exzesse der Subprime-Blase und der Dotcom-Ära vorhergesehen hatte.

Eben diese legendären Investoren wie Seth Klarman, Howard Marks und Jeremy Grantham haben jüngst wieder klare Warnungen ausgesprochen. Sie erinnern uns einmal mehr daran, dass die Preise von Aktien wie auch von anderen Vermögenswerten letztlich in den Fundamentaldaten verankert sein müssen.

Die entscheidende Frage

Die entscheidende Frage ist, ob die drei Herren zu früh dran sind und die Grundlage für den derzeitigen Boom weiter intakt bleiben kann. Denn extreme Phasen können bekanntlich noch extremer werden, Bewertungen und Fundamentaldaten können für gefühlte Ewigkeiten auseinander klaffen.

Das verlässlichste Merkmal des späten Stadiums einer Blase war in der Geschichte des Aktienmarktes stets ein euphorisches, teils verrücktes Verhalten der Anleger – vor allem der Privatanleger.

In den ersten zehn Jahren des aktuellen Bullenmarktes fehlte eine derartige Phase der wilden, ungezügelten Spekulation. Jedoch spätestens seit Mitte 2020 haben wir sie – insbesondere in den USA.

Extreme Bewertungsunterschiede

An der Wallstreet wird bereits von einer Retail-Orgie gesprochen, einer Illusion des schnellen Geldes, welche die Aktienkurse immer weiter in die Höhe treibt.

Tesla, Nikola, Hertz, Kodak, Nokia, Silber, Bitcoin oder eben Gamestop – jeder dieser Exzesse könnte als Einzelfall abgetan werden. Aber selbst die Metriken für das grosse Ganze sehen nicht viel besser aus. Der Buffett-Indikator, der die Gesamtbörsenkapitalisierung im Verhältnis zum BIP der USA misst, hat sein Allzeithoch aus dem Jahr 2000 durchbrochen.

Im vergangenen Jahr gab es indes fast 500 Neuemissionen – das sind mehr Börsengänge als zum Höhepunkt der Dotcom-Ära. Und das Volumen der Käufe von Call-Optionen auf US-Aktien durch Kleinanleger hat sich im Vergleich zu 2019 verachtfacht, obwohl bereits das Volumen im Jahr 2019 weit über dem langfristigen Durchschnitt lag.

Selbst Nobelpreisträger Robert Shiller, der die Blasenbildung von 2000 und 2007 vorhergesagt hatte, sichert sich diesmal ab: Kürzlich wies er darauf hin, dass sein legendärer CAPE-Indikator (der nahelegt, dass Aktien fast so überbewertet sind wie auf dem Höhepunkt der Dotcom-Blase) eine weniger starke Überbewertung im Vergleich zu Anleihen zeige.

Bewertungsunterschiede im Aktienmarkt

Wie schon bei den Hochs der Blasen von 1929 und 2000 weist der Aktienmarkt auch heute teils extreme Bewertungsunterschiede innerhalb einzelner Anlageklassen, Sektoren und Unternehmen auf.

Die Performance mancher Investorenlieblinge lässt sich mitunter mit den Nifty Fifty von 1972 vergleichen, einer weiteren geplatzten Blase.

Ähnlich wie einige Aktien heute wurden damals 50 Blue-Chip-Wachstumsaktien als unfehlbare Buy-and-Hold Investments erachtet. Ihr anschliessender Absturz und die folgende Underperformance bis in die frühen 1980er Jahre ist ein mahnendes Beispiel dafür, was nach einer Marktphase passieren kann, in der Anleger fundamentale Bewertungskennziffern ignorieren und Aktien basierend auf Euphorie und Visionen kaufen.

Es gibt noch sichere Nischen für Anleger

Doch auch diesmal gibt es noch Nischen und Marktbereiche, in denen die Lage weniger angespannt ist: Klassische Value-Aktien hatten relativ gesehen vor der Coronavirus-Pandemie ihr bislang schlechtestes Jahrzehnt.

Und 2020 war ein weiteres Negativrekordjahr: Die relative Differenz zwischen Wachstums- und Value-Aktienperformance betrug mehr als 20 Prozentpunkte.

Attraktive Aktien, die ohne Bewertungsexzesse auskommen und teils sogar mit attraktiven Dividendenrenditen glänzen, sind zum Beispiel Sto SE, Deutsche Telekom, Orange, British American Tobacco und Glencore. Unterschieden werden müssen diese Titel allerdings von den «scheinbaren» Value-Aktien.

Denn Unternehmen in Sektoren wie Kreuzfahrt, Flugverkehr oder Hotellerie mögen zwar auf dem Papier gerade günstig erscheinen und haben möglicherweise enormes Aufholpotenzial. Allerdings besteht ebenso die Gefahr, dass manche dieser Firmen permanent durch die Coronavirus-Pandemie disruptiert bleiben.

Auch im Bereich der vom breiten Aktienmarkt weniger abhängigen Sondersituationen bieten sich mitunter noch attraktive Risiko-Ertrags-Verhältnisse, fernab der angesprochenen Exzesse.

Dort sind unter anderem scheinbar langweilige Aktien wie Suez und Rocket Internet immer noch sehr attraktiv.