Gebundene Vermittler oder Vermittlerinnen sind in der Regel an ein oder wenige Versicherungsunternehmen gebunden und haben das Interesse, Produkte dieses Unternehmens zu vermitteln. Ungebundene Vermittler können eine grosse Auswahl von Produkten verschiedener Anbieter vergleichen und streben dementsprechend eine objektivere Beratung an. Laut Gesetzgeber verfolgen gebundene Vermittler hauptsächlich die Interessen des Versicherers und ungebundene Vermittler diejenigen der Kundschaft.
In der Praxis ist diese Schwarz-Weiss-Sicht der Interessenverfolgung natürlich Nonsens. Die Persönlichkeit, Moral und Berufsethik des Beraters bestimmt weit mehr, ob die Empfehlungen im Interesse der Kundschaft erfolgen, als es die gesetzliche Einteilung in «gebunden» oder «ungebunden» erwirken könnte.
Im Zuge der VAG-Revision sind aber nun ausschliesslich die ungebundenen Vermittler dazu verpflichtet, ihre Provisionen ab Januar 2024 offenzulegen und potenzielle Interessenkonflikte transparent zu machen. Diese Offenlegungspflicht soll das Vertrauen der Kunden in die Unabhängigkeit und Objektivität der ungebundenen Beratung stärken. Es bestehen nun jedoch schlagartig grosse Ungleichheiten unter den gebundenen und den ungebundenen Marktteilnehmern. Zu dieser Ungleichbehandlung trägt zusätzlich bei, dass neben den genannten Offenlegungspflichten ungebundene Vermittler auch noch deutlich höhere Aufsichtsgebühren zu entrichten haben.
Der Autor
Samuel Clemann, Geschäftsleiter, Finanzplaner mit eidg. FA, Betriebswirtschafter HF / CAS Marketing Management, Fina Finanzplanung AG.
Umstellung auf Honorarberatung?
Nach Einführung dieser neuen Gesetzesgrundlagen bietet für ungebundene Vermittler das Honorarmodell, in dem Beratungsdienstleistungen pro Zeiteinheit abgerechnet werden, auf den ersten Blick eine klare Vergütung ohne Interessenkonflikte. Allerdings bringt eine tiefere Analyse zutage, dass auch dieses System Nachteile hat. Während das Provisionsmodell die Gefahr birgt, dass Produkte bevorzugt werden, die höhere Provisionen einbringen, könnten Honorarberater dazu verleitet werden, ihre Arbeitszeit unnötig zu erhöhen, um ihre Einnahmen zu maximieren. Zudem zeigten Provisionsverbote in anderen Ländern, dass sich gerade Haushalte mit mittlerem bis tiefem Einkommen keine Honorarberatungen leisten wollen, was empfindliche Deckungslücken und mangelhaftes Alterssparen zur Folge haben kann.
Ungebundene Vermittler müssen sich daher sehr sorgfältig überlegen, wie sie sich positionieren und ihre Geschäftsmodelle anpassen, um den neuen regulatorischen Anforderungen gerecht zu werden. Es ist essenziell, dass sie die Interessen ihrer Kunden in den Vordergrund stellen und eine faire, auf die Bedürfnisse zugeschnittene Beratung anbieten. Sie sollten eine offene Kommunikation mit den Kunden pflegen und die verschiedenen Vergütungsmodelle transparent machen, sodass die Kunden eine informierte Entscheidung treffen können.
Die freie Wahl der Kundschaft zwischen Honorarberatung oder provisionsbasierter Entschädigung kann eine erfolgreiche Strategie für die Zukunft sein. Fina bietet schon seit der Gründung auch Honorarberatungen an. Aus Erfahrung können wir heute sagen, dass Pensionierungsplanungen, Steuerberatungen und komplexe ganzheitliche Finanzplanungen nur auf Honorarbasis fair und zielführend abgewickelt werden können. Ein Stundensatz von mindestens 180 Franken ist aber notwendig, um alle betriebswirtschaftlichen Kosten decken zu können und dabei marktübliche Löhne an gut qualifizierte Berater und Beraterinnen zahlen zu können.
Es gibt jedoch noch immer viele Kunden, die von einer Honorarberatung abgeschreckt werden. Finanz- und Versicherungsberatung mit einer Beratungsmarge, die im Produkt enthalten ist, ist und bleibt vermutlich noch immer die bei weitem verbreitetste Vergütungsform. Letztendlich wird die Fähigkeit der ungebundenen Vermittler, eine Balance zwischen Transparenz, Kundeninteresse und wirtschaftlicher Nachhaltigkeit ihres Beratungsangebotes zu finden, darüber entscheiden, wie erfolgreich sie im Licht der VAG-Revision sein werden.
VAG-Revision verändert den Markt
Die Nachfrage nach qualitativer, ganzheitlich vernetzter und unabhängiger Finanzbetreuung ist nach wie vor hoch und dürfte in den nächsten Jahren aufgrund der Demografie noch weiter zunehmen.
Die Aus- und Weiterbildungsvorschriften und die neuen Offenlegungspflichten erhöhen jedoch auch die Hürden und machen es dadurch für einige Personen schwieriger, im Markt tätig bleiben zu können. Ein dadurch noch verschärfter Fachkräftemangel könnte dazu führen, dass Personen, die ihren Beruf in der Finanz- und Versicherungsberatung mit Hingabe und mit viel Berufsethos betreiben, trotz verschärfter Regulierung sehr gute Zeiten bevorstehen.
Die Zukunft der Finanz- und Versicherungsberatung in der Schweiz wird von der Anpassungsfähigkeit und der ethischen Ausrichtung der Berater und Beraterinnen abhängen, um eine vertrauensvolle und dauerhafte Beziehung zu ihren Kunden und Kundinnen aufzubauen.