Zürich, die grösste Stadt der Eidgenossenschaft, macht sich für die Mobilität der Zukunft bereit: Diskussionen um Velovorzugsrouten werden geführt, Pilotprojekte für smarten ÖV initiiert und elektrische Miet-Trotinettes stehen bereits an jeder Strassenecke. Auch auf globaler Ebene bahnen sich immer neue Entwicklungen an, die den Strassenverkehr revolutionieren dürften: Neben den emissionsfreien Antrieben (Stichwort E-Mobilität) sind dies vor allem mit digitalen bzw. intelligenten Systemen ausgestattete Fahrzeuge sowie das autonome Fahren, ob im Individualverkehr oder – mit selbstfahrenden Robotaxis und Roboshuttles – in der gewerblichen Personenbeförderung. Neue Technologien, geändertes Konsumentenverhalten und nicht zuletzt politische bzw. regulatorische Eingriffe werden binnen kürzester Zeit zu einer Transformation des Verkehrs führen.

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Der Autor

Sirus Ramezani ist Senior Partner im Schweizer Büro der Managementberatung McKinsey & Company.

Transformation zwingt zu Richtungsentscheid

Nach unserer Einschätzung wird unter den Neuzulassungen in der Schweiz 2030 der Anteil Fahrzeuge mit alternativem Antrieb (inkl. Elektromotor) bei über 65 Prozent liegen; ab 2035 dürften die Neubestellungen klassischer Verbrenner gegen null tendieren. Je nach Marktumfeld und regulatorischen Details könnten noch in diesem Jahrzehnt autonome Fahrzeuge unser Strassenbild prägen – ermöglicht durch hochkomplexe Technik, digitale Systeme, Materialien und Einbauteile. Für Versicherer können all diese Entwicklungen zum Crashtest werden, da die Risikoprämien für Fahrzeuge um bis zu einem Viertel sinken könnten. Damit geraten grundlegende Prinzipien der Versicherungsindustrie ins Wanken: Sind erst in jedem Wagenmodell standardmässig neuartige Instrumente verbaut, die Richtung und Geschwindigkeit bestimmen, geht die Haftung zumindest teilweise vom menschlichen Fahrer auf den Hersteller der intelligenten Ausrüstung über. Damit wird der heutige Ansatz zur Strukturierung, Preisgestaltung und Verkauf von Versicherungsprodukten hinfällig.

Die Anbieter von Autoversicherungen stehen somit vor wegweisenden Entscheidungen. Es gilt, sich für eine automobile Zukunft fit zu machen, in der künstliche Intelligenz und Nachhaltigkeit den Kurs bestimmen. Wer in diesem Umfeld weiterhin erfolgreich sein will, wird sein Angebot anpassen müssen: Versicherer sind gefordert, mit Vollgas – oder besser: smart und mit e-Speed – in die Transformation ihrer Geschäftsmodelle und Produktpaletten zu starten. Dazu drei Gedanken:

Multimodale Versicherungslösungen

Ein Mensch nutzt viele Fahrzeuge – viele Menschen teilen sich ein Fahrzeug: Das ist das Prinzip der Sharing-Konzepte. Vorbei die Zeiten, als alle Wege und Anlässe mit demselben – und stets dem eigenen – Fahrzeug bestritten wurden: Die Zukunft wird durch anlassbezogene Nutzung verschiedener Verkehrsmittel geprägt sein. Damit kann das Fahrzeug als solches auch nicht mehr im Zentrum der Versicherungslösung stehen – vielmehr bedingt das neue Nutzerverhalten eine kundenzentrierte, ganzheitliche («End-to-End»-) Abdeckung, die aber die Branche bislang noch nicht hinreichend bietet. Diese Lücken gilt es mit personenfokussierten und nutzungsorientierten Versicherungsdeckungsmodellen zu füllen.

«Embedded»-Versicherungsmodelle

Dass gleich beim Kauf eine Versicherung mit abgeschlossen wird, setzt sich immer mehr durch. Mit zunehmender Komplexität und Anfälligkeit der digitalen Systeme wächst auch das Absicherungsbedürfnis von Autokäufern und -käuferinnen. Damit bietet es sich für Versicherer und Hersteller an, sich im Tandem zusammenzuspannen: Partnerschaften oder Joint-Ventures bringen neues Geschäftspotenzial und schaffen im Zusammenspiel der unterschiedlichen Expertise auch Synergien. Beispielsweise, wenn Versicherer – die Zustimmung der Kunden vorausgesetzt – auf die Daten der Hersteller zum Fahrverhalten zurückgreifen, um massgeschneiderte Versicherungsangebote bereitzustellen. Welche Haltung Regulatoren diesbezüglich einnehmen, bleibt abzuwarten, wird aber eine zentrale Rolle für das künftige Marktumfeld spielen.

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Aktiver Akteur im neuen Mobilitätsökosystem

Noch mehr Gestaltungsspielraum hat die Versicherungsbranche, wenn sie nicht nur für Mobilitätsrisiken bereitsteht, sondern sich zum aktiven Teilnehmer in einem breiteren Mobilitätsökosystem wandelt – beispielsweise als Anbieter von Abo-, Leasing-, Sharing- oder auch Parkmöglichkeiten. Die positive Wirkung in Sachen Nachhaltigkeit kann dabei gezielt als Wertversprechen gegenüber zunehmend sensibilisierten Kundengruppen genutzt werden. Auch eine Vermittlerrolle ist denkbar. Versicherer könnten etwa ausgewählte Angebote von Geschäftspartnern auf eigens kuratierten Plattformen bereitstellen. Mit einem so erneuerten Geschäftsmodell müssen Versicherer künftig nicht mehr im Windschatten von Politik, Wirtschaft und Konsumenten bleiben: Sie können sogar auf die Überholspur wechseln, den Tempowechsel zur Transformation nutzen und proaktiv die richtigen strategischen Weichen stellen. So bietet sich die einzigartige Chance, sich für die geänderten Versicherungsbedürfnisse der neuen Mobilität fit zu machen und womöglich gar die künftige Zielrichtung der Mobilitätsbranche mitzubestimmen.