Frankenschock. Starker Franken. Frankenstärke. Hartwährung. Diese Wörter waren letztes Jahr unzählige Male zu lesen. Auch dieses Jahr werden Medien ähnliche Begriffe verwenden, wenn sie den Schweizer Franken thematisieren.

Dabei geht oft vergessen: Seit Beginn des Jahrtausends war der Franken eigentlich meistens das Gegenteil – nicht eine überbewertete, sondern eine unterbewertete Währung. Dies zeigt ein Vergleich des Euro-Frankenkurses an der Börse mit dem fairen Wert der beiden Währungen.

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Der Euro war einst ziemlich stark

Die Entwicklung ist auf der folgenden Grafik abgebildet. Die Daten dazu stammen von der Credit Suisse (CS). Ihre Forschungsabteilung veröffentlicht in regelmässigen Abständen eine Schätzung des fairen Werts diverser Währungen. Man erkennt auf der Grafik, dass der Franken zwischen 2005 und 2010 zu einem deutlich schwächeren (also höheren) Kurs gehandelt wurde als eigentlich angemessen.

Aus der Grafik lassen sich zwei Schlüsse ziehen. Erstens: So richtig stark ist der Franken im Vergleich zum Euro eigentlich erst seit Beginn des letzten Jahres, als die SNB den Mindestkurs fallen liess. Die Überbewertung beträgt gemäss Schätzung der CS etwa 13 Prozent. Das bedeutet für ein hypothetisches Unternehmen, das sämtliche Kosten in Franken und sämtliche Erträge in Euro hat: Machte es beim fairen Wechselkurs weniger als 13 Prozent Marge, so schreibt es nun Verlust.

Der zweite Schluss, der sich aufdrängt: In der Ära des schwachen Frankens war die Marge dieses hypothetischen Unternehmens im Grunde genommen viel zu hoch. So war der Franken zur Spitzenzeit im Jahr 2007 fast um 18 Prozent unterbewertet. Die gesammelten Währungsgewinne aus dieser Epoche (grüne Fläche) überwiegen die Verluste der darauffolgenden Zeit (rote Fläche).

In Zahlen ausgedrückt lief zwischen 1999 und Mitte 2003 ein «kumulierter Verlust» von 19 Jahresprozenten auf. Bis im Frühling 2011 ergab sich dann ein kumulierter Gewinn von 61 Jahresprozenten, seither entstand wieder ein kumulierter Verlust von 21 Jahresprozenten*. Der Hinweis auf die fetten Jahre relativiert das aktuelle Klagen über den starken Franken in weiten Teilen der Industrie. 

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Man muss dazu anmerken, dass der «faire Wert» einer Währung ein Stück weit Ansichtssache ist. Die CS verwendet zur Berechnung ein Modell, das einerseits auf der Kaufkraftparität beruht (also auf Preisvergleichen im Stil eines Big-Mac-Index) und andererseits verschiedene ökonomische Variablen berücksichtigt: die Produktivität, die Auslandsvermögen, die Realzinsen in beiden Ländern. Der Euro-Franken-Fair-Value wird auch nicht direkt berechnet, sondern indirekt aus der Euro-Dollar-Fair-Value und der Dollar-Franken-Fair-Value abgeleitet (so ist die Überbewertung des Euro zum Dollar in den Nullerjahren übrigens auch ein Grund, warum der Euro auch zum Franken überbewertet war).

Fair-Value-Kurse sind also keine exakte Wissenschaft. Wo der angemessene Preis des Euros in Schweizer Franken genau liegt, darüber liesse sich ausgiebig streiten. Ein fairer Wechselkurs ist auch nichts statisches: Findet in einer bestimmten Phase ein rapider Wandel statt, so verändern sich auch die Schätzungen. Der faire Wert einer Währung zum Zeitpunkt X kann sich ändern, wenn man ihn zum Zeitpunkt Y erneut berechnet.

Über die Verhältnisse gelebt

Trotz all dieser Unwägbarkeiten muss man aus heutiger Warte feststellen, dass die Wirtschaft vor der Finanzkrise über lange Strecken äusserst günstige Währungsbedingungen vorgefunden hat. So ist auch zu erklären, dass die jüngste Frankenstärke von vielen Firmen als derart einschneidend empfunden wird. Ein Teil der Kapazitäten, die heute abgebaut werden, wurden in den fetten Exportjahren aufgebaut. Damals fehlte der Druck, der die Firmen heute zwingt, nur die lukrativsten Projekte zu verfolgen.

* Ein «kumulierter» Verlust bzw. Gewinn über x Jahresprozenten bedeutet in diesem Zusammenhang eine durchschnittliche Über- bzw. Unterbewertung von x Prozent während einem Jahr (oder alternativ: eine Abweichung von x/2 Prozent während einem zwei Jahren, eine Abweichung von 2*x Prozent während einem halben Jahr).

Das Unternehmensbeispiel im vierten Abschnitt wurde gegenüber einer früheren Version leicht angepasst.

Simon Schmid
Chefökonom bei der Handelszeitung. Wirtschafts- und sozialwissenschaftlich inspirierter Schreiber.
Twitter: @schmid_simon

 

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