Schlemmen an Weihnachten leisten sich längst nicht mehr alle. Nicht nur Zucker und Fett werden im Sog des Gesundheitswahns vom Festtagsspeiseplan verbannt. Vermehrt sind es auch Weizen und andere Getreide. Glutenfreie Ernährung boomt. Der Detailhandel hat das Geschäft längst erkannt. Dieses Jahr sind Mailänderli und Lebkuchen darum auch glutenfrei zu haben.

Gluten ist ein Sammelbegriff für Proteine in diversen Getreidesorten wie Weizen, Dinkel, Gerste oder Roggen. Glutenfreie Ernährung ist für Menschen mit Zöliakie, einer Autoimmunerkrankung, lebenswichtig. Doch inzwischen schwören auch viele, die nicht an Zöliakie leiden, auf Produkte ohne dieses Getreideeiweiss.

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Tennisstar entsagt sich Gluten

Der Tennisstar Novak Djokovic etwa schreibt in seinem Buch «Serve to Win» der glutenfreien Ernährung einen Teil des Erfolgs zu. Djokovic verzichtet auch auf Milch. Mit seiner Ernährung gehört er zu einer Gemeinschaft, die mittlerweile immerhin genügend gross ist, um wahrgenommen zu werden.

Was essen respektive was nicht essen ist heute auch eine Frage des Lebensstils und der eigenen Positionierung. Forscher sprechen sogar von einer quasi-religiösen Aura, welche Ernährungsfragen heute umgeben. Im Ernährungs-Trend-Report 2015 vom Gottlieb Duttweiler Institut GDI vergleichen die Autoren gesundes Essen mit dem Kirchgang von früher: Er ist Pflicht, ungesundes Essen eine Sünde. Ob glutenfreies Essen tatsächlich gesünder ist als anderes ist wohl eine Glaubensfrage. Viele greifen jedenfalls zu den Produkten, weil sie diese für sich als bekömmlich befinden.

Zweistelliges Wachstum

Das zeigt sich im Angebot der grossen Detailhändler Migros und Coop. Coop machte 2014 mit glutenfreien Produkten 9 Millionen Umsatz. Die Wachstumsraten waren in den letzten Jahren zweistellig. Auch Konkurrentin Migros verzeichnet zweistelliges Wachstum bei Produkten mit dem Label aha!, das sich an Allergiker richtet. Darunter finden sich auch die glutenfreien Produkte.

Nachdem bei der Migros im letzten Jahr zu Weihnachten das glutenfreie Mailänder-Guetzli auf dem Markt kam, feierte dieses Jahr der glutenfreie Lebkuchen Premiere. In Reformhäuser greifen die Kunden dieser Tage zudem zu glutenfreiem Panettone oder Birnenbrot, wie das Müller Reformhaus Vital Shop auf Anfrage sagt. Das Sortiment mit glutenfreien Produkten sei in den letzten Jahren kontinuierlich ausgebaut worden.

Das Angebot wird grösser

Dass das Sortiment in den letzten Jahren überall grösser geworden ist, stellt auch die IG Zöliakie fest, welche die Interessen der an Zöliakie erkrankten Personen vertritt. Das sind schätzungsweise 1 Prozent der Schweizer Bevölkerung. «Die Detailhändler haben Interesse, diese Kunden zu gewinnen, weil diese die restlichen Produkte des täglichen Bedarfs, zum Beispiel Früchte und Gemüse, die von Natur aus glutenfrei sind, am selben Ort einkaufen werden», sagt Anita Dimas, Sprecherin der IG Zöliakie.

Dass die glutenfreie Ernährung auch bei anderen Konsumenten gefragt ist, stört sie nicht. «Der Trend nützt uns insofern, weil das Angebot grösser wird», sagt Dimas. Hingegen betonen die Betroffenen den Unterschied: «An Zöliakie erkrankte Personen haben keine Wahl. Sie müssen, um wieder gesund zu werden und zu bleiben, strikt glutenfrei essen. Ausnahmen sind nicht möglich», sagt Dimas.

Kein grosses Angebot in Restaurants

Ein echtes Bedürfnis wären darum Restaurants, in denen die Kellner und Köche das Problem ernst nehmen. «Jemand mit Zöliakie wird genau nachfragen, welche Zutaten im Gericht sind und ob dieses separat zubereitet wurde, denn bei einzelnen Betroffenen können kleinste Mengen Gluten wie etwa Brösmeli oder Mehlstaub Beschwerden auslösen», sagt sie.

Gemäss Konsumentenschützern nützen die Hersteller diese Not aus. Die Stiftung für Konsumentenschutz forderte 2012 bei der Wettbewerbskommission Weko eine Preissenkung dieser Produkte. Die Weko lehnte ab. Leider habe sich seither wenig verändert, schreibt die SKS auf Anfrage. In dem wachsenden Markt mit wenig Anbietern bestimmen diese die Preise: Ein Kilo glutenfreies Mehl kostet darum bis zu knapp 6 Franken, während Weizenmehl ab 90 Rappen zu haben ist.

Kosten spielen eine Nebenrolle

Kosten spielen für Gesundheitsbewusste aber offenbar keine grosse Rolle. In einer Umfrage des Marktforschungsunternehmens Nielsen bei 30'000 Personen in 60 Ländern zeigte sich, dass gerade jüngere Personen für gesunde Kost gerne tiefer in die Tasche greifen.

So sehr die Anhänger von glutenfreien Produkten für Guetzli und Brote ohne Klebereiweiss bereit sind, mehr zu bezahlen - für die Betroffenen ist es allemal die schlechtere Variante. «Der Geschmack von echtem Weizenbrot ist nicht zu ersetzen», sagt Dimas.

(sda/mbü)