Die Entäuschung bei Siemens Schweiz ist gross. Seit April haben 1400 Mitarbeiter der Sparte Building Technologies fünf Stunden pro Woche länger gearbeitet als zuvor – zum gleichen Lohn. Das Unternehmen hatte damit auf die sprunghafte Aufwertung des Frankens zu Jahresbeginn reagiert. So wolle man die Produktivität erhöhen und die Konkurrenzfähigkeit der Produktion am Standort Zug sichern, hiess es im März.

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Doch Anfang Sommer erklärte Siemens offiziell: Die Arbeitszeitverlängerung allein reicht nicht aus. 2016 verlagert Siemens daher nun auch 30 Prozent des Fertigungsvolumens ins Ausland – anders sei der Standort Zug trotz Optimierungen in der Produktion langfristig nicht zu halten. Kündigungen werden nicht zu vermeiden sein.

«Sinnvolles Instrument»

Viele exportorientierte Schweizer Unternehmen haben wie Siemens mit einer Erhöhung der Wochenarbeitszeit auf den Frankenschock reagiert – und angekündigt, nach einigen Monaten zu überprüfen, ob sich die Massnahme als erfolgreich erwiesen hat. Besonders jetzt, nach Ende der Ferienzeit, seien Neujustierungen zu erwarten, so Experten.

«Aus Perspektive der Unternehmen war die Arbeitszeiterhöhung ein sinnvolles Instrument, um sich kurzfristig an den Aufwertungseffekt anzupassen», erklärt George Sheldon, Professor für Arbeitsmarktökonomie an der Universität Basel. Durch die Erhöhung der Arbeitszeit liessen sich in den Unternehmen kurzfristig Kosten reduzieren, in der Regel ohne grosse Proteste in der Belegschaft.

«Unternehmen, die Entlassungen ankündigten oder zum Beispiel alternative Massnahmen wie die Auszahlung der Löhne an Grenzgänger in Euro anregten, ernteten sehr viel mehr Proteste von Mitarbeitern und Gewerkschaften als die Arbeitszeitverlängerer», sagt Sheldon.

Positives Signal

«In einer Krisensituation ist das ein sehr wichtiger Faktor. Die Unternehmen sind auf die Loyalität ihrer Belegschaft angewiesen.» Durch die Arbeitszeitverlängerung signalisieren Unternehmen Mitarbeitern, Kunden und Geschäftspartnern zudem: Die Auftragsbücher bei uns sind immer noch voll, und wir können mit der Krise umgehen.

Mitarbeiter und Gewerkschaften tragen den Kurs bislang weitgehend ohne Murren mit. «Wenn ein Unternehmen durch die Frankenaufwertung wirklich unter Druck gekommen und eine Reduzierung der Kosten tatsächlich notwendig ist, ist die Arbeitszeitverlängerung aus unserer Sicht auch ein sinnvolles Mittel», sagt Pascal Pfister, Industriesekretär der Gewerkschaft Unia in der Region Aargau.

Unmotivierter und ineffizienter

«Allerdings zeigt die bisherige Erfahrung, dass die Arbeitszeitverlängerungen in einigen Unternehmen vor allem aus einem Aktionismus nach dem Frankenschock heraus entstanden sind.» Die Arbeitszeitverlängerung habe als Instrument zur Krisenbewältigung auch ihre Tücken, gibt Pfister zu bedenken: «Mitarbeiter sind erfahrungsgemäss durch die längeren Arbeitszeiten unmotivierter und ineffizienter», sagt er.

«Mitarbeiter schauen sich in einer solchen Situation oft auch nach einer anderen Stelle um. Besonders, wenn nicht absehbar ist, dass die Verlängerung der Arbeitszeit bald endet.» Nicht in jedem Betrieb und nicht in jeder Abteilung ergebe die Arbeitszeitverlängerung zudem von den Abläufen her Sinn. «Dann sitzen zum Beispiel in der Verwaltung Leute einfach die zusätzliche Zeit ab – und schaffen dasselbe Pensum in mehr Stunden.»

«Sozialverträglich»

Ausschliessen könne man solche Effekte nicht, gibt der Unternehmer Harry Bosshardt zu. Der Chef der Eternit (Schweiz) AG lässt seine Mitarbeiter seit März drei Stunden pro Woche mehr arbeiten. «Aus unserer Sicht ist das die sozialverträglichste Reaktion auf die Frankenstärke», sagt er. «Die Mitarbeiter müssen nicht mit weniger Geld zurechtkommen. Und wir können mit 60'000 zusätzlichen Arbeitsstunden pro Jahr kalkulieren, ohne Mehrkosten.»

Dadurch habe er kurzfristig Überstunden abbauen und Leiharbeit reduzieren können – eine direkt spürbare Entlastung angesichts des Währungsschocks. Die mittelfristigen Effekte sind allerdings durchwachsen. «Sicherlich merken wir den Produktivitätseffekt zum Beispiel in der Produktion sehr viel stärker als in der Verwaltung», sagt Bosshardt. In der Produktion laufen die Maschinen jeden Tag messbar länger.

«In einigen Verwaltungsbereichen lässt sich die Arbeitszeit hingegen nicht so einfach effektiv erhöhen. Unsere Aussendienstmitarbeiter arbeiten zum Beispiel sowieso quasi rund um die Uhr, da ist kaum noch Luft nach oben.»

Konsens bei den Mitarbeitern

Dennoch sei es der Geschäftsleitung wichtig gewesen, dass alle Mitarbeiter aller Abteilungen bei der Arbeitszeitverlängerung mitziehen. «Jeder einzelne Mitarbeiter hat der Massnahme zugestimmt», betont Bosshardt. «Wir wollten erreichen, dass alle im gleichen Boot sitzen, sich niemand unfair behandelt fühlt.» Ende des Jahres wird Bosshardt die Situation untersuchen lassen. Dass die Verlängerung der Arbeitszeit dann wieder zurückgenommen werde, könne er aber noch nicht versprechen.

Versprechen, dass die Arbeitszeitverlängerungen bald ein Ende haben werden, will kaum eines der betroffenen Unternehmen. Beim Schaffhauser Industriekonzern Georg Fischer heisst es, man werde die Erhöhung der Arbeitszeit von 40 auf 44 Stunden pro Woche erst im Herbst gemeinsam mit den Mitarbeitervertretungen erneut beurteilen.

Die Mitarbeiter seien nicht euphorisch, hätten aber mit Verständnis reagiert. Bei Huber + Suhner in Herisau AI kann man ebenfalls noch keine präzisen Aussagen dazu machen, ob die Arbeitszeiterhöhung erfolgreich war und wie lange sie weitergeführt wird.

Weniger Temporäre

«Was wir sicher sagen können, ist, dass wir dank der Arbeitszeiterhöhung temporäre Arbeitskräfte abbauen konnten und dies sehr direkte Kosteneinsparungen ermöglicht», teilt Sprecherin Karin Freyenmuth mit. Bei Feintool in Lyss BE ist man zufrieden mit dem Effekt der Arbeitszeiterhöhungen: «Ob die Produktivität tatsächlich steigt und die Kosten sinken, ist dabei je nach Tätigkeit unterschiedlich zu bewerten», sagt CCO Karin Labhart.

«Im Produktionsbetrieb sinken die Produktionskosten zum Beispiel rasch, dies zahlt sich aus.» Im administrativen und technischen Bereich könne man insgesamt schneller mit neuen Produkten auf den Markt reagieren und den Service optimieren. «Dies hilft insgesamt, die Qualität zu verbessern.» Ziel der Massnahme sei es, den Mitarbeitern Perspektiven aufzuzeigen. «Die Alternative wären Lohnkürzungen oder Auftragsverlagerung ins Ausland gewesen.»

Gutes Zeichen

Dass überhaupt so viele Unternehmen auf das Instrument Arbeitszeiterhöhung zurückgegriffen hätten, sei erstmal ein gutes Zeichen, findet Arbeitsmarktforscher Sheldon. «Die Konjunktur war zum Zeitpunkt der Frankenfreigabe offenbar recht gesund. Die Unternehmen hatten, anders als etwa während der Wirtschaftskrise 2009, volle Auftragsbücher.» Jedoch seien die Arbeitszeitverlängerungen lediglich als kurzfristiges Instrument zur Krisenbewältigung geeignet.

Nach der Ferienzeit wird sich in vielen Schweizer Unternehmen zeigen, ob die Mitarbeiter nach Auslaufen der Arbeitszeitverlängerungen tatsächlich bald zum Alltag zurückkehren können. Oder ob, wie bei Siemens Schweiz, drastischere Massnahmen auf die Arbeitszeitverlängerungen folgen werden.

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