Das passt Jürg M.* gar nicht. «Was soll der Zirkus?», fragt sich der junge Versicherungsexperte, als er zum Assessment-Center aufgeboten wird. Er fände es sinnvoller, man würde ihn im Bewerbungsgespräch fragen, was er gelernt hat, welche Erfahrung er mitbringt, warum er in der Hierarchie aufsteigen will. Stattdessen muss er diese Trockenübungen im Labor absolvieren, unter Beobachtung den Anschein geben, er befände sich im Arbeitsalltag. Der Mann weiss, was da gefragt ist. Immer schön souverän auftreten und bloss nicht die Nerven verlieren. Und Ambitionen zeigen, aber dennoch Teamgeist erkennen lassen. Ihm liegen solche Auftritte nicht. Am liebsten würde er sich davor drücken. Doch dann wäre er für die Gruppenleiterstelle aus dem Rennen.

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Bei Bewerbern sind Assessment-Center allgemein unbeliebt. Sie gelten als Angst- und Schikaneinstrument. Bei Firmen hingegen sind sie ein gern genutztes Auswahlverfahren, mit dem Nachwuchs- und Führungskräften auf den Zahn gefühlt wird. Laut einer Studie des Lehrstuhls für Arbeits- und Organisationspsychologie der Universität Zürich setzt jedes vierte Schweizer Unternehmen die aufwendigen und teuren Verfahren ein. Sie sind vor allem bei grösseren Unternehmen wie Banken oder der öffentlichen Hand üblich. Ziel der Übung: Herausfinden, wie sich Bewerberinnen und Bewerber in berufstypischen Situationen verhalten. Erfasst werden am häufigsten die Kommunikations-, Konflikt- und Kooperationsfähigkeit oder das Durchsetzungsvermögen.

Nils Benit erforschte, was die Tests taugen, und weiss, dass heute vor allem Fallstudien, Präsentationen und Rollenspiele durchgeführt werden. Gruppendiskussionen oder die einst beliebte Übung «Wie sortiere ich meinen Postkorb» kämen seltener vor als vor zehn Jahren, sagt der Arbeitspsychologe der Universität Hildesheim. Und allen Gerüchten zum Trotz müssten Bewerber nicht mehr befürchten, dass man ihnen in der Mittagspause auf die Finger schaut. Der Umgang mit Messer und Gabel sei diagnostisch ja auch wenig aussagekräftig.

Keine Tischmanieren-Tests mehr

Ob Assessment-Center etwas bringen, ist unter Fachleuten umstritten. Benit und seine Forscherkollegen fanden heraus, dass es bessere Methoden gibt, berufliche Erfolgsindikatoren vorauszusagen. Vielversprechend seien etwa strukturierte Interviews, die mit Intelligenz- und Persönlichkeitstests kombiniert werden.

Auch Margret Omlin von der Kaderselektion Jörg Lienert plädiert dafür, sich lieber wieder in die einzelnen Bewerbungsdossiers zu vertiefen (siehe Interview). Die deutsche Personalberaterin und Organisationsentwicklerin Uta von Boyen weiss aus jahrelanger Praxis, dass Assessment-Center oft nutzlos und schiere Verschwendung von Zeit und Geld sind. Nämlich dann, wenn sich Unternehmen Standardtests einkaufen, mit denen sämtliche Kandidaten verglichen werden sollen. Man tue so, als würden für den Berufseinsteiger am Bankschalter ein und dieselben Kriterien gelten wie für die Marketingmitarbeiterin eines Modekonzerns, die Teamleiterin werden will. Derartige Pauschallösungen besässen die Aussagekraft eines Monatshoroskops.

Deshalb seien Assessment-Center nur massgeschneidert aussagekräftig. Sie müssen zum Unternehmen passen. Hierarchieebenen gelte es dabei ebenso zu berücksichtigen wie Branchenspezifisches. Die Unternehmensstrategie spiele ebenso eine Rolle wie die Unternehmensstruktur. Bei Bewerbern nur zu testen, ob sie weiche Fähigkeiten wie Einfühlungsvermögen oder emotionale Intelligenz besässen, hält von Boyen ebenso für einen gravierenden Fehler. Sozialkompetent zu sein, sei wichtig, reiche aber nicht. Wer als Abteilungsleiter nett und einfühlsam sei, aber nicht über das nötige Fachwissen verfüge, werde kaum erfolgreich sein.

Nicht nur bei der Wahl des Assessment-Centers wird in Firmen oft gepatzert, auch bei der internen Vorbereitung. Zu oft werden die Fachbereiche übergangen. Besonders dann, wenn für die Durchführung die Personalabteilung verantwortlich zeichnet – oder ein Unternehmen die Dienstleistung einkauft und damit das ganze Prüfprozedere externen Bewertern überlässt. «Interne Führungskräfte einzubinden, ist elementar», sagt Expertin von Boyen. Sie wissen, worauf es in der Praxis ankommt, können dazu konkrete Fragen und Aufgaben stellen. Wer die Internen mit ins Boot holt, beugt zudem auch unguter Stimmung vor: Die eigenen Leute haben das Gefühl, involviert zu sein, und die Prüfverfahren sind somit in den Unternehmen besser akzeptiert.

Im Idealfall brauchbare Hinweise

Und was haben Bewerber vom Assessment-Center? «Sie können es als Chance begreifen. Im Idealfall liefert es Hinweise, wo man in der eigenen Karriereentwicklung steht», sagt Forscher Benit. Voraussetzung dafür sei, dass der Testlauf exklusiv für die zu besetzende Stelle ausgearbeitet wurde und wissenschaftlichen Standards genüge. Zudem sollte das Prüfverfahren professionell ablaufen. Dazu gehört, Teilnehmern Feedback zu geben.

Schönfärbereien am Ende des Testtages sind damit gemäss von Boyen nicht gemeint. Es brauche eine ehrliche und präzise Rückmeldung: Was lief gut, wo gibt es Verbesserungspotenzial, welche Weiterbildung wird empfohlen.

Der junge Versicherungsexperte M. wird bis zum Assessment-Center erst mal das freie Sprechen mit Freunden üben. Dass dies sein Manko ist, muss man ihm nicht im Labor nachweisen.

* Name geändert