Der Schüler hatte sich einen Scherz erlaubt. Giancarlo Magalli hängte im Jesuiteninstitut Massimiliano Massimo in Rom über Nacht ein Transparent auf. «Schule wegen Schädlingsbekämpfung geschlossen», stand daruf zu lesen. Am nächsten Morgen blieben die Räume leer, darauf folgte das Chaos. Und Magalli wurde der Schule verwiesen. Es herrschten in den 60er-Jahren harte Sitten an der Römer Jesuitenschule.

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Und dennoch produziert die Ausbildungsstätte bis heute Abgänger, die es in Wirtschaft und Politik weit bringen. Im Jahrgang von Magalli sassen etwa Luigi Abete, der heute Präsident der Banca Nazionale del Lavoro ist, Ferrari-Chef Luca Cordero di Montezemolo oder Mario Draghi, der auf Anfang November das Präsidium der Europäischen Zentralbank übernehmen wird. Der hochgebildete und topseriöse Wirtschaftsexperte gilt als Idealbesetzung für das schwierige Amt. Viele seiner Vorzüge werden der Ausbildung im Jesuiteninstitut zugeschrieben.

Ritterschlag des Papstes

Die prominenten Absolventen der jesuitischen Kaderschmieden von Rom, Berlin oder Wien galten denn auch seit jeher als auserwählte Elite. Dahinter steckt Kalkül. Das Interesse des Ordens der Jesuiten galt in erster Linie den Universitäten als Multiplikatoren, um Gläubige an Schlüsselpositionen der Gesellschaft zu setzen. In den 60er-Jahren erhielten die Abgänger des Istituto Massimo darum gar eine Art Ritterschlag des Papstes – eine Audienz beim Heiligen Vater.

Auf ihre gesellschaftlichen Aufgaben werden die Schüler gezielt vorbereitet. Die Bildungsstätten der Jesuiten zeichnen sich einerseits durch eine harte Disziplin und rigorose akademische Lehrpläne aus. Andererseits steht der Service am Gemeinwohl auf dem Lehrplan. Im Zentrum steht dabei die Herausbildung des eigenen Urteilsvermögens.

Die Abgänger von Jesuitenschulen und Universitäten vernetzen sich zudem seit jeher über ihre Alumnivereinigungen – ein weiteres Erfolgsrezept. Ein enges Netz bilden die Stellaner: «Sie aktivieren weltweit Gemeinsamkeiten mit Jesuiten und fragen nach ihrer Verpflichtung gegenüber einer sich wandelnden Gesellschaft», sagt Benno Kuppler, Jesuit und Managerberater aus München. Dass sich die Mitglieder prinzipiell gegenseitig bevorzugten, bezweifelt er. Die innere Verbundenheit spiele eine Rolle, doch prüfe man jeden Bewerber genau auf seine Integrität.

Das Modell hat bis heute Bestand. Draghis einstige Ausbildungsstätte habe noch immer einen hervorragenden Ruf als katholische Privatschule ersten Ranges, sagt Kuppler. Doch Erfolgsgarant sei ein Abschluss inzwischen nicht mehr. «Es sind grössere Anstrengungen notwendig.» Heute gebe es das Elitebewusstsein in den Schulen der Jesuiten zwar nach wie vor. Aber entscheidend sei am Ende doch, was jeder Absolvent daraus mache.

Eine einheitliche jesuitische Bildung gibt es denn inzwischen auch längst nicht mehr. «Auch wenn jesuitische Bildungspolitik gegen aussen bisweilen als kohärente Grösse auftritt, heisst dies noch lange nicht, dass es wirklich eine jesuitische Bildungsart gäbe», sagt Anna-Katharina Höpflinger vom Zentrum für Religion, Wirtschaft und Politik der Uni Zürich. Zu gross seien nationale Unterschiede. Auch sie will deshalb in der Ausbildung durch Jesuiten nicht automatisch ein Rezept für Erfolg sehen. Zu sehr hänge die effektive Bildung von der einzelnen Person und den Lehrkräften ab.

Zudem kommen im Leben eines Politikers oder Wirtschaftsführers neben der Schulbildung meistens viele andere prägende Faktoren hinzu. Am Beispiel Draghis erläutert Religionsforscherin Höpflinger: «Ich bin überzeugt, dass der frühe Verlust seiner Eltern und die Studienjahre am Massachusetts Institute of Technology in Boston bei berühmten Professoren ihn ebenso oder sogar stärker geprägt haben als die Jahre am Istituto Massimo. Es wäre viel zu einfach, den Erfolg Mario Draghis einzig auf die jesuitische Bildung zu verkürzen.»

Sicher aber hat ihn die Denkweise des Ordens geprägt. Draghi selbst äusserte sich darüber in der Tagesschau des deutschen Fernsehens: «Das waren exzellente Standards. Gemeinsam mit der moralischen Botschaft, die den ganzen Tag bestimmte, den man in der Schule verbrachte. Die Botschaft, dass man alles so gut machen musste, wie man konnte. Dass Aufrichtigkeit sehr wichtig ist und vor allem, dass jeder Einzelne von uns auf irgendeine Weise besonders war.»

Managementberater Kuppler schliesst an diese Aussagen die zentrale jesuitische Frage: Verstehe ich meine Aufgabe als Dienst an der Gemeinschaft oder geht es mir am Ende nur um mich? Im letzteren Fall verliere man die Bodenhaftung und nehme die Probleme der Untergebenen und des Umfelds nicht genügend wahr. Dem nüchternen Draghi kann man kaum Starallüren ankreiden: Der Berlusconi-Antipode ist kein Mann der lauten Töne und grossen Versprechen, vielmehr ein pragmatischer Sachpolitiker mit menschlichem Antlitz.

Dienst am Gemeinwohl und Macht, lässt sich das aber überhaupt vereinbaren? «Macht für sich ist nicht unmoralisch oder ehrenrührig, sie offenbart Gestaltungswillen. Aber der Missbrauch der Macht ist schlecht», antwortet Kuppler. Das wissen die Jesuiten selbst nur zu gut. Missbrauchsskandale an deutschen Jesuitenschulen haben die Integrität der Makellosen schwer erschüttert.

Manager als Vorbilder

Dem Erfolg der Schulen scheint das aber keinen langfristigen Schaden zugefügt zu haben. Heute schicken auch viele nicht religiöse Familien ihre Sprösslinge in Jesuitenschulen. «Sie gelten als seriöse und gute Bildungsstätten, die Werte vermitteln, die wieder populär sind, was auch nicht religiöse Familien bewegen kann, sich für eine solche Bildungsstätte zu entscheiden», sagt Forscherin Höpflinger. Kuppler ergänzt, dass die Schulen neben ihren hohen geistigen immer noch geistliche Ziele verfolgten: «Die Gymnasien und Hochschulen der Jesuiten haben noch immer den Anspruch, ihre Absolventen zu ethisch reifen, verantwortungsvollen und integren Menschen zu machen.»

Daher ermahnt der Managerberater die Wirtschaftsakteure, ihr Tun zu reflektieren. Als Jesuit wolle er sie ernst nehmen und in grosser Wertschätzung aufrütteln, sagt der 63-Jährige, dessen Beratung unter dem Motto «Werte – Wirtschaft – Weiterbildung» steht. «Versteckt euch nicht hinter Entscheidungen von Verwaltungsräten, zeigt euer Gesicht», fordert er. Sie sollen anständige Menschen sein und «das Gute tun, aber dies nicht öffentlich herausstreichen».

Der amerikanische Autor Chris Lowney, einst Jesuit, später Geschäftsführer bei der Investmentbank JP Morgan, nennt in seinem Buch «Heroic Leadership» den Orden sogar als Vorbild für Manager. Die Jesuiten hätten sich in 450 Jahren von einem 10-Mann-Grüppchen zum weltgrössten Orden mit heute knapp 20000 Fachleuten entwickelt. Auch der deutsche Managementtrainer Helmut Geiselhart schreibt in «Das Management-Modell der Jesuiten», dass das Bemühen um ständige Verbesserung den Erhalt der Organisation gesichert habe.

Lernkultur wird auch Mario Draghi gebrauchen können. Als künftiger Herr der grossen Zentralbank im kriselnden Euro-Raum steht er jedenfalls vor immensen Aufgaben. Nach lange verfehlter Haushaltspolitik brauche man lange Sanierungen, sagte er kürzlich. Man müsse sich die Illusion aus dem Kopf schlagen, diese Probleme rasch lösen zu können. Eine kluge Einsicht, die wohl jeder Jesuit unterschreiben würde.

 

Jesuitenschulen: Renommierte Bildungsstätten

Prominente Schüler
Das Istituto Massimo in Rom gehört zu einer Reihe von jesuitisch geführten Schulen mit grossem Renommee und prominenten Schülern. Abgänger ist beispielsweise auch Ferrari-Chef Luca Cordero di Montezemolo. Zu den bekannten Absolventen der von Jesuiten geführten Georgetown- Universität bei Washington gehören Bill Clinton, Madeleine Albright, EU-Präsident José Barroso, Sachsens Ministerpräsident Kurt Biedenkopf, der jordanische König Abdullah II. sowie Kronprinz Felipe von Spanien. Jesuitenhochschulen gibt es zudem in Antwerpen, Holland und in Frankreich. Mehrere Premierminister Japans durchliefen die Tokioter Universität Sophia, die 1908 im Auftrag des Papstes ebenfalls von Jesuiten gegründet worden war.

Politiker und TV-Stars
Das Aloisius- Kolleg in Bonn besuchten etwa der deutsche Minister Thomas de Maizière und Entertainer Stefan Raab. Als Kaderschule gelten auch das Canisius-Kolleg in Berlin und das Kolleg in St. Blasien. In Wien und Linz haben Jesuiten ihre Gymnasien abgegeben. In Frankfurt/ St. Georgen betreiben sie die Philosophisch- Theologische Hochschule und in München die Hochschule für Philosophie. Eine eigene Stiftung soll den Bestand der finanziell angeschlagenen Hochschule sichern.

Auch in der Schweiz
Da Jesuitenschulen in der Schweiz zwischen 1871 und 1974 verboten waren, wichen Interessierte nach Feldkirch in Österreich oder St. Blasien im Schwarzwald aus. Im Jahr 1929 übernahmen Jesuiten das Kurbad Bad Schönbrunn in Edlibach ZG. Niklaus Brantschen positionierte die Bildungsstätte 1993 als Kompetenzzentrum für Spiritualität. Das Haus ist heute Tagungsstätte für Ethik, Mystik und Spiritualität sowie Zuhause von zehn Patres.