Frauen sind in Schweizer Teppichetagen rar. Das belegt die neuste Studie der Credit Suisse. In Verwaltungsräten ist der Anteil Frauen in den letzten Jahren zwar auf 13,4 Prozent gestiegen. Er liegt damit aber immer noch unter dem internationalen Schnitt von 14,7 Prozent. In Führungsgremien sieht es noch düsterer aus: Im Senior Mangement sind nur 6,7 Prozent Frauen - im Vergleich zu 12,6 Prozent in Europa.

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Frau Sander, kaum Frauen schaffen es in die Schweizer Chefetagen. Gleichzeitig hat das World Economic Forum der Schweiz erneut den Orden als wettbewerbfähigstes Land verliehen. Braucht es also keine Frauen, um wettbewerbsfähig zu bleiben?
Gudrun Sander*: Die Schweiz holt sich ihre Diversität durch Ausländer, anstatt durch Frauen. Sie hat im Vergleich zu anderen Ländern einen wesentlich höheren Anteil ausländischer Arbeitskräfte, die zur Wettbewerbsfähigkeit beitragen.

Es gibt also gar keinen Anreiz, Frauen zu fördern.
Rein ökonomisch betrachtet derzeit tatsächlich kaum. Die Lage dürfte sich jedoch ändern, wenn die Regulierung in Bezug auf ausländische Arbeitskräfte strenger wird. Man hätte dann mehr Anreize, Frauen zu fördern und vorhandenes Potenzial besser zu nutzen – vor allem in Branchen mit Fachkräftemangel. Dort, wo jetzt bereits hoher Wettbewerb auf dem Arbeitsmarkt besteht, dürfte sich jedoch weiter kaum etwas ändern. Banken, die derzeit massiv unter Druck steht, haben aus ökonomischer Sicht kurzfristig kaum Anreize, Frauen zu fördern und damit noch mehr Konkurrenz in den Stellenmarkt zu bringen. Die Motivation, sich im Thema zu engagieren, kann dennoch eine ganz andere sein: Banken finden es richtig und fair, hier etwas zu ändern und wollen sich langfristig als attraktive Arbeitgeberin für talentierte junge Frauen und für Kundinnen positionieren.

Im Vergleich zur Schweiz schneidet Italien gut ab: Innert fünf Jahren hat sich der Frauenanteil in Verwaltungsräten von 5,5 auf 30,8 Prozent erhöht. Wieso ist unser Nachbar so erfolgreich?
Frauen in Verwaltungsräte zu bringen, ist nicht schwierig. Für ein VR-Mandat müssen Kandidaten nicht zwingend viel Erfahrung in der spezifischen Branche haben. Ausserdem setzt man bei Verwaltungsräten auf Diversität. In der Schweiz wäre es kein Problem, ebenfalls diese Anteile zu erreichen und mehr Frauen in Verwaltungsräte zu bringen. Es gibt genügend gut ausgebildete Frauen. Die wahre Schwierigkeit ist, diese ins Senior Management zu bringen. Denn da fehlt der Nachwuchs.  Heute sind zwar über die Hälfte der Studienabgänger Frauen - sie studieren aber nur selten Fächer wie Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik. Die Pipeline für künftige weibliche Chefs vor allem in technik- und forschungsorientierten Branchen fehlt also.

Wieso ist das Problem in der Schweiz besonders gravierend?
In unserem dualen Bildungssystem müssen sich die Jungen früh für einen Beruf entscheiden. Der Arbeitsmarkt ist dadurch massiv segregiert. Viele junge Menschen entscheiden sich geschlechterspezifisch: Frauen wählen «typische Frauenjobs», Männer eher technische Richtungen. Die Förderung der Mädchen muss viel früher ansetzen, am besten in der Primarschule. Lehrkräfte sollten mehr tun, Kinder und besonders Mädchen für technische und naturwissenschaftliche Themen zu begeistern. Unternehmen könnten dabei helfen, indem sie Material zur Verfügung stellen oder Ausflüge zu Produktionsstätten organisieren. Eltern sollten Mädchen zudem nicht in rollenspezifische Fächer drängen. Die Medien können ihren Beitrag leisten, indem sie Berufe nicht geschlechterspezifisch portraitieren und mehr weibliche Vorbilder in diesen Berufen zeigen.

Solche gesellschaftlichen Rollenbilder aufzubrechen dauert lange.
Ohne ein langfristiges Umdenken in der Gesellschaft geht es aber nicht. Viele meiner Studentinnen erzählen mir, dass sie mehrere Jahre Teilzeit arbeiten oder ganz aussetzen wollen. Junge Väter wollen ihre Kinder derweil oft nicht in Krippen geben. Hier braucht es ein Umdenken: Dahin, dass Kinder keinen Schaden nehmen, wenn sich der Vater oder eine Krippe teilweise um sie kümmert. In den skandinavischen Ländern wird der Krippenbesuch als «Recht auf Bildung» angesehen und ist daher normal. Hierzulande gilt die Vollzeit erwerbstätige Mutter, die ihre Kinder in die Krippe bringt, als Rabenmutter.

Gibt es schnellere Lösungen?
Kurzfristig können Frauen benötigtes Wissen in einem zusätzlichen Studium aufholen. Das bessert ihre Chancen für höhere Positionen und Projektleitungen - und ist ein lohnendes Investment: Sie haben noch Jahrzehnte an Arbeitsjahren vor sich. Junge Frauen sollten ausserdem proaktiver Karriereplanung betreiben: sich etwa für strategisch schlaue Projekte bewerben, oder auch mal eine Stelle annehmen, die vielleicht nicht dem Traumjob entspricht, aber ein gutes Sprungbrett darstellt.

Schaffen Frauen es bei uns doch in Führungsteams, sind sie durchschnittlich oft für den Personal- oder Marketingbereich zuständig. Es gibt 70 Prozent weniger Finanzchefinnen, 67 Prozent weniger Frauen leiten zentrale Strategie- und Geschäftsbereiche. Wie kann sich das ändern?
Für die Karriere ist es am wichtigsten, Profit-und-Loss-Verantwortung gehabt zu haben, also die finanzielle Ergebnis-Verantwortung für Einheiten getragen zu haben. Viele Frauen entscheiden sich früh für einen Einstieg in die Bereiche Human Resources, Marketing oder in Stabsfunktionen – oder lassen sich später in diese abdrängen. Das ist karrieretechnisch oft eine Sackgasse: In die Geschäftsleitung schafft man es aus diesen Abteilungen kaum. Um in andere Bereiche vorzudringen brauchen Frauen vor allem Visibilität. Sie müssen in Gremien präsent sein und Projektverantwortung übernehmen.

Reicht das, um in männerdominierte Führungsgremien vorzudringen?
Nein. Gleichzeitig braucht es den Einsatz von Männern in Führungspositionen: Sie müssen die Entwicklung von Frauen zulassen, diese aktiv fördern und sie mit einbeziehen. Solche Beziehungen können gut von oben gefördert werden, mithilfe eines Mentoring- oder Sponsoringprogramms oder durch konkrete Ziele, die Bonus-relevant sind.

Wie sinnvoll erachten Sie Frauen-Netzwerke, um Frauen an die Spitze zu befördern?
Sinnvoller sind gemischte Netzwerke. Männer haben in Unternehmen meist bessere interne Netzwerke als Frauen. Das gilt auch für den Nachwuchs. Viele jüngere Männer vertrauen darauf, dass ihr Chef sich um ihre Entwicklung kümmert. Frauen sind da ungeduldiger und wechseln schneller den Job, wenn sie nicht die erwarteten Karrieresprünge machen. Frauen sollten also neben Frauennetzwerken auch gemischte Netzwerke pflegen.

Wie wichtig ist das Netzwerk, wie wichtig die Leistung?
Ich würde schätzen, beiden sind etwa 50 Prozent des Erfolgs zuzuschreiben. Wichtig ist für Frauen auch, wie klar ihre Ziele gesteckt sind: Je messbarer ihre Leistung ist, desto weniger kommt es darauf an, ob sie zum Beispiel Teilzeit arbeiten. Erfüllt man seine Ziele, ist die Chance auf den Aufstieg trotzdem da.

Welche Massnahmen zur Frauenförderung haben sich in Unternehmen als nicht erfolgreich erwiesen? 
Das hängt vom Unternehmen ab. Viele Firmen rekrutieren mittlerweile erfolgreicher Frauen, können sie aber nicht längerfristig halten und fördern. Das kann damit zu tun haben, dass diese Unternehmen vor allem auf Flexibilität gesetzt haben: Sie geben den Frauen die Möglichkeit zur Teilzeit-Arbeit und Home-Office, verlieren sie aber vom Radar für potenzielle nächste Führungspositionen. Die Frauen sind schlicht nicht mehr im Blickfeld, wenn es um Beförderungen geht – obwohl sie hohes Potenzial hätten. Das könnte sich ändern, indem man die Frauen fragt, welche Konditionen sie bräuchten, um 80 oder 100 Prozent im Unternehmen zu bleiben, anstatt 60 Prozent zu arbeiten.  Gleichzeitig müssen auch Männer mehr Möglichkeiten zur flexiblen Arbeitsgestaltung haben, um die Frauen zu entlasten. Dazu braucht es männliche Vorbilder in den oberen Führungsetagen. Grundsätzlich besteht in Unternehmen ein Problem der Karriereplanung.

Wie meinen Sie das?
In vielen Konzernen erreichen Arbeitnehmende den Karrierepeak in ihren 40ern. Davor befinden sie sich in der Rushhour ihres Lebens – müssen Karriere und Familie unter einen Hut bringen. Nach den 40ern tut sich kaum mehr was. Karrieren sollten mehr in Wellenformen verlaufen und auf Lebensphasen basieren: Arbeitnehmende sollten die Möglichkeit haben, nach dem Studium Gas zu geben, dann zurückzuschrauben um später erfolgreich wieder einzusteigen und einen nächsten Karrieresprung zu machen. Diese flexibleren Karrieren müssten Konzerne vermehrt mit Rückkehr-Programmen - vor allem für Frauen, die Auszeiten für die Kinderbetreuung nehmen - unterstützen.

Die UBS hat zuletzt mit ihrem «Career Comeback Programm» ein solches Förderungsprogramm lanciert - auch, weil die Konkurrenz damit angefangen hat. Reine PR, oder bringt das was?
Das bringt sicher etwas und ist auch ein wichtiges Signal für potenzielle neue Mitarbeiterinnen. Zudem machen dabei die Linienverantwortlichen die Erfahrung, dass Wiedereinsteigerinnen hoch motiviert und kompetent sind. Die nächste Bewerbung einer Wiedereinsteigerin sehen sie dann weniger skeptisch an.

Solche Programme lösen das Problem der Pipeline, des gut qualifizierten Nachwuchses, nicht. Oder?
Sie tragen zur Lösung bei. Viel entscheidender ist es aber, gut qualifizierte Frauen in Unternehmen zu haben und zu befördern. Und da haben die meisten Unternehmen noch Verbesserungspotenzial.
 


*Gudrun Sander ist Professorin für Management an der Universität St. Gallen. Sie leitet das Rückkehrer-Programm für Frauen «Women Back to Business» und ist Mitglied der Women's Empowerment Principles Leadership Group von UN Women und UN Global Compact.
 

Redaktorin Caroline Freigang
Caroline Freigangschreibt seit 2019 für den Beobachter – am liebsten über Nachhaltigkeit, Greenwashing und Konsumthemen.Mehr erfahren