Der schwere Wein dem Mann, der leichte der Frau. Oder: Wuchtig, kräftig, maskulin. Elegant, filigran, feminin. So zeichnet sich das Schachteldenken von Weintrinkenden. Doch das ist Quatsch, aus mehreren Gründen:

Erstens würde das bedeuten, dass der argentinische Malbec den Männern vorbehalten wäre, während die Damen den Abend mit einem Schweizer Pinot Noir verbringen. Wer selber gerne Wein trinkt weiss, dass das nicht stimmt. Je nach Gesellschaft wird der eine oder der andere Wein bestellt, zufrieden sind zumeist alle.

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Zweitens ist unklar, was man unter einem schweren Wein versteht. Viele setzen «schwer» gleich mit einem tanninreichen Wein. Tannine sind pflanzliche Gerbstoffe, die fast ausschliesslich beim Rotwein auftreten und ihm Komplexität verleihen. Sie sind das, was sich auf der Zunge pelzig anfühlt und erst verschwindet, wenn man dazu isst. Nur lebt beispielsweise gerade der Pinot Noir von Tanninen – was heissen würde, dass ein filigraner Pinot Noir kein Frauenwein, sondern ein schwerer Männerwein sein soll. Also Unsinn.

Eine andere Erklärung findet sich, wenn man «schwer» mit einem hohen Alkoholgehalt gleichsetzt. Dann wären der erwähnte Malbec, aber auch der süditalienische Primitivo oder ein klassischer Amarone Anwärter für den Männerwein. Sie alle stammen aus südlichen Gefilden mit viel Sonne. Entsprechend entwickeln die Trauben viel Zucker, der bei der Gärung in Alkohol umgewandelt wird und den Wein auf mehr als 13 Volumenprozente pusht. Gleichzeitig behalten diese Weine aber auch einen Teil Restsüsse – ein Argument, das oftmals für Frauenweine vorgebracht wird. Das birgt das nächste Paradox: alkoholreiche Weine den Männern, die Restsüsse aber den Frauen? Das geht nicht auf, beide Geschlechter trinken offensichtlich den gleichen Wein gerne.

Eine ganz leichte Frauen-Männer-Weine-Tendenz gibt es bei der Weinfarbe: Frauen präferieren im deutschsprachigen Raum eher Weissweine, Männer mögen lieber Rotweine. Das gilt aber nicht über den Röstigraben hinweg – die Westschweizer verteidigen ihren Chasselas vehement und servieren ihn auch zum Abendessen. Deutschschweizer hingegen würden Schnappatmung kriegen, wenn sie nach dem Weissen zum Apéro keinen Rotwein zum Hauptgang serviert bekämen – Männer wie Frauen.

Schlussendlich gibt es auch objektive Evidenz, dass das Klischee nicht existiert. Bei Blindverkostungen kristallisierte sich kein Geschlechterunterschied, sondern vielmehr ein Wissensunterschied heraus. Der Hobbykonsument trinkt für sein Vergnügen, die Fachexpertin muss die Weinwelt mit all ihren Facetten kennen und beurteilen. Das bringt unterschiedliche Vorlieben hervor, weil aufgrund der Erfahrung anders verkostet und argumentiert wird.

Frauenweine oder Männerweine – diesbezügliche Bezeichnungen sind also so unnötig wie laienhaft. Lieber stossen wir zufrieden mit einem Johannisberg an, geniessen den Primitivo Negroamaro zum Fleisch und beenden den Schmaus mit einem süssen Moscato zum Käse. Das klingt in meinen Ohren nach einem sehr gelungenen Abend. Mit Männern und mit Frauen.

Primitivo Negroamaro Conte Giangirolamo
Quelle: ZVG

Typisch: Primitivo Negroamaro

Der Süditaliener muss immer wieder seinen Kopf herhalten als Laienwein. Dabei ist Primitivo ein Garant für gelungene Abende: Intensiv im Geschmack dank Tanninen, Alkohol und Restsüsse. Was will Mann und Frau mehr? Wer es etwas komplexer haben will, tischt einfach eine Primitivo-Negroamaro-Cuvée auf wie den Conte Giangirolamo. Negroamaro bringt Komplexität in die Cuvée ein, die auch Weinexperten verstummen lässt.

Conte Giangirolamo, IGP Puglia, Tenute Girolamo, 2018, 36 Franken, 14,5% vol. Alk.

In dieser Kolumne schreiben die «Handelszeitung»-Redaktoren Michael Heim und Ben Müller sowie die Autorin Tina Fischer alternierend einmal im Monat über Bier und Wein. Fischers Familie besitzt eine gleichnamige Weinhandlung, sie schreibt aber lieber über Wein, als dass sie ihn verkauft.

Tina Fischer
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