Vor einem halben Jahr liess der Arzt im Chefsessel von Novartis erstmals öffentlich Symptome von Arbeitsüberlastung erkennen. Er fühle sich an eine übervolle Agenda gekettet und schleppe Abend für Abend «mit Dokumenten gefüllte Einkaufstaschen» nach Hause, klagte Daniel Vasella im «Wall Street Journal». Vom Tagesgeschäft entlasten soll den höchstbezahlten Firmenchef der Schweiz jetzt sein langjähriger Weggefährte Jörg Reinhardt. Dass Reinhardt die neu geschaffene Position eines Chief Operating Officer übernimmt und damit zur identifizierbaren Nummer zwei hinter Vasella aufrückt, entspricht dem Wunsch des Novartis-Verwaltungsrats, dem das zentralistische Führungsverständnis seines Exekutivpräsidenten allmählich doch etwas suspekt geworden zu sein scheint.

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Reinhardt ist kein eitler Selbstdarsteller, der das Rampenlicht sucht. Obwohl ihm Kollegen durchs Band ein erhebliches Mass an Führungsstärke und Charisma attestieren, hat der promovierte Pharmazeut die Bodenhaftung nicht verloren. Vasellas designierter Stellvertreter zeigt sich regelmässig in den Labors und sucht – stets unaufgeregt und sachlich – den Kontakt zur Basis. «Er entdeckt Schwachstellen sofort, bietet gleichzeitig aber immer auch Lösungen an», sagt einer aus der Entourage des neuen Betriebsleiters.

SEINE VERTRAUTEN
Den überwiegenden Teil seiner Laufbahn hat Reinhardt in den Reihen des Basler Pharmamultis verbracht. Bereits vor 26 Jahren stiess der Absolvent der Uni Saarbrücken zum Novartis-Vorgängerunternehmen Sandoz, wo er verschiedene leitende Tätigkeiten in Forschung und Entwicklung ausübte. Im Executive Committee von Sandoz traf Reinhardt Mitte der neunziger Jahre auf den Senkrechtstarter Daniel Vasella, mit dem er seither mehr oder weniger eng zusammenarbeitet und hervorragend harmoniert.

Zum inneren Zirkel gehört seit diesen frühen Tagen auch der ursprüngliche Ameisenexperte und spätere Forschungschef Paul Herrling. Nach der Fusion mit Ciba verantwortete Reinhardt zunächst die präklinische Entwicklung im Konzern, um 1999 zum Leiter der globalen Medikamentenentwicklung von Novartis aufzusteigen. Bis vor drei Jahren war er in dieser Funktion für die gesamte klinische, pharmazeutische, chemische und biotechnologische Produktentwicklung, die Prüfung der Arzneimittelsicherheit sowie sämtliche regulatorischen Angelegenheiten zuständig. Unter Reinhardts Führung brachte Novartis Milliardenseller wie Diovan und Glivec auf den Markt und erarbeitete sich im Kerngeschäft – der Entwicklung und Zulassung neuer Wirkstoffe – einen hervorragenden Ruf.

SEINE KONKURRENTEN
Aufgrund seiner breiten Erfahrung und unbestrittenen Fachkompetenz galt Jörg Reinhardt schon vor seiner Ernennung zum COO als logischer Anwärter für die Vasella-Nachfolge. Sein einziges Handicap: Mit 52 Jahren ist er nur drei Jahre jünger als der amtierende Doppelmandatsträger. Ex-Pharmachef Thomas Ebeling, vorübergehend als potenzieller Nachfolgekandidat gehandelt, wurde im vergangenen Herbst degradiert und verlässt Novartis. Mit dem Leiter der Generikasparte, Andreas Rummelt, wurde soeben ein weiterer Kandidat in der Konzernhierarchie empfindlich zurückgestuft. Vergleichsweise geringe Chancen auf den Topjob werden auch dem amerikanischen Marketingspezialisten Joseph Jimenez eingeräumt, der seit rund einem Jahr die Pharmadivision führt. Das Potenzial, einen Mann von Reinhardts Kaliber noch aus der Pole Position zu verdrängen, haben allenfalls Onkologiechef David Epstein und der Vasella-Protégé Andrin Oswald, der neu die Leitung der Impfstoff- und Diagnostiksparte übernimmt.

SEINE IMPFSTOFF-VERBÜNDETEN
Das vom Biotech-Unternehmen Chiron übernommene Impfstoff- und Diagnostikgeschäft hat Reinhardt in den vergangenen drei Jahren saniert und auf eine solide Basis gestellt. «Reinhardt ist jemand, der ein Geschäft umdrehen kann», bestätigt Ralf Clemens, Entwicklungschef von Vaccines and Diagnostics. Zu den Schlüsselfiguren der neuen Konzernsparte, von der sich Novartis sehr viel verspricht, gehört der Impfstoffexperte Rino Rappuoli aus Siena. Als richtungsweisend gilt die von Reinhardt ausgehandelte Kooperation mit dem österreichischen Biotech-Unternehmen Intercell. Reinhardt sei «ein Mensch, der mitreissen und motivieren kann», sagt der CEO von Intercell, Gerd Zettlmeissl. «Er orientiert transparent und kommuniziert ohne Umwege», so Zettlmeissl, «für uns war das sehr vertrauensbildend.»

SEIN PRIVATLEBEN
Schon als Leiter des Impfstoffgeschäfts war Reinhardt ständig auf Achse, bewegte sich zwischen den wichtigsten Divisionsstandorten im hessischen Marburg, in Siena und Cambridge (Boston). Als COO wird er notgedrungen noch öfter im Flugzeug sitzen. Wann immer er zwischen zwei Auslandtrips am Basler Konzernhauptsitz weilt, begibt sich Reinhardt nach Feierabend in die Ortschaft Ehrenkirchen bei Freiburg im Breisgau. Hier ist er zu Hause und versteuert folglich auch sein Gehalt, das sich 2007 inklusive Bonus auf über fünf Millionen Franken belief. Ehefrau Sigrid Reinhardt – auch sie eine Pharmazeutin – betreibt in Ehrenkirchen die Parcelsus Apotheke. Das Paar hat zwei erwachsene Kinder. An freien Wochenenden, von denen es in Reinhardts Terminkalender nicht allzu viele gibt, zieht sich der Novartis-Betriebschef in sein Tessiner Ferienhaus zurück. Am Ufer des Lago Maggiore gewinnt er Abstand von der Hektik des Geschäfts, geniesst die Natur und führt seinen Hund, einen Jack-Russell-Terrier, spazieren.

SEINE FÖRDERER
«Reinhardt ist ein netter, umgänglicher Typ, der aber handkehrum erstaunlich tough sein kann», erklärt einer aus dem Team des designierten Betriebsleiters. «Um seine Vorgaben durchzuboxen, versteht er es, die Leute auf Trab zu bringen.» Überzeugt von den Qualitäten des künftigen Vasella-Entlasters scheint nicht nur William George, Vorsitzender des Corporate Governance and Nomination Committee, zu sein. Ohne das Plazet der beiden Novartis-Vizepräsidenten Ulrich Lehner und Hans-Jörg Rudloff wäre Reinhardts Beförderung kaum möglich gewesen. Im Nominierungsausschuss soll Reinhardt auch von Novartis-Grossaktionär Pierre Landolt und Nobelpreisträger Rolf Zinkernagel unterstützt worden sein.