Wer es bis hinauf ins Oberbort geschafft hat, ist buchstäblich ganz oben. Nur Leute, denen es gleichgültig sein kann, ob sie ein paar Millionen mehr oder weniger auf ihren Bankkonten parkiert haben, können sich an diesem Milliardenhügel hinter dem Luxushotel Palace in Gstaad ein Chalet leisten.

«Absurd sind die Preise», erzählen unten im Dorf die Einheimischen. Eine holzverschalte Supervilla kostet heute locker zehn Millionen Franken. Viel für einen Zweitwohnsitz, in dem der Besitzer meist nur ein paar Tage pro Jahr verbringt – in der Regel zwischen Weihnachten und Silvester sowie im Februar. Mitte Juni hingegen sind im Chaletviertel fast nur Handwerker, Gärtner und Hausverwalter zu sehen. Oder ein paar Schafe, die hinter dem Chalet Sunnmatt von Nicolaus Springer weiden. Der Sohn des verstorbenen deutschen Pressezaren Axel Springer verlegte seinen Wohnsitz nach Gstaad: «Weil ich hier meine Ruhe habe.» Der Nachfahre des einstigen «Bild»-Verlegers will von Presseleuten nicht belästigt werden.

Springer kann ruhig schlafen: Die Superreichen bleiben am Oberbort unter sich. Dafür sorgen Landpreise und die vorgeschriebene, kostspielige Chalet-Bauweise. Nur hinten im Gigerli gibt es noch Bauernhöfe. Hier hat eine Familie nicht nur einen fantastischen Ausblick ins Rottal und aufs Wildhorn, sondern auch aufs benachbarte Chalet, das der Hollywood-Diva Elizabeth Taylor gehörte. Ihr Göttergatte Nummer vier, Eddie Fisher, erstand das Haus Anfang der Sechzigerjahre für 280 000 Dollar. Liz liebte es nur bedingt, denn sie soll Fisher damals gefragt haben: «Weisst du, dass es nicht mal eine Badewanne hat?» In seiner 1999 publizierten Biografie schrieb Fisher: «Nun ist es Millionen wert.»

Die Millionen dürfte die Taylor eingefahren haben: Vor kurzem soll das Chalet von der Verlegerfamilie Michalski erstanden worden sein. Vera Michalski-Hoffmann ist die Tochter des milliardenschwerden Roche-Aktionärs Lukas Hoffmann. Auch er besitzt in Gstaad ein Chalet – das «Esmeralda». Einst gehörte es Nina Kandinsky. Die Witwe des berühmten Malers wurde darin 1980 laut «Blick» «mit blossen Händen erdrosselt». Der Mord wurde bis heute nicht aufgeklärt.

Mittlerweile dürfte auch das «Esmeralda» total saniert sein. Ein in Gstaad üblicher Vorgang: So lasse der Formel-1-König Bernie Ecclestone allein für den Umbau der Küche in seinem Chalet Lion ein paar Hunderttausend Franken springen. Obwohl das Vorläufermodell erst sieben Jahre alt gewesen sei, verbreiten Klatschmäuler im Dorf.

Unter den neuen Chalets lassen sich problemlos Heimkinos und Hallenbäder verstecken. Man muss nur tief genug in den Hang hinein buddeln – auch um Platz zu schaffen für die Luxuskarossen. Daher verschlingt ein solcher Feriensitz laut Handwerkern heute fünf bis acht Millionen Franken – ohne Land. Der Quadratmeterpreis ist am Oberbort auf über 1000 Franken geklettert.

Erstaunlich, denn dort sind längst nicht mehr nur beste Lagen erhältlich: Zurzeit wird gleich neben dem Parkplatz des «Palace» ein Chalet hochgezogen. Es kostet, so Handwerker, über 20 Millionen. Auch wenn es wohl weniger ist: Die Besitzerin hats. Hier baut Donatella Spät-Bertarelli, die Schwester von Ernesto Bertarelli (36), dem Chef von Serono, einer der grössten Biotech-Gruppen der Welt. Der Multimilliardär heiratete im letzten Jahr bei Gstaad in einem Zelt. 2002 könnte er problemlos ein ganzes Zeltdorf in seinen zukünftigen Garten im Weiler Gruben stellen. Für das Anwesen soll Bertarelli rund 20 Millionen ausgegeben haben. Vom denkmalgeschützten Chalet auf dem Grundstück stehen nur noch die Aussenwände und das Dach. Es wird zurzeit für weitere Millionen fachgerecht ausgehöhlt und völlig umgebaut. Einst gehörte es Richard Graf Coudenhove-Kalergi, der in den Zwanzigerjahren die Idee eines vereinten Europa lanciert hatte. Auch eine weitere lebende Legende trennte sich von seinem Anwesen: der Geigenvirtuose Lord Yehudi Menuhin. Nicolas Bär, Ehrenpräsident der Bank Julius Bär, liess dessen Chalet umgehend abreissen. Ein neues ist im Bau.

Abgezogen sind die Handwerker vom früheren Grundstück des Harrod’s-Besitzers Mohamed al-Fayed, des Vaters des zusammen mit der englischen Prinzessin Diana in Paris verunfallten Dodi. An der Stelle des abgebrochenen Chalets des Londoner Warenhauskönigs steht dort nun das «Tanneggli» aus dem 17. Jahrhundert. Es gehört Thomas Straumann, dem Präsidenten der gleichnamigen Firma, die Dentalimplantate herstellt.

Einst hiess es «Cholihuus» und musste einem Hotel weichen. Straumann liess das denkmalgeschützte Schmuckstück aus dem Depot holen und es als Gästehaus am Oberbort aufstellen. Der Industrielle hat seit fünf Jahren in Gstaad seinen Wohnsitz: «Hier kann ich abschalten.» Ihm gefällt nicht nur die Landschaft, sondern auch der Mix von Einheimischen und internationalem Publikum: «Hier kennt jeder jeden.»

Eingenistet hat sich Straumann im Chalet Thieral. Ein Teil der kunstvollen Holzverschalung stammt laut Inschrift aus dem Jahr 1823. Darunter ist ein Gedicht von Hermann Hesse in die Balken geritzt. Mutter Marianne Straumann hat sich in unmittelbarer Nähe des 20 bis 30 Millionen teuren Anwesens ihres Sohnes das Chalet Santa Maria erstanden.

Ein bevorzugtes Refugium ist Gstaad auch für Erben wie Mick Flick und Unternehmer, die ihre Firmenanteile verscherbelt haben wie beispielsweise der deutsche Werbeartikel-Versandhändler Jürgen Oppermann oder Curt Engelhorn. Der einstige Firmenboss trat seine Beteiligung am Chemiekonzern Böhringer an Roche ab. Sie lösen die Hollywoodstars ab: Curd Jürgens war hier und die ebenfalls verstorbene Audrey Hepburn. Roger Moore lässt sich kaum mehr blicken wie Julie Andrews.

Kramen Insider in ihren Erinnerungen, sprechen sie gerne vom Kommen und Gehen, das die Gstaader Schickimicki-Szene in den letzten Jahrzehnten geprägt haben soll. So gab es die «Welle» der Araber. Sie sollen ihre Chalets gerne mit goldenen Wasserhahnen geschmückt haben.

Auch griechische Reeder investierten gerne in Saanenländer Holzhäuschen. Im Telefonbuch finden sind gleich drei Angehörige der Familie Goulandris. Taki Theodoracopulos schnödet gern und oft in seinen Kolumnen für die «New York Post» oder die «Sunday Times» über die Verschandelung der Region und die zu hohen Preise. «Die Einheimischen sind gierig», jammerte er und behauptete: «Das Problem von Gstaad ist, dass Leute einmarschieren, die reich an Geld und arm an Abstammung sind.»

Aber: Das Telefonbuch beweist das Gegenteil. Eine stattliche Zahl von Adeligen sind der Region treu geblieben. So hat die italienische Exkönigsfamilie laut «Glückspost» in Gstaad ihren Hauptwohnsitz. Ihr in die Jahre gekommenes Chalet Santana wirkt neben den Palästen des internationalen Geldadels wie eine Jagdhütte.

Beehren Blut- und Geldadel Gstaad, wird nicht gespart: Ein Pärchen lässt allein zum Apéro locker einen Tausender liegen. Denn die Chaletbesitzer sind gute Kunden der Fünfsternehotellerie. Der General Manager des «Palace», Andrea Scherz, schätzt, allein mit dieser Klientel im letzten Winter 800 000 Franken eingenommen zu haben. Zweitwohnungsbesitzer bringen bei ihm ihre Gäste unter, essen dort oder ordern Caterings. Auch das Grand Hotel Park setzt unter anderem dank dem Partyservice für Wohneigentümer mehrerere Hunderttausend Franken um. Beliebt sind auch die Dienste der 13-köpfigen Crew, die im Winter die rund 800 Mitglieder des Eagle Ski Club umsorgt. Er gilt als «einer der exklusivsten» der Welt. Erreichbar ist das Klubhaus auf knapp 2000 Metern nur per privaten Skilift. Zu den Gründern zählt der Earl of Warwick, ein so genannter Rosey-Boy. Das «Le Rosey» ist eine von drei superteuren Privatschulen in der Region. Viele Schüler kommen später zurück – als Fünf-Sterne- oder Chalet-Gast.

Die Hauseigentümer gaben in den Sechziger- und Siebzigerjahren rauschende Feste im «Palace» – heute feiern sie zu Hause. «Das sind kleinere Feste», sagt der Deutsche Gunter Sachs, der im Berner Oberland seit 25 Jahren das «Vieux Chalet» besitzt: «Gstaad ist gemütlicher, familiärer als St. Moritz. Dort ist alles viel prachtvoller, aber auch hektischer.»

Seit Gstaad auch eine verkehrsfreie Promenade hat, ist es für die Millionarios noch attraktiver. Sie können von Edelboutique zu Edelboutique flanieren, wo man ihnen im Notfall innert Stunden ein neues Prada-Fähnchen für die Party am Abend umschneidert. Kaum ein Luxuslabel fehlt an dieser Flaniermeile. Der Umsatz pro Laden und Jahr betrage rund eine Million Franken, sagt ein Boutiquenbesitzer. Früher, in den Achtzigerjahren, gab es diese noblen Ladenlokale noch nicht. Da pilgerten die Schönen und Reichen zu Valentino. Der verkaufte ihnen in seinem Chalet seine begehrten Designerklamotten. Heute haben auch der Stoffproduzent Emilio Ferré und die deutsche Modemacherin Jil Sander einen Chaletsitz im Saanenland.

Dort gehören heute nicht nur die Boutiquenbesitzer zu den Vermögenden: In diese Klasse aufgestiegen sind dank dem Bauboom auch Immobilienhändler wie der Porsche-Fahrer Marcel Bach oder der Architekt Walter Matti, der laut Insidern für die teuersten Chalets der letzten Jahre gezeichnet hat wie das 20-Millionen-Chalet Aida im Wispile- Gebiet für einen Bruder des Waffenhändlers Adnan Kashoggi. In Spitzenjahren wie jetzt werden Zweitwohnsitze im Wert von gegen 200 Millionen an den Mann oder die Frau gebracht. Die Kommission für den Händler beträgt zwei bis fünf Prozent.

Dafür kaufen sich die Besitzer absolute Diskretion. Es findet sich kaum ein Einheimischer, der sich getraut, eine Chaletführung zu machen und auszuplaudern, wem was gehört. Die Lektion, den Superreichen mit höchster Diskretion zu begegnen, saugen die Saanenländer mit der Muttermilch auf. Diese Gäste lassen schliesslich die Kassen klingeln.

Auch bei der Gemeinde: 39 Millionen betrugen die Steuereinnahmen, 9,3 Millionen Franken mehr als budgetiert. Allein 6,2 Millionen sind Liegenschaftsgewinnsteuern aus Handänderungen in der oberen Preisklasse. Das ist das zweitbeste Jahr seit 1995. Damals beliefen sich die Gewinnsteuern gar auf rund sieben Millionen Franken. Allerdings ist sich Gemeinderatspräsident Andreas Hurni auch bewusst, wie volatil diese Einnahmen sind: «Einer ist uns weggestorben, der Staats- und Gemeindesteuern in der Höhe von einer Million Franken bezahlt hat.»

An der Qualität der medizinischen Versorgung lag es kaum. Die Zweitwohnungsbesitzer kümmerten sich auch darum: Um das Spital Saanen vor der Schliessung zu retten, gründeten sie zusammen mit Einheimischen einen Verein und spendeten bis heute 3,5 Millionen Franken. Damit wurde unter anderem ein Computertomograf installiert. Laura Mentzelopoulos, deren Familie Château Margaux gehört, überwies allein 200 000 Franken für die Mini-Intensivstation. Dafür ehrt sie ein Schild an der Eingangstür.

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