Dani Rodriks neues Buch ist auf dem Markt: «Economics rules» heisst das Werk des türkischstämmigen Harvard-Ökonomen, der zu den wichtigsten Forschern in der Handelspolitik und Entwicklungsökonomie gehört. Untertitel: «The Rights and Wrongs of the Dismal Science.»

Das Buch richtet sich an alle, die entfernt mit Ökonomie zu tun haben: Wirtschaftswissenschaftler, Studenten, Politiker, Journalisten. Der Text überzeugt, weil er knapp, aber beispiel- und aufschlussreich erklärt, wie man Ökonomie betreiben sollte – und wie nicht.

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Eine undogmatische Wissenschaft

«Economics Rules» ist sowohl Generalkritik als auch Gebrauchsanweisung der Wirtschaftswissenschaften. Die Quintessenz des Buches legt Rodrik im Epilog in Form von zwanzig Geboten dar. Zehn davon richten sich an Ökonomen, zehn an Nicht-Ökonomen.

Rodriks zehn Gebote für Ökonomen lauten:

  1. Die Wirtschaftswissenschaften sind eine Sammlung von Modellen; schätze deren Vielfalt
  2. Es ist ein Modell, nicht das Modell
  3. Mach dein Modell einfach genug, um einzelne Faktoren und deren Funktion zu isolieren, aber nicht so einfach, dass es wichtige Einflüsse zwischen diesen Faktoren auslässt
  4. Unrealistische Annahmen sind OK, unrealistische kritische Annahmen sind nicht OK
  5. Die Welt ist (fast) immer «second best»
  6. Um ein Modell an die reale Welt anzupassen braucht es explizite empirische Arbeit, die mehr Kunst als Wissenschaft ist
  7. Verwechsle Übereinstimmung unter Ökonomen nicht mit Gewissheit darüber, wie die Welt funktioniert
  8. Es ist OK zu sagen «ich weiss es nicht», wenn Du über die Wirtschaft oder Politik befragt wirst
  9. Effizienz ist nicht alles
  10. Die Werte des Publikums mit deinen eigenen Werten zu ersetzen ist ein Missbrauch deiner Expertise

Die Liste verdeutlicht, worum es dem 58-jährigen geht. Rodrik will die Ökonomie als pluralistische, bescheidene, in ihren Aussagen präzise aber in ihren Schlussfolgerungen pragmatische Wissenschaft verstanden wissen. Mathematische Modelle (die Hauptmethode der Ökonomie, über die Rodrik im Buch ausführlich spricht) seien im Grunde genommen wie Fabeln, so Rodrik: vereinfachte Darstellungen der Realität mit einer klaren Botschaft. Die Botschaft eines bestimmten Modells lässt sich jedoch nur in bestimmten Situationen anwenden – zu anderen Situationen passt sie überhaupt nicht.

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Alles hängt vom Kontext ab

Rodriks zehn Gebote hören sich wie Selbstverständlichkeiten an. Trotzdem gibt es Gründe, warum sie wichtig sind. Den Hauptgrund nennt Rodrik gleich selbst: Die Leitsätze werden immer wieder verletzt. Auch deshalb geniessen die Wirtschaftswissenschaften in der Öffentlichkeit nicht immer das beste Image (ein Thema, das bereits im letzten Beitrag über den Nobelpreisträger Angus Deaton zur Sprache kam).

Als Beispiel für falsch verstandene Ökonomie nennt Rodrik die Politik, die Weltbank und Internationaler Währungsfonds (IWF) in der Vergangenheit angewendet haben: eine Reihe von Standardrezepten, die als «Washington Consensus» bekannt wurden und die Liberalisierung von Märkten, Wechselkursen, Handelsbeziehungen und des Kapitalverkehrs beinhalteten. Dass diese Massnahmen vielen lateinamerikanischen Ländern in den Achtzigern und Neunzigern copy-paste-mässig aufdiktiert wurden, beurteilt Rodrik kritisch.

«Ein Problem war, dass der Washingtoner Konsens den institutionellen Unterbau nicht beachtete, der für wirkungsvolle marktorientierte Reformen notwendig gewesen wäre. Um das einfachste Beispiel zu nehmen: Privatisierungen bringen ohne Rechtsstaat [...] und Kartellbehörden mindestens so oft Klientelismus und Monopole hervor, wie sie Wettbewerb und Effizienz fördern.»

Und weiter:

«Die Abschaffung von Zöllen – ein Schlüsselelement des Washingtoner Konsens – hätte zur Schrumpfung und Schliessung von Firmen führen sollen, die international nicht wettbewerbsfähig sind, so dass deren Ressourcen (Arbeiter, Kapital, Manager) in anderen Teilen der Wirtschaft gebraucht werden können. Effizientere, international wettbewerbsfähigere Sektoren hätten diese Ressourcen aufnehmen und so das Wirtschaftswachstum befördern sollen. In den afrikanischen und lateinamerikanischen Ländern, wo diese Strategie umgesetzt wurde, stellte sich zwar der erste Teil der Vorhersage ein, nicht aber der zweite.»

Rodriks Kritik am Washingtoner Konsens ist zwar nichts Neues. Trotzdem verdeutlicht sie, worum es ihm geht: Werden wirtschaftswissenschaftliche Erkenntnise dogmatisch und ohne Rücksicht auf spezifische Kontexte in Politik umgemünzt (etwa, indem wie oben die Gebote 1 bis 4, speziell 5, sowie 7, 9 und 10 missachtet werden), so läuft die Sache meist schief. Ein Punkt, der auch im aktuellen Fall von Griechenland relevant ist.

Economics Rules: Vortrag zum Buch an der London School of Economics.

Gebote an die Leser

Rodrik drischt aber nicht bloss auf Wirtschaftswissenschaftler ein, sondern nimmt auch die Kritiker der Disziplin ins Visier. Diese beschuldigt er, sich oft derselben Vergehen schuldig zu machen wie Ökonomen selbst. Nämlich, die Ökonomie nicht das darzustellen, was sie eigentlich ist – eine wertfreie, rigorose aber doch vielfältige Sozialwissenschaft –  sondern sie auf ihr eigenes Zerrbild zu reduzieren.

Die zehn Gebote, die Rodrik an Nicht-Ökonomen richtet, sind:

  1. Die Wirtschaftswissenschaften sind eine Sammlung aus Modellen ohne vorbestimmte Schlussfolgerungen; weise jegliche anderen Behauptungen zurück
  2. Kritisiere kein ökonomisches Modell wegen seiner Annahmen; frage, wie sich die Resultate ändern würden, wen gewisse, problematische Annahmen realistischer würden
  3. Analyse erfordert Einfachheit; nimm dich in Acht vor Inkohärenz, die sich als Komplexität tarnt
  4. Lass dich von der Mathematik nicht abschrecken; Ökonomen verwenden sie nicht, weil sie klug sind, sondern weil sie nicht clever genug sind
  5. Gibt ein Ökonom eine Empfehlung ab, so frage, was ihn/sie so sicher macht, dass sein zugrundeliegendes Modell für den spezifischen Fall angemessen ist
  6. Spricht ein Ökonom von «Wohlfahrt», so frage, was er/sie damit meint
  7. Beachte, dass Ökonomen in der Öffentlichkeit anders sprchen mag als im Seminarraum
  8. Nicht alle Ökonomen beten freie Märkte an, aber die meisten wissen besser als Du, wie Märkte funktionieren
  9. Wenn Du glaubst, alle Ökonomen denken gleich, besuch eines ihrer Seminare
  10. Wenn Du glaubst, Ökonomen sind besonders grob zu Nicht-Ökonomen, besuch eines ihrer Seminare

Weitere Ressourcen:

Simon Schmid
Chefökonom bei der Handelszeitung. Früher beim Tages-Anzeiger. Wirtschafts- und sozialwissenschaftlich inspirierter Schreiber.
Twitter: @schmid_simon

 

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