Karin Frick, Head of Think Tank, Member of Executive Board, Gottlieb Duttweiler Institut

Das Corona-Jahr liefert wohl eine Menge Stoff für den GDI Think Tank. Würden Sie die aktuellen Ereignisse sogar mit einer Zeitenwende gleichsetzen?

Zeitenwende wäre zum aktuellen Zeitpunkt zu hoch gegriffen, da vieles, auch die nähere und mittelfristige Zukunft, nach wie vor unklar ist. Die Pandemie wirkt aber sicherlich wie ein Verstärker. Sie beschleunigt strukturelle Veränderungen, die seit Jahren im Gang sind, zum Beispiel die Digitalisierung. Gleichzeitig werden Geschäfte und Betriebe «mit Vorerkrankungen» – etwa im stationären Fachhandel, der seit Jahren ums Überleben kämpft – noch schneller vor dem Aus stehen. Corona ist also eine Art Brandbeschleuniger für eine breite Konsolidierung in zahlreichen Branchen.

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Was sind die markantesten Verwerfungen und Verschiebungen, die Corona für unsere Gesellschaft und Wirtschaft mittel- und langfristig auslösen könnte?

Das hängt davon ab, wie lange es dauert, bis ein Heilmittel oder eine Impfung gegen Covid-19 gefunden wird. Möglicherweise werden die Gesundheitstests und die verschärfte Gesundheitsüberwachung bestehen bleiben, vergleichbar mit den strengeren Sicherheitschecks und der ausgebauten Videoüberwachung nach den Attentaten von 9/11.

Welche neuen Trends könnten sich etablieren?

Das Bewusstsein für die Verletzlichkeit der globalen Lieferketten könnte der Kreislaufwirtschaft zum Durchbruch verhelfen. Ein Trend dürfte also sein, dass wieder vermehrt in der Nähe produziert und in regionale Wertschöpfungsnetze investiert wird.

Wie würden Sie die «neue Normalität» aus persön­licher Sicht beschreiben?

Wir leben in einer Art Zwischenwelt. Keiner weiss, wie lange das dauern wird. Das führt zu Unsicherheit, Überforderung und Ängsten. Der Bewegungsradius nimmt ab, man bleibt öfter daheim, macht Ferien im Inland, kauft regional ein und trifft sich in kleinem Rahmen. Abstand heisst die Devise – für Staaten ebenso wie für Personen. Grenzen werden wieder vermehrt gesichert statt aufgelöst

Urs Schaeppi, CEO Swisscom

Die Corona-Krise beschleunigt die Digitalisierung und nötigt unzählige KMU zu entsprechendem Handeln. Eine Chance für Swisscom?

Corona ist für viele KMU und auch für Swisscom eine Chance. Wir sehen zurzeit einen markanten Digitalisierungsschub. Prozesse und Dienstleistungen werden online verfügbar gemacht. Es geht aber darüber hinaus. Wir werden uns in Europa verstärkt über die Lieferkette Gedanken machen müssen. «Glokalisierung» ist da ein Schlagwort, das immer wieder auftaucht. Die Produktion wird vermehrt wieder in der Schweiz stattfinden. Für diese hochdigitale Industrie 4.0 – die vielfach von KMU erbracht wird – haben wir als Swisscom viele Lösungen parat.

Das Jahr 2020 hat «Normalität im Leben» neu definiert. Was bedeutet diese neue Normalität für Sie als CEO von Swisscom?

Die Art, wie wir zusammenarbeiten, hat sich substanziell verändert: Sie findet verstärkt auf virtueller Ebene statt. 
Ein Trend, der sich zwar schon seit Jahren abzeichnet, nun jedoch deutlich Fahrt aufnimmt. Aber wir sehen auch, dass wir Menschen soziale Wesen sind, die den persönlichen Austausch brauchen. Die Herausforderung für uns alle – Mitarbeitende und Führungskräfte – besteht darin, einen gesunden Mix aus Homeoffice, virtueller Zusammenarbeit und dem Austausch vor Ort im Büro zu finden.
 

Welche Transformationen, Herausforderungen und Chancen warten auf ­Swisscom im Jahr 2021?

Corona wird uns bis ins 2021 hinein begleiten. Die Schweizer Wirtschaft muss auf diese neue Normalität eine Antwort finden. Die Digitalisierung ist dafür ein wichtiges Schlagwort. Die Basis für deren Nutzung sind leistungsstarke Netze. Das eröffnet Chancen nicht nur für Swisscom, sondern für die Schweizer Wirtschaft und jeden Einzelnen. Hier braucht es eine stärkere Unterstützung seitens der Politik, um beim Ausbau des effizienten 5G-Netzes im Vergleich zu anderen Ländern nicht abgehängt zu werden

Christian Jott Jenny, Gemeindepräsident St. Moritz, Tenor und Kulturproduzent

Sie sind vor zwei Jahren mit vielen Ideen Gemeindepräsident von St. Moritz geworden. Welche haben Sie umgesetzt, inwiefern wurden Sie von der Corona-Krise ausgebremst?

Es tröstet mich, dass wir nun wenigstens mit einem ganz wichtigen Projekt für St. Moritz voranschreiten können: mit der Reithalle. Ein wirklich wichtiger Kulturtempel direkt am St. Moritzer See. Wir brauchen hier neue Räume, Begegnungsorte 
mit Herz und Seele. Ich hoffe, dass ich wenigstens diesen ersten Nagel einschlagen kann. Ansonsten ist das so in der Demokratie: Die Mühlen mahlen langsam.
 

Und in Covid-19-Zeiten noch langsamer?

Das kann ich nicht im Detail sagen. Aber es ist schon zu beobachten, dass noch intensiver abgewogen und oft gezögert wird. Dabei wären nun unternehmerischer Mut, Furchtlosigkeit und Macherqualitäten angesagt. Dafür sind die Strukturen in unserem Land jedoch zu beklemmend, die Korsette zu eng. Ich glaube, dass in der Privatwirtschaft der Moment für alle Schlechtwetterkapitäne gekommen ist. Jetzt trennt sich die Spreu vom Weizen.
 

Als Tenor singen Sie regelmässig. Können Sie öffentlich auftreten oder hat sich Ihr Hobby auf Streaming-Konzerte verlagert?

Ich halte wenig bis gar nichts von Online-Konzerten. Das ist nicht die Idee der Sache und schon gar nicht mein Ding, weil ich den direkten Kontakt und die Kommunikation mit dem Publikum auf allen Ebenen liebe. Deshalb trete ich immer noch live auf. Da und dort zumindest.
 

Corona hat eine «neue Normalität» gebracht. Wie gehen Sie mit ihr um: Als Präsident der Tourismusgemeinde St. Moritz, als Entertainer, Lebemann?

Ich habe schon als Jugendlicher literweise Echinaforce getrunken. Vielleicht bin ich für den Rest meines Lebens immun dagegen. Spass beiseite: Ja, wir müssen damit umgehen. Also tun wir es einfach. Jammern und das Virus verharmlosen, das liegt mir nicht. Und wir sollten uns vor Augen führen, dass unser Leben endlich ist. Das erkannte ich dieses Jahr klarer denn je.
 

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