Marken versuchen, sich mittels einer Differenzierung von Wettbewerbern abzuheben. Ihre Botschaft an die Konsumentinnen und Konsumenten: «Ich habe hier ein einzigartiges Produkt für dich. Das bekommst du nur bei mir.» Differenzierung heisst, aus der Masse herauszustechen. Über eine starke, gelungene Differenzierung lassen sich oftmals auch höhere Preise rechtfertigen.

Jahrelang waren nachhaltige Produktspezifikationen ein geeignetes Mittel, um sich von der Konkurrenz zu differenzieren. Im Kopf der Konsumentinnen und Konsumenten war man nicht nur irgendeine austauschbare Trinkflasche, sondern eine nachhaltige, wiederverwendbare Trinkflasche unter dem Markennamen «Sigg». Oder eben eine Outdoorjacke aus nachhaltigen Materialien unter der Marke Patagonia.

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Die Autorin

Johanna Gollnhofer, Professorin für Marketing und Direktorin des Instituts für Marketing und Customer Insight und Leiterin Master in Marketing Management, Universität St. Gallen (HSG).

Am Beispiel der grünen Pioniere sieht man besonders, wie die Dimension der ökologischen Nachhaltigkeit verwendet wurde, um sich von der Konkurrenz abzuheben. Weleda, die Pionierin in der Naturkosmetik, legt seit ihrer Gründung besonderen Wert auf den Klimaschutz und die Artenvielfalt. The Body Shop startete mit der starken Differenzierung für das Tierwohl und gegen Tierversuche. Und in kleinen, lokalen Bio-Supermärkten bekommen Konsumentinnen und Konsumenten seit Jahrzehnten ein nachhaltiges Einkaufserlebnis. All diese Beispiele haben gemeinsam, dass die Zielgruppe für ihre Produkte überschaubar ist: die umweltbewussten «Ökos», die bereit sind, einen Premiumpreis für ein nachhaltiges Produkt zu zahlen.

 

Nachhaltigkeit im Massenmarkt

Die offensichtlichen Veränderungen des Klimas und unserer unmittelbaren Lebenswelt haben die ökologische Nachhaltigkeit im Kopf der Mehrheit der Konsumentinnen und Konsumenten fest verankert. Nachhaltigkeit ist nicht nur salonfähig geworden, sondern ein VIP-Gast. Deshalb kommt kaum mehr ein Unternehmen an der ökologischen Nachhaltigkeit vorbei: Mastercard deckt Gletscher ab, um sie vor dem Abschmelzen zu schützen. Nespresso bietet ein Recyclingprogramm für seine Aluminiumkapseln an. Und Tilsiter verkauft einen klimaneutral produzierten Käse.

Wie überzeugend die Aktionen der obigen Marken sind, muss jede und jeder für sich entscheiden. Sie sind aber nicht ohne Risiko, denn wer des Greenwashings überführt wird, zieht den Unmut der Gesellschaft auf sich. Was diese Aktionen aber auf jeden Fall auslösen: Sie erhöhen den Wettbewerbsdruck und bewirken, dass ökologische Nachhaltigkeit nicht mehr differenziert. Heutzutage produziert nicht mehr nur Weleda nachhaltige Naturkosmetik, Konsumentinnen und Konsumenten werden auch im Discounter fündig: Was unterscheidet Weleda in deren Augen noch von den Produkten bei Aldi? Wofür steht Weleda, wie differenziert sich Weleda, und wie lassen sich höhere Preise rechtfertigen?

 

Sustainable Natives und Immigrants

Die Entwicklung sieht man über verschiedene Branchen hinweg: Zara, der Inbegriff von Fast Fashion, bietet eine nachhaltige Kollektion an. Nach langem Zögern produziert jetzt auch die deutsche Autoindustrie E-Autos. Und Luxusmarken wie Cartier, Channel oder Burberry sind ebenfalls auf den Nachhaltigkeitszug aufgesprungen. Diese «Sustainable Immigrants» (das heisst Marken, die mit einer konventionellen DNA gestartet sind) setzen dadurch die «Sustainable Natives» (also Marken mit grüner DNA) zunehmend unter Druck. Ökologische Nachhaltigkeit differenziert nicht mehr. Der logische, aber nicht empfehlenswerte Schluss ist: Um sich zu differenzieren, sollte man NICHT nachhaltig sein! Dann würde man als Marke aus der Masse herausstechen.

 

Die Differenzierung der Zukunft

Bereits heute sehen wir, dass ökologische Nachhaltigkeit von einem Differenzierungskriterium zu einem Hygienekriterium wird. Ein Hygienekriterium stellt sicher, dass eine Marke beziehungsweise ein Produkt überhaupt im «Consideration Set» der Konsumentinnen und Konsumenten landet. Daher kommt auch kein Unternehmen mehr an dem Thema «ökologische Nachhaltigkeit» vorbei. Diese ist jedoch keine Kaufgarantie mehr, da sie nicht mehr differenziert.

Eine nachhaltige Seele ist nicht kopierbar, der grüne Anstrich hingegen schon.

 

Wie sieht also eine Differenzierung in der Zukunft aus? Bezeichnungen wie «Bio», «Naturkosmetik», «vegan», «klimaneutral» und so weiter sind austauschbar. Werden wir also in Zukunft überhaupt noch Werbung sehen, die ökologische Nachhaltigkeit betont? Ganz gewiss, nur wird man damit nicht mehr aus der Masse herausstechen, denn der grüne Anstrich einer Marke ist kopierbar. Eine nachhaltige Seele jedoch nicht, wie man am Beispiel von Patagonia sieht: So verkörpert Patagonia nicht nur ökologische Nachhaltigkeit, sondern bespielt auch stark die Dimension der sozialen Nachhaltigkeit, seit sie sich im Jahre 2022 in eine gemeinnützige Stiftung umgewandelt hat. Damit sicherte sich Patagonia nicht nur einen Platz im «Consideration Set», sondern ebenso im Herz der Konsumentinnen und Konsumenten.