«Hallo Alexa, wie findest du meinen Look?», fragt die Frau. «Kombiniere den Rock doch mit einem blauen Oberteil», antwortet das kleine Gerät mit den dunklen Knopfaugen. «Das passt besser.» Die Nutzerin antwortet: «Mach ein Video, Alexa, dann kann ich mich von allen Seiten sehen.» Das Videolämpchen am maschinellen Stylisten leuchtet auf. «Das sieht gut aus!», so die Computerstimme.

So ähnlich könnten künftig digitale Fashionberater wie Amazons neue Selfie-Maschine bei der morgendlichen Outfitwahl assistieren. Die Pläne für das Amazon-Gerät mit dem Namen «Echo Look» sind ambitioniert: Es soll den Kleiderspiegel ersetzen. Kommuniziert wird über die integrierte digitale Sprachassistentin Alexa, die auf Zuruf Fotos oder Videos vom aktuellen Outfit macht. Eine App, verknüpft mit dem Amazon-Shop, soll zudem anhand der Aufzeichnungen Fashion-Tipps liefern.

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Die Innovation zeigt, worauf es Amazon abgesehen hat: die Kleiderschränke seiner Kunden. Und das nicht nur in den USA, sondern auch in Europa und der Schweiz. Damit muss sich nicht nur der geplagte stationäre Schweizer Modehandel sorgen. Auch erfolgsverwöhnte Online-Anbieter wie Zalando müssen sich auf Konkurrenz einstellen.

Nummer zwei in den USA

In den USA befindet sich Amazon bereits auf der Zielgeraden, der grösste Modehändler der USA zu werden. Laut Morgan-Stanley-Studie hat der Händler bereits den zweitgrössten Marktanteil im Fashionbereich, hinter Walmart. Gas gibt Amazon auch in Europa: 60 Millionen Modeartikel verkaufte das Unternehmen im vierten Quartal 2016. «Mode gehört zu den am schnellsten wachsenden Kategorien bei Amazon. Wir sind erst in der Anfangsphase einer sehr langen Investition», sagt Susan Saideman, Vizepräsidentin von Amazon Fashion Europa. 2016 wurde das Sortiment um 350 neue Marken ergänzt, darunter Luxuslabels wie Lagerfeld und Moschino. «Don't look like me - look like you», appelliert Liya Kebede an den Zuschauer in TV-Spots, die in Europa laufen.

Es ist der Versuch, Individualität statt Massenware zu bewerben. Neben der Schauspielerin geben Socialite Olivia Palermo, Bloggerin Chiara Ferragni und Model Barbara Palvin Amazon Fashion ein Gesicht. «Unser Ziel ist es, Amazon zum besten Ort für den Online-Einkauf von Fashion zu machen», sagte im Jahr 2015 Sergio Bucher, ein Schweizer, der knapp vier Jahre Präsident von Amazons Modegeschäft in Europa war.

Um das Image des massentauglichen Familien-Retailers abzuschütteln und Luxusmarken anzuziehen, setzte Bucher in Europa auf eine verbesserte Präsentation der Mode. So eröffnete er 2015 mit dem britischen Model Suki Waterhouse ein 4270 Quadratmeter grosses Fotostudio im hippen Londoner Stadtteil Shoreditch. Ziel: hochwertige Fashionfotos und Videos für den Online-Shop zu produzieren.

Kopf-an-Kopf-Rennen mit Zalando

Amazons Investitionen im Modesegment geben Sinn, denn der Markt wächst. So schätzt das Marktforschungsunternehmen Euromonitor das Online-Geschäft mit Kleidung und Schuhen in Westeuropa auf 42 Milliarden Dollar pro Jahr. Auch in der Schweiz stieg der Umsatz im Online-Handel mit Fashion und Schuhen laut dem Verband des Schweizerischen Versandhandels (VSV) und der GfK Schweiz vergangenes Jahr von 1,38 Milliarden auf 1,54 Milliarden Franken.

Mit der Expansion im Modemarkt dringt der US-Riese immer stärker in das Kerngeschäft des europäischen Platzhirschs ein: Zalando. Euromonitor spricht von einem Kopf-an-Kopf-Rennen, in dem Amazon Ende 2016 bereits einen Marktanteil von 5,7 Prozent am westeuropäischen Schuhund Bekleidungsmarkt hielt - und damit nur knapp hinter Zalando mit einem Marktanteil von 6,1 Prozent lag. Ähnlich schätzt Nordal Cavadini, Retail-Experte der Beratungsfirma Oliver Wyman, die Lage ein: «Wir gehen davon aus, dass Amazon in Europa im Modebereich bereits so gross ist wie Zalando.» Konkrete Zahlen zu finden, ist schwierig: Zalando gab zuletzt zwar neue Umsatzzahlen für Europa bekannt, Amazon kommunizierte nur die Anzahl verschickter Modeartikel in Europa.

Grössenordnung Tally Weijl

In der Schweiz sehen die Machtverhältnisse noch anders aus: Laut einem Ranking des Analyseunternehmens Carpathia liegt Zalando mit einem geschätzten Umsatz von 534 Millionen Franken im vergangenen Jahr noch vor dem Gesamtumsatz, den Amazon hierzulande mit Mode und allen anderen Waren erzielte: Es waren 475 Millionen Franken Umsatz in der Schweiz. Schätzungen von Branchenkennern lassen aber vermuten, dass Amazon besonders im Modesegment aufholt.

Daten von Carpathia und dem Anbieter Meineinkauf.ch deuten darauf hin, dass Amazon in der Schweiz allein mit Mode bereits rund 58 Millionen Franken pro Jahr umsetzt. Patrick Kessler vom VSV hält diese Zahl sogar nur für einen Mindestwert. Gemäss Carpathia-Chef Thomas Lang könnte Amazon sogar bereits um die 75 Millionen Franken mit Fashion in der Schweiz umsetzen. Der US-Händler läge damit etwa in der Grössenordnung von Herren-Globus oder Tally Weijl.

Retouren-Policy angepasst

Obwohl Zalando zumindest im Schweizer Online-Fashion-Markt noch vorne liegt, dürfte der europäische Anbieter um seine Spitzenposition bangen. Denn Amazon hat entscheidende Weichen gestellt, um die Entwicklung des Fashion-Segments weiter anzutreiben. Zum einen hat Amazon die Retouren-Policy in Europa angepasst. Produkte zurückzugeben ist für Kunden nun genauso einfach wie bei Zalando. Bei Kleidung, Schuhen und Handtaschen werden die Versandkosten für die Hin- und Rücksendung erstattet - unabhängig vom Verkaufspreis.

Für Schweizer Kunden gibt es allerdings einen Haken: Da sie im deutschen Amazon-Store einkaufen, müssen Fashion-Artikel, welche gratis zurückgeschickt werden können, über den Amazon-Global-Markt bestellt werden. Der Mindestbestellwert liegt bei 49 Euro und die Ware muss von Amazon direkt verschickt werden. Bei Bestellungen über Marketplace-Verkäufer entscheidet der jeweilige Händler, ob er überhaupt in die Schweiz liefert und was seine Retouren-Police ist.

Fashion on demand

Noch weiter geht Amazon in den USA: Hier scheint Amazon die gesamte Supply-Chain im Modebereich unter ein Dach bringen zu wollen. Der Konzern hat sich ein Patent auf ein System gesichert, das Kleidungsstücke «on demand» herstellt. Dies würde die Produktion deutlich effizienter gestalten, da Ware je nach der Bestellungslage produziert werden könnte. Der Konzern arbeitet zudem an der Entwicklung eigener Modekollektionen. Mit ihnen lassen sich höhere Margen erzielen als mit eingekaufter Ware. Sieben eigene Labels hat der Konzern in den USA im Sortiment, im Frühjahr folgen eigene Linien in Grossbritannien. Eigenmarken bietet auch Konkurrent Zalando an, teilweise ausgerechnet auf der Amazon-Plattform.

Zalando gibt sich angesichts der Amazon-Expansion in ihren Kernmarkt gelassen: «Der Modemarkt in Europa ist gross genug für mehrere Anbieter», sagt Zalando-Schweiz-Co-Chef Linus Glaser - nämlich rund 420 Milliarden Euro gross, online und offline zusammengerechnet. Zalando hebe sich von anderen Plattformen ab, weil nicht jeder Händler sein Sortiment hochladen könne. «Für jedes Produkt gibt es nur einen Anbieter und somit einen Preis», so Glaser.

Keine aktuelle Kollektion

«Wir kümmern uns darum, dass die Produkte auf Zalando relevant und aktuell sind.» Genau damit hat Amazon im Modebereich Probleme. Verschiedene Anbieter bieten dasselbe Produkt zu unterschiedlichen Preisen an. Eine Analyse des Asset-Management-Unternehmens Sanford C. Bernstein hat zudem ergeben, dass viele der Produkte, die Amazon in Europa anbietet, nicht aus aktuellen Kollektionen stammen oder im Preis heruntergesetzt sind. Viele Luxusmarken schreckt das ab. Sie ziehen Händler vor, die aktuelle Mode zum vollen Preis anbieten. Zalando kam daher in der Studie besser weg. Mit Oysho führt Zalando ein erstes Label des weltweit grössten Modekonzerns Inditex im Sortiment.

Das zeigt, dass die Beziehungspflege mit grossen Labels sich ausgezahlt hat. Ihr solides Netzwerk hilft Zalando nun mit den Plänen, sein System zu öffnen. Der europäische Gigant lässt stationäre Händler in einem Pilotprojekt Produkte über die Zalando-Plattform verkaufen - und dürfte sich dabei am Marktplatz-System von Amazon orientieren. Die Annäherung an den Konkurrenten kommt dabei nicht ohne Komplikationen: «Die Herausforderung, das System für andere Händler zu öffnen, ist im Textilbereich grösser als etwa bei Büchern», so Retail-Experte Cavadini. «Gerade, wenn man das Versprechen abgibt, dass Produkte gratis zurückgeschickt werden können.»

Ungemütliche Parallele

Im Kopf-an-Kopf-Rennen mit dem US-Rivalen bleibt Zalando wenig Spielraum, sich im Modemarkt abzuheben. Mit dem Echo-Look drängt Amazon auch noch in einen weiteren Bereich, mit dem Zalando versuchte, Exklusivität zu erlangen: die Beratung des Kunden. Derweil geht der Kampf um die europäischen Kleiderschränke in die nächste Runde. Böses ahnen lässt für Zalando allerdings das Schicksal des Online-Händlers, den sie einst kopierten: Zappos. Sah man sich dort stets als unabhängig, so wurde der Laden im Jahr 2009 aufgekauft: von Amazon.

Redaktorin Caroline Freigang
Caroline Freigangschreibt seit 2019 für den Beobachter – am liebsten über Nachhaltigkeit, Greenwashing und Konsumthemen.Mehr erfahren