Per Ende 1993 schloss Sulzer unter Konzernchef Fritz Fahrni seine Giesserei in Oberwinterthur. Fast 400 Arbeitsplätze gingen verloren. Das abrupte Ende der «Giessi» war der Bruch mit den Anfängen von Sulzer. Mit dem Giessereigewerbe startete einst, was später zu einem der wichtigsten Schweizer Industriekonzerne wachsen sollte.

Der erste Messinggiesser und Silberdreher in der Familie war Salomon Sulzer-Bernet, Grossvater der späteren Gründer des Grosskonzerns. Er bildete seinen Sohn Johann Jacob Sulzer zum Dreher und Giesser aus. Dieser drechselte bald in der vom Vater übernommenen Werkstatt in Winterthur an der Hintergasse (heute Steinberggasse) Holz, Messing, Horn und goss einmal pro Woche in der kleinen Messinggiesserei. Seine Glocken und Feuerwehrspritzen wurden in der Region schnell bekannt, doch der Betrieb blieb klein.

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Johann Jacob Sulzer erkannte aber, dass die Zukunft nicht im teuren Messinggiessen, sondern im modernen Eisenguss lag und legte seinen beiden erstgeborenen Söhnen Johann Jakob und Salomon ans Herz: «Erlernt auf euren Wanderjahren im Ausland vor allem das Eisengiessen.»

Lehrjahre in Paris

Als Ersten zog es Johann Jakob, genannt «Schaggi», in die Fremde. Über Umwege gelangte er nach Paris, das sich, beeinflusst von England, zum kontinentaleuropäischen Zentrum der modernen Technik und Industrie entwickelt hatte. In Paris lief es «Schaggi» überhaupt nicht. Unmittelbar nach der Juli-Revolution, 1830, suchte er vergeblich Anstellung und besuchte in der Not Kurse am «Conservatoire des Arts et Métiers», einer Art Volkshochschule.

Ein Glücksfall, denn über das Conservatoire begann «Schaggi» allmählich aus der handwerklichen Welt seiner Familie auszubrechen. Er wurde Assistent von Professor Le Blanc, dem Begründer einer neuen Methode des Maschinenzeichnens. Er blieb eineinhalb Jahre und besuchte daneben Kurs um Kurs. Eine Cholera-Epidemie zwang ihn im Sommer 1832 zur Rückkehr nach Winterthur.

Inzwischen hatte sein älterer Bruder Salomon, genannt «Saly», seine Wanderjahre angetreten. «Saly» hatte es nach Deutschland verschlagen, wo er in verschiedenen Werken die Produktion des Münchner Gusses erlernte, sich von dessen Qualität in Briefen nach Hause aber enttäuscht äusserte.

Trotz Französischer Revolution herrschten in Winterthur kleinbürgerlich-biedermännische Verhältnisse, die sich etwa darin äusserten, dass die Stadttore im Winter um 18 Uhr und im Sommer um 20 Uhr geschlossen wurden. Dieses Umfeld sowie restriktive Auflagen der Stadt Zürich gegenüber dem Winterthurer Gewerbe förderten die Risikobereitschaft von Unternehmern nicht wirklich. Und doch: Als es «Schaggi» gelang, von der Stadt im Tausch mit dem Grundstück vor dem Holdertor ein Stück Land an der Strasse nach Zürich zu erhalten, konnte man 1834 mit dem Bau beginnen und noch im gleichen Jahr den Eisenguss im neuen Gebäude aufnehmen. Keine zwei Jahre später übergab der Vater das Geschäft seinen Söhnen, legte aber selbst weiter Hand an und musste von den Söhnen öfters beharrlich zu Investitionen überredet werden.

Das Unternehmen entwickelte sich langsam, aber stetig. Konsequent wurde nun dank des in Paris erworbenen Know-how der Apparatebau für die Textilindustrie forciert jene später so wichtige Sparte. Früh ging man Kooperationen ein. So entstand die Abteilung Dampfzentralheizungen, die Johann Jakob Sulzer-Hirzel mit Jakob Brunner, einem Spinnereiunternehmer, gemeinsam entwickelte.

Ein Engländer namens Brown

Was man heute Networking nennt, war für die Sulzers eine Selbstverständlichkeit im In- und Ausland. Während es Zufall war, dass mit Jonas Furrer 1848 ein Jugendfreund erster Bundespräsident des neuen Bundestaates wurde, pflegten sie auf beschwerlichen Auslandreisen internationale Kontakte.

In England lernte Sulzer-Hirzel Charles Brown kennen, einen jungen Konstrukteur, der sich als äusserst begabt erwies. Die Anstellung von Brown, Vater des späteren Gründers der Brown Boveri in Baden (siehe «Handelszeitung» Nr. 29), war ein weiterer Glücksfall in der Firmengeschichte. Nach drei Jahren konnte die erste von Brown entwickelte Dampfmaschine verkauft werden. Für Furore sorgten in den späten 60ern Browns Ventildampfmaschinen, die entscheidend zum weltweiten Aufstieg beitrugen. 1870 beschäftigte das Unternehmen bereits über 1000 Mitarbeiter in mehreren Ländern.

Um die Konjunkturschwankungen in der Textilindustrie abzufedern, erschloss man sich immer neue Felder. Langfristig hielten sich aus der Gründerepoche die Textilmaschinen, Zentrifugalpumpen, Ventilatoren, Eis- und Kältemaschinen, Rohrleitungen und die Abteilung Gaswerke. Namhaft beteiligt war man mit hydraulischen Drehbohrmaschinen auch am Tunnelbau, und die Produktion von Dieselmotoren wurde zu einem weiteren wichtigen Geschäftszweig.

Die Gebrüder Sulzer schrieben über ihr Unternehmen hinaus Geschichte. In den 1870er Jahren bauten sie die ersten günstigen Häuser für ihre Arbeiter. Zahlreiche weitere solche Projekte folgten und prägen bis heute da und dort das Winterthurer Stadtbild.

Sulzer-Hirzel setzte sich mit seinem Sohn Heinrich zudem für die Gründung des ersten Schweizerischen Technikums ein, das 1874 eröffnet wurde. 1872 zog sich Sulzer-Hirzel aus dem Geschäft zurück, blieb aber als Kommanditär bis zu seinem Tod beteiligt. Es war 1989, 117 Jahre später, als mit Peter G. Sulzer der letzte Familienvertreter aus der aktiven Firmenleitung ausschied. Vier Jahre später wurde die Giesserei stillgelegt.

Zu den Gebrüdern Sulzer hat der Verein für Wirtschaftshistorische Studien Zürich in der Reihe «Schweizer Pioniere der Wirtschaft und Technik» im Jahr 2000 Band 40 herausgebracht.Weitere Informatinen: www.pioniere.chBereits erschienen: Rudof Sprüngli (Nr. 28), Brown Boveri (Nr. 29), Jakob Schmidheiny (Nr. 30), Henri Nestlé (Nr. 31). Lesen Sie nächste Woche: Gottlieb Duttweiler.

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Die Firma heute

Sulzererlebte seine schwerste Krise in den Jahren von 1995 bis 2001, als ein eigentlicher Ausverkauf der meisten Traditionsbereiche erfolgte. Vom Umbau waren rund 15000 Mitarbeiter oder mehr als zwei Drittel der Belegschaft betroffen (davon Tausende in Winterthur). Der Umsatz schrumpfte ebenfalls um mehr als zwei Drittel.

Seit 2004 unter VR-Präsident Leonardo Vanotti geht es wieder langsam, aber stetig bergauf. Mit dem dänischen CEO Ulf Berg erlebt das Unternehmen neuerdings sogar wieder ein starkes Wachstum. 2005 erwirtschaftete Sulzer einen Umsatz von 2,6 Mrd und einen Reingewinn von 128 Mio Fr. Sulzer ist heute mit Sulzer Pumps, Sulzer Metco, Sulzer Chemtech, Sulzer Turbo Services sowie Sulzer Innotec in fünf Sparten tätig. Der Konzern beschäftigt weltweit knapp 10000 Mitarbeiter; 900 in Winterthur. (miz)

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Nachgefragt: «Zukunft braucht Herkunft»

Was ist von den Gebrüdern Sulzer geblieben?

Ulf Berg: Bis heute ist der Sulzer-Konzern durch hohe Anforderungen an die Qualität der eigenen Produkte geprägt, auf die Johann Jakob Sulzer besonderen Wert legte. Schon in den Anfängen setzte er gemeinsam mit seinem Bruder Salomon Standards. Sein Motto lautete: «Was ihr macht, das macht recht; es kostet nicht mehr Zeit, als ihr dazu braucht, es schlecht zu machen.» Mich beeindruckt, dass dieser Wahlspruch heute noch gültig ist.

Was macht Ihnen im Rückblick am meisten Eindruck?

Berg:In einer Zeit, in der es in der Schweiz noch keine höheren technischen Schulen gab, studierte Johann Jakob Sulzer in Paris die Theorie der Technik. Mit seinem starken Willen wirkte er innovativ, brach aus der handwerklichen Tradition seiner Vorfahren aus und führte neue technische Verfahren ein. So schuf er ein Unternehmen, das schon nach einigen Jahrzehnten international etabliert war.

Welche Parallelen sehen Sie zwischen Ihnen und den Pionieren?

Berg:Auch wenn sich die Marktbedingungen grundlegend geändert haben, fühle ich mich den gleichen Werten verbunden, die schon unsere Unternehmensgründer kultiviert haben. Zukunft braucht Herkunft.

Interview: Michael Zollinger