Jürgen Dormann leitet die grösste Rettungsaktion der Schweizer Wirtschaftsgeschichte. Mit harter Hand.

Nur der blaue Teppich mit den grauen Rechtecken erinnert noch an früher. Das Sofa ist weggeräumt, die Bibliothek abgebaut. Ein Telefonkabel liegt am Boden und endet im Nichts, da, wo früher der Schreibtisch stand. Die schusssicheren Scheiben sind verdreckt. In den beiden Vorzimmern stehen ein paar zurückgelassene Möbel, obendrauf ein totes Telefon. Das Machtzentrum, von dem aus 15 Jahre lang die Geschicke der ABB bestimmt wurden, ist geräumt. Ebenso wie der gesamte ehemalige Hauptsitz an der Affolternstrasse 54 in Zürich Oerlikon.

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Das Herz der ABB (Umsatz 2002: 18,2 Milliarden Dollar, Verlust: 787 Millionen) schlägt nicht mehr am selben Fleck. Jürgen Dormann, CEO und VR-Präsident, hat es so gewollt. Wollte mit der Vergangenheit brechen, mit der Zeit von Percy Barnevik, Göran Lindahl und Jörgen Centerman. Von Symbolik spricht Dormann, weil der neue Hauptsitz in einem Glasbau statt einer Trutzburg aus roten Ziegeln untergebracht ist. Von Speck von den Rippen nehmen, weil sein Büro nur noch halb so gross ist und ein Besprechungstisch das eigene Sitzungszimmer ersetzt. Von kurzen Kommunikationswegen, weil die ganze Konzernleitung erstmals auf einem Stockwerk untergebracht ist.

Dormann spricht so, wie er immer spricht: ruhig und langsam. Präzise, die Worte sorgfältig aussuchend. Mit sparsamer Gestik. Aber er sieht anders aus als früher. Müde. Abgekämpft. Er hat Ringe unter den Augen. Die letzten neun Monate waren für das Schicksal der ABB entscheidend.

Zur Person
Jürgen Dormann (63) studierte Wirtschaft und Philosophie, unter anderem in Heidelberg und Basel. 1963 trat er als Trainee beim Chemiehersteller Hoechst ein und arbeitete sich in 21 Jahren bis in die Konzernleitung hoch, der er ab 1994 vorstand. In der Folge baute er Hoechst zu einem Pharmakonzern um und fusionierte ihn 1999 mit der französischen Rhône-Poulenc zu Aventis. Im Mai 2002 zog er sich dort auf den Posten des Aufsichtsratspräsidenten zurück. Seit Januar 1998 ist er Mitglied des ABB-VR, seit November 2001 Präsident, seit September 2002 CEO. Dormann ist verheiratet und Vater von vier erwachsenen Kindern.

Dormann zählt auf, was erreicht wurde und was nicht (siehe «Dormanns Pendenzen» auf Seite 32). Er dramatisiert nicht. Er färbt nicht schön. «ABB ist noch nicht über den Berg», sagt Dormann. «Aber das Schlimmste liegt jetzt hinter uns.» Die Pleitegeier haben sich verzogen. Die ersten, als Ende letzten Jahres die Erneuerung der Bankkredite gelang und ABB damit bis Ende 2004 genug Geld zum Überleben hat. Die restlichen, als diesen Juli die Asbestklagen geregelt wurden, die ABB in den Bankrott zu treiben drohten. Die grösste Rettungsaktion der Schweizer Wirtschaftsgeschichte (betroffen sind 135 000 Mitarbeiter) kommt voran.

«Ich mache kein Management by irgendwas», sagt Dormann, «ich bin sehr analytisch und strukturiert.» Seine Systematik, seitdem er letzten September den CEO-Job übernommen hat: erstens Asbestverhandlungen aufnehmen. Zweitens die Liquidität sicherstellen. Drittens den Kulturwandel einleiten. Viertens die Organisation von fünf auf zwei Sparten verdichten. Fünftens die Kosten um 800 Millionen Franken senken. Darauf hat sich Dormann konzentriert. Sonst auf nichts. «Er kann das Wesentliche sofort und instinktiv vom Unwesentlichen unterscheiden und gibt auch sofort deutlich zu verstehen, dass er sich um das Unwesentliche nicht kümmern will», beschreibt Beat Hess, bis vor kurzem Chefjurist bei ABB, Dormanns Arbeitsweise.

Den Rest delegiert der Deutsche. «Wenn jemand etwas besser kann als ich, dann lass ich es den Kollegen machen», sagt Dormann. Anders als etwa sein Vorvorgänger Göran Lindahl, der über alles und jedes Bescheid wissen wollte, ist Dormann kein Mikromanager. «Er respektiert die Professionalität seiner Mitarbeiter; wer einmal sein Vertrauen gewonnen hat, den lässt er arbeiten», sagt Hess. Aber wer Dormanns Vertrauen verspielt, hat es schwer, dieses zurückzugewinnen.

In fachlichen Fragen bleibt Dormann freilich gar keine andere Wahl, als zu vertrauen: Als Quereinsteiger, der die ganze Karriere bei Hoechst und Aventis in der Chemie- und der Pharmaindustrie durchlaufen hat, fehlt ihm das für ABB nötige industrielle Fachwissen. Operativ lässt er daher den Spartenleitern Peter Smits und Dinesh Paliwal freie Hand. Doch auch sonst hält sich Dormann zurück: «Er hat als ehemaliger Finanzchef bei Hoechst ein tiefes Verständnis für finanzielle Zusammenhänge, aber er ist kein CEO, der in die Arbeit des CFO eingreift», sagt Peter Voser, Finanzchef bei ABB. So war die Liquiditätssicherung weniger Dormanns als hauptsächlich Vosers Verdienst. Die Einigung im Asbeststreit wiederum geht auf die Konti von Chefjurist Beat Hess und John Scriven, der Hess bei der Kanzlei Homburger unterstützte und dessen Nach- folge antrat, als Hess im Juni zum Ölkonzern Royal Dutch / Shell wechselte.

Dormann sucht sich einen kleinen Kreis von Leuten aus, mit denen er arbeiten will. Der Erfolg: «Vorher haben die Konzernleitungsmitglieder nicht miteinander gearbeitet. Erst Dormann hat ein Team geformt, das miteinander durch dick und dünn geht», sagt Hans Ulrich Märki, Europa-Chef von IBM und Mitglied des ABB-VR. Die mittleren Chargen hingegen haben es schwer, an den Chef heranzukommen. Er ist physisch weniger präsent als seine Vorgänger. «Damit haben einige Mitarbeiter Mühe», sagt ein ehemaliges Kadermitglied.

Dormann verwendet wenige Managementschlagwörter. Accountability ist eines: Kein Gremium ist verantwortlich, sondern eine einzelne Person. Wenn Dormann von dieser Person nicht das bekommt, was vereinbart worden ist, fixiert er sie mit seinen blaugrauen Augen und sagt klipp und klar, wo es harzt. Ruhig. Ohne die Stimme zu heben. Aber in einer Deutlichkeit, die manchen frösteln lässt. Dormann hat die Fähigkeit, sehr leise sehr laut zu sein.

So präzise, wie er seine Worte wählt, erwartet er es auch von seinem Gegenüber. Mit schwammigen Argumenten kommt bei ihm keiner durch. Dormann kommuniziert viel: Jeden Freitag schickt er eine ausführliche E-Mail an alle Mitarbeiter. Er macht Mut, lobt Fortschritte und kritisiert Missstände. Und nimmt dabei kein Blatt vor den Mund. «Das Unsozialste ist das Verschleiern von Wahrheiten», sagt Dormann. «Es führt zu falschen Vorstellungen und dazu, dass notwendige Entscheide nicht getroffen werden.» Er ist keiner dieser "Wir stehen vor einer grossen Herausforderung aber gemeinsam werden wir es schaffen Manager". Er gehört zum seltenen "Hier läuft sehr viel falsch und wenn sich das nicht sofort ändert ist das Unternehmen verloren Typ". «Der Ernst der Lage war weiten Teilen des Unternehmens nicht bewusst», begründet Dormann seine zum Teil harten Worte. «Die dachten, das sei das übliche Gejammer von oben.» 15 Aktenordner füllen die Reaktionen der Mitarbeiter auf seine Freitags-Mails.

Mit seiner schnörkellosen Art liefert der hagere 1-Meter-80-Mann das, was die Mitarbeiter am dringendsten benötigen: Vertrauen in die Führungsetage. «Die interne Kommunikation ist eindeutig besser geworden», sagt eine Stimme aus der Basis. «Jeder Mitarbeiter weiss, was passieren muss, damit ABB wieder funktioniert. Jetzt glaubt man auch an den Erfolg der Sparmassnahmen.» Dass die Zufriedenheitswerte wieder nach oben gehen, belegt eine Umfrage der deutschen Marktforschungsagentur Ipsos bei den Mitarbeitern von ABB Schweiz.

Anders als Lindahl oder Centerman springt Dormann nicht auf Trends auf, sondert keine Schlagwörter wie «Wissenskonzern» oder «Industrial IT» ab. Er ist faktengetrieben, analytisch. Anfangs konnte er bei ABB nicht so arbeiten: Als er im September 2002 den CEO-Posten übernahm, fand er kein Managementinformationssystem vor, das ihm genauen Einblick in die einzelnen Geschäftsbereiche erlaubt hätte. Statt auf eigene Zahlen musste Dormann auf die Aussagen seiner Mitarbeiter vertrauen – und bekräftigte danach öffentlich die Jahresprognosen. Einen Monat später waren diese nicht mehr zu halten. Dormann schockte die Öffentlichkeit mit einer Gewinnwarnung, die Aktie verlor 62 Prozent ihres Werts und der neue Chef einiges von seiner Glaubwürdigkeit. Daraufhin liess er die Berater von Roland Berger in fünf Monaten ein konzernweites Monitoring-System aufbauen. Seither führt er ABB auf seine Weise: via Zahlenwerk.

«Kommandieren, kontrollieren, korrigieren» lautete wohl sein Motto, wäre er Oberst im Schweizer Militär. Er ist Offizier der französischen Ehrenlegion. Den Titel – der höchste, den ein Ausländer in Frankreich erreichen kann – verlieh ihm der ehemalige Staatspräsident Giscard d'Estaing für seinen Beitrag zur deutsch-französischen Zusammenarbeit. Und Dormann führt mit der harten Hand eines Offiziers. «Das wurde am Anfang bei einigen mit heftigem Stirnrunzeln aufgenommen», sagt Hess. «Die Skepsis hat sich gelegt, als klar wurde, dass es das einzig richtige Rezept ist.» Dormann nahm keine Rücksicht auf Gewohnheiten und zerschlug die berüchtigten schwedischen Seilschaften im Unternehmen. «Dass ich von aussen gekommen bin, war ausgesprochen hilfreich», sagt er.

Dormann gibt ein Tempo vor, das der Dramatik der Situation bei ABB angemessen ist. Das Wort «schnell» und dessen Synonyme ziehen sich wie ein roter Faden durch seine Freitags-Mails. Vorgänger Centerman, obwohl er den Stempel des Turbos hatte, konnte oder wollte weniger entschieden handeln als Dormann. Auch deshalb musste er gehen. Dormann ist ein höheres Tempo gewohnt: Sein Wirken beim Chemiekocher Hoechst, den er komplett zerlegte und mit Rhône-Poulenc neu zum Pharmariesen Aventis zusammensetzte, gilt als radikalster Umbau eines deutschen Konzerns nach dem Zweiten Weltkrieg. 1995 wurde er dafür zum Manager des Jahres ernannt, drei Jahre später von der Belegschaft gehasst und von Analysten und Aktionären abgelehnt: Als «Rambo der deutschen Industrie» beschimpfte man ihn, weil er dem Unternehmen in fünf Jahren zu viel zugemutet hatte. Heute würde er es anders machen. Noch radikaler. «Eine noch schnellere Umsetzung wäre für alle Beteiligten besser gewesen!», sagt er.

Es ist ein seltsamer Widerspruch, der Dormanns Wirken bei ABB charakterisiert. Aktivität ja – Aktionismus nein. Er strahlt Ruhe und Reife aus. Bei Barnevik war jede Minute abgezählt; auf jede Frage musste sofort eine Antwort da sein. Dormann lässt den Leuten Zeit, schickt sie weg mit den Worten: «Überlegen Sie sich das in Ruhe.» Beim nächsten Treffen behaftet er sie mit der Hartnäckigkeit eines Schuldeneintreibers. Gelassenheit und Souveränität strahlt Dormann auch aus, weil er sich nichts mehr beweisen muss. Centerman, der zum CEO-Job kam, weil nach dem Rausschmiss Lindahls kein anderer da war, wollte sich und der Welt zeigen, dass er nicht nur ein guter Verkäufer und Spartenleiter, sondern auch ein fähiger General Manager im eigentlich Wortsinn sei (was nicht der Fall war). Dormanns Leistungsausweis ist unbestritten: Aventis gilt als eine der wenigen gelungenen transnationalen Fusionen.

Kontrolliert, norddeutsch unterkühlt wirkt der Sohn eines Bremer Kaufmannes. Als das Überleben von ABB im November auf Messers Schneide stand und die Deutsche Bank ein Kursziel von zehn Rappen ausgab, war auch Dormann aufgewühlt. Gezeigt hat er es niemandem. «Er ist ein Gemütsmensch, der sich immer unter Kontrolle hat», sagt Jean-René Fortou, sein Mitstreiter bei Aventis und heute CEO beim angeschlagenen Mischkonzern Vivendi. Emotionen bewahrt sich Dormann für das Privatleben auf. «Ausserhalb des Geschäftlichen ist er nicht mehr unterkühlt, sondern ganz normal und kann auch mal herzhaft lachen», sagt Joachim Betz, ein Aufsichtsratskollege Dormanns bei Aventis. «Jürgen hat noch etwas Bubenhaftes in sich. Man sieht es nur nicht», beschreibt ihn ABB-VR Märki. «Wer schaffen will, muss fröhlich sein» lautet das eine von Dormanns zwei Lebensmottos. Das andere ist «Mens sana in corpore sano», weshalb der frühere Leichathlet in seiner Freizeit auf Bergwanderungen geht und im Zürichsee schwimmt. In seinem Privatleben, über das er kaum spricht, beschäftigt er sich mit klassischer Musik, Lesen und Philosophie. Dormann ist der intellektuelle Schöngeist, der zur Entfaltung ein kulturelles Umfeld braucht. Dass er auch deswegen Strassburg als Hauptsitz von Aventis gewählt hat, bestreitet er nicht.

Mit seiner distinguierten Art lässt Dormann keinen Zweifel an seiner Macht aufkommen. «Er duldet keine starken Partner neben sich, obwohl er selber sehr stark ist», sagt Aventis-Kollege Betz. «Ich habe nie ein Hehl daraus gemacht, dass ich im Team an der Spitze bin», nennt es Dormann. Mit seiner Doppelrolle als CEO und VR-Präsident verfügt er über so viel Macht wie kaum ein anderer Manager der Schweiz. Die kritische Lage des Unternehmens mag die Konzentration auf eine Person rechtfertigen. Doch genau diese Machtballung hatte Dormann noch öffentlich kritisiert, als herauskam, wie Barnevik seine Doppelrolle für eigene Interessen missbrauchte. Einen zweiten Fall Barnevik kann sich ABB nicht leisten. Deswegen wird im ABB-VR Jacob Wallenberg als zweite starke Figur aufgebaut. Der Vertreter der schwedischen Investor AB, traditionell einer der wichtigsten Aktionäre von ABB (Anteil zurzeit: zehn Prozent), soll als Independent Lead Director Gegenpart und Checkpoint für Dormann sein. So sitzt er in zwei der drei VR-Ausschüsse, die sich um Strategie, Finanzen und Audit sowie Nominierung und Entlöhnung kümmern. Dormann darf bei allen nur auf Einladung dabei sein.

Dormanns Nachfolger
Die Suche läuft


Der nächste ABB-Chef kommt von aussen.


Verläuft alles nach Plan, wird Jürgen Dormann Ende nächsten Jahres zurücktreten. Die Suche nach einem Nachfolger hat bereits begonnen. Von den Konzernleitungsmitgliedern wäre Peter Voser der naheliegendste Kandidat. Der einzige Schweizer in der Konzernleitung ist ebenso wie Dormann von aussen gekommen und damit gegen bestehende Seilschaften immun. Er hat sich in kurzer Zeit sehr gut in das komplexe Unternehmen eingearbeitet und hat als Finanzchef Einblick in jeden Bereich. Doch der Mann, der seine ganze Karriere bei Shell in verschiedenen Finanz- und Controllingfunktionen bestritt, hat (ebenso wie Konzernleitungskollege und Personalchef Gerry Steel) noch nie ein Unternehmen operativ geführt.


Derartige Erfahrung können Peter Smits (oberes Bild) und Dinesh Paliwal (unteres Bild) vorweisen, die Leiter der Sparten Energietechnik beziehungsweise Automation. Beide haben im Laufe ihrer langen ABB-Karriere viele Stationen des Unternehmens gesehen. Sie sind die Einzigen der alten ABB-Garde, die in der Konzernleitung überlebt haben.


Doch nach dem Fehlgriff mit Jörgen Centerman, der zwar ein erfolgreicher Divisionsleiter und Verkäufer war, den aber die strategischen Ausrichtung des Gesamtunternehmens schlicht überforderte, will man bei ABB keine Risiken mehr eingehen. So wird der neue Konzernchef von aussen kommen. Sein Anforderungsprofil: Er muss bereits Erfahrung als CEO eines ähnlich gelagerten Unternehmens haben. Eine erste Runde an Kandidaten hat Dormann bereits getroffen. Bis er dem Nominierungs- und Entlöhnungskomittee im VR seinen Wunschnachfolger vorstellt, dürften aber noch ein paar Monate vergehen.

Seitdem der Deutsche das VR-Präsidium von Barnevik übernommen hat, hat sich die Arbeit im Gremium grundlegend geändert. Früher beschränkte man sich auf rosige Präsentationen. Besonders Lindahl monopolisierte den Informationsfluss in den VR und konnte so das Gremium lange Zeit mit seinen surrealistischen Prognosen blenden. Heute ist der VR ein Problemlösungsforum. «Wir wissen mehr über die Realität, als der frühere VR wusste», sagt Märki. Das zeigt auch die Aufdeckung des Pensionskassenskandals von Barnevik und Lindahl, die Dormann und Martin Ebner zu verdanken ist.

Als bescheiden gilt der gebürtige Heidelberger. Er selber sieht gar Kargheit als sein Charakteristikum. «Ich bin nicht der barocke Typ», sagt er. Und macht Schluss mit den Privilegien des Topkaders. Den Konzernleitungsspeisesaal hat er abgeschafft. Jetzt isst er wie die Belegschaft in einer öffentlichen Cafeteria. Den Firmenjet und die beiden gepanzerten Firmenlimousinen hat er verkaufen lassen. «Wir sind ganz normale Leute», sagt Dormann. Ganz normale Leute allerdings pflegen sich für einen Interkontinentalflug nicht in die First Class zu legen (innerhalb Europas bucht Dormann Economy). Und sein Jahresgehalt von vier Millionen Franken ist nicht karg, sondern barock. «Über den Preis entscheidet der Markt», entgegnet Dormann. «Topmanager, die eine Gesellschaft dieser Grösse führen können, wachsen nicht auf Bäumen.»

Während seines Philosophiestudiums in Basel traf Dormann auf Karl Jaspers, jenen bedeutenden Existenzphilosophen, der von den Nazis Lehrverbot erhalten hatte, weil er ihnen gegenüber zu keinerlei Zugeständnissen bereit war. «Seine Disziplin und seine Gradlinigkeit haben mich beeindruckt», sagt Dormann. Und geprägt. Als Lindahl abgesetzt wurde, hat er Hand geboten und den geplanten ruhigen Lebensabend verschoben. «In dem Umfeld, in dem ich aufgewachsen bin, rennt man nicht vor Herausforderungen weg», begründet er seine Entscheidung. Und macht kein Geheimnis daraus, dass er sie à contre-cœur getroffen hat. Auch, weil er seine tadellose Reputation aufs Spiel setzen musste für eine Firma, die ihre eigene gerade verspielt hatte.

Dormanns Mission bei ABB ist noch nicht beendet. Die Devestitionen kommen nicht recht voran: Die Sparte Gebäudetechnik ist erst teilweise verkauft, das Ölgeschäft noch gar nicht. Erst wenn beides geschafft ist, ist ABB mit Automation und Energietechnik sauber positioniert und kann sich finanziell aus der Abhängigkeit der Banken lösen. Das operative Geschäft läuft harzig: Im letzten Quartal erzielte ABB einen Pro-Kopf-Umsatz von nur 33 000 Dollar (Konkurrent GE liegt bei 106 000 Dollar), Cashflow und Margen entsprechen noch nicht den Zielen. Vor allem, das zeigt der Aktienkurs, ist das Vertrauen der Investoren noch nicht zurückgekehrt. «Die Aktie ist nach wie vor ein Risikopapier», sagt Dormann.

Seine Prognose: «Mitte nächsten Jahres ist ABB über den Berg.» Dass Rückschläge jederzeit möglich sind, weiss er selber. Auf die Frage nach seinen Plänen danach sagt er: «Von Ämterhäufung halte ich nichts, obwohl es im Moment notwendig ist.» Auf Deutsch: Sobald es nicht mehr notwendig ist, wird er sich auf den Posten des VR-Präsidenten zurückziehen.

Bis dahin bleibt noch viel zu tun. «Da ist mein neues Büro, das Sie sehen wollten», sagt Dormann am Ende des langen Gesprächs und geht zielstrebig in eine Richtung. Dann hält er inne. «Nein, da müssen wir lang», sagt er und biegt in einen andern Gang. Jetzt stimmt die Richtung. Doch der Weg ist steinig.