Als Riccardo Santoro abtauchte, waren seine prominenten Kunden noch ahnungslos. Die Anrufe auf sein Natel landeten in der Combox, wie so oft. «Willkommen bei SAR Premium Cars AG», hörten sie den Sprachcomputer seiner Firma. «Für Beratung und Verkauf drücken Sie die Eins.» Wie immer an den Tagen, an denen Santoro in seiner kleinen Garage im aargauischen Dintikon den Ansturm der Automobilfans nicht mehr bewältigen konnte. Ricci, wie diese ihren Lieblingsgaragisten nannten, würde sich schon melden, dachten sie. Tagelang ging das so, bis sich Ende Mai herumsprach, dass die Bentleys, Ferraris und Lamborghinis vom Hof der Santoro-Garage verschwunden seien, aufgeladen von einer Kolonne mächtiger Sattelschlepper. Und dass von Riccardo Santoro jede Spur fehle. Einfach weg sei er, untergetaucht mit Kind und Kegel.
Ratlos waren sie. Bis die BILANZ Santoros Geschäftsgeheimnis enthüllte, das hinter den traumhaft günstigen Leasingraten steckte (siehe «Ricci ist weg», BILANZ 11/2011).
Nun ist Ricci wieder da. Sein Natel ist zwar immer noch still, und auch am Apparat seiner Garage läuft nach wie vor das Endlosband. Aber immerhin, für die Behörden steht er parat, wichtige notarielle Akte hat er ermöglicht. Bedeutsamen Gläubigern gewährte er sogar einen Gesprächstermin.
Geheimtreffen. Die Gespräche verlaufen nicht sehr erquicklich. Dennoch: Viele würden gerne mit ihrem Limousinenbeschaffer sprechen. Manche drohten sogar, die Forderungen auf handfestem Wege durchzusetzen. Santoro zieht es vor, sein derzeitiges Wohndomizil geheim zu halten. Seine privilegierten Gläubiger werden auf dem Weg zum klandestinen Treffpunkt per Handy gelotst, ganz wie in einem Spionagethriller aus Hollywood.
Die junge Assistenz-Staatsanwältin Nina Wüthrich von der Ermittlungsbehörde des Kantons Aargau hat für solche Spielchen nichts übrig. Riccardo Santoro musste bei ihr schnell lernen, dass die Macht der Justiz keine Frage des Alters oder gar des Geschlechts ist. Es drohte ein internationaler Haftbefehl, es hagelte Durchsuchungs- und Beschlagnahmungsbefehle. Santoros Autohandels- und Mietfirmen sowie seine Immobiliengesellschaften wurden auf den Kopf gestellt. Sogar technische Überwachungsmassnahmen wurden erwogen, die Santoro nur aus Hollywoodfilmen kannte. Ermittlerin Wüthrich war rasch zur Stelle, Santoro kooperiert jetzt mit der Justiz. Es gilt die Unschuldsvermutung.
Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Santoro wegen des Verdachts der Urkundenfälschung, der Veruntreuung und des Betruges. Sie wirft ihm vor, Leasingfahrzeuge, die Eigentum der Fiat-Tochter Fidis Finance waren, im Wert von mindestens 20 Millionen Franken eigenmächtig verkauft zu haben. Sie hegt den Verdacht, dass er «eine unbestimmte Zahl von Leasingverträgen» manipuliert oder gar gefälscht hat, und sie mutmasst, dass er amtliche Dokumente für die Strassenverkehrsämter verfälscht hat.
«Die Strafuntersuchungen sind aufwendig», sagt Adrian Schulthess, leitender Staatsanwalt des Kantons Aargau. «Die Leasinggeschäfte enthalten komplexe Rechtsprobleme, die sich auf die strafrechtliche Beurteilung auswirken.» Privatermittler und Versicherungsdetektive suchen Fahrzeuge, die auf der Santoro-Verlustliste stehen. Strafverteidiger haben sich in Position gebracht, Gläubigeranwälte sammeln Mandate. In der Zürcher Grosskanzlei Baker & McKenzie werden bereits einige Dutzend Santoro-Kunden beraten.
Ihr Traum vom kostenschonenden mobilen Luxus ist vorbei. Die Kunden werden mit unangenehmen Anfragen der Leasinggesellschaft Fidis konfrontiert. Manche erfahren auf diesem Weg, dass auf ihren Namen gleich drei Flitzer im Gesamtwert von mehr als einer halben Million Franken verleast sind. Andere müssen erleben, dass ihre Limousine nicht identisch ist mit dem Fahrzeug, das im Vertrag steht. Und bei einigen Kunden wurde die Limousine sogar vor der Haustüre konfisziert – ein unschönes Erlebnis.
Teures Blech für VIP. 1200 Namen umfasste Santoros VIP-Liste, Bonusmillionäre aus den Banken und prominente Sportler sind darunter. Es sind aber auch viele Autonarren, Fans der grössten PS-Boliden und feinsten Luxusschlitten, die auf dem Markt sind. Santoro versorgte sie mit «allen relevanten Modellen», wie er mit etwas kühlem Understatement geworben hatte: mit temperamentvollen Flitzern wie Ferrari, Lamborghini und Maserati aus Italien, gediegenen Limousinen der Marken Aston Martin, Rolls-Royce und Bentley aus England, limitierten Sondermodellen von Mercedes oder Lotus. Darunter kaum ein Wagen unter der 100 000-Franken-Preisschwelle und mitunter sündhaft teures Rollmaterial wie ein Maserati Coupé MC 12 im Wert von 1,2 Millionen Franken. Interessierte pilgerten in das Dorf nahe bei Lenzburg, bewunderten an den Wochenenden die begehrten Schlitten, die Santoro neben der Tankstelle auf seinem Hof ausstellte, so schlicht präsentiert wie auf der Occasionshalde eines Fiat-Händlers. Er hatte keinen Showroom, keinen Glaspalast. Jeder Kunde wurde mit kollegialem Händedruck in die Santoro-Familie aufgenommen. «Ich bin der Ricci», stellte er sich vor. Er bescherte den Kunden revolutionär niedrige Leasingraten. So konnten manche bei ihm mit teuren Luxusschlitten vom Hof fahren und das Fahrvergnügen fortan mit einem monatlichen Leasingzins von weniger als 2000 Franken berappen.
«Wie macht der das bloss?», fragten etliche Banker und andere Kunden, die rechnen konnten. Santoro erklärte ihnen sein Businessmodell. Es beruhte auf der automobilen Wertsteigerung, die er mit ein paar illustren Zahlen untermauerte, die wohl keiner nachvollziehen konnte. Als Orientierung diente ihm ein Geschäftsplan, welcher der BILANZ vorliegt und das System am Beispiel eines BMW X5 Diesel zum Listenpreis von 100 000 Franken aufzeigt – für Santoros Fahrzeugpark sozusagen das Beispiel eines Billigwagens. Demnach kaufte Santoro den Wagen über seine Firma Sky-Rise, die zum Schein als Autovermieter beim Hersteller einkaufte. Mit dieser Briefkastenfirma hebelte er die strengen Marktregeln aus. Denn «gemäss der Gruppenfreistellungsverordnung Schweiz darf ein Markenvertreter keinen freien Händler beliefern, jedoch eine Mietfahrzeug-Gesellschaft», hält der Businessplan unverblümt fest. Die Vorteile laut Businessplan: «Günstiger Einkauf über Mietwagen-Konditionen, Grossflottenrabatte, Zugang zu dem kompletten Markenmarkt, Margen von durchschnittlich 16 Prozent, in diesem BMW-Beispiel 19 Prozent.» Ein Prozent Rabatt behielt die Sky-Rise ein, sodass Santoros SAR den BMW zum Preis von 82 000 Franken erwerben konnte. Dem Kunden wurde der «volle Bruttoverkaufspreis angegeben». Dafür berechnete Santoro eine monatliche Leasingrate von 1295.70 Franken.
Für seine SAR kalkulierte er daher auf der Basis von 100 000 Franken Kaufpreis mit Händlerprovision und einer Provision von 3,5 Prozent von der Leasinggesellschaft Fidis mit einem «Gewinn beim ersten Verkauf von 21 500 Franken».
Keine Angst vor Risiken. «Warum zahlt die Fidis Finance SA 3,5 Prozent Provision?», fragt Santoro im Businesskonzept. In der Tat war dies erklärungsbedürftig; als marktüblich galt eine Provision von einem Prozent, wie er notierte. Die Antwort: Er hafte mit einer «Bankbürgschaft gegenüber der Leasinggesellschaft mit derzeit 1,25 Millionen Franken, zukünftig von 2,5 Millionen.» Wichtiger noch: «SAR übernimmt das Risiko für den Restwert während der Vertragslaufzeit.»
Das war allerdings weder marktüblich noch sehr nachhaltig, für Kunden wie für Leasinggeber aber befreiend. So konnten die Kunden nach Ablauf der regulären Leasingvertragszeit sicher sein, dass Santoro das Auto zurücknimmt. Zudem befreite er die Kunden von einer ungeliebten Einschränkung, die gewöhnlich in jedem Leasingvertrag zu finden ist: Falls sie mehr Kilometer fuhren, als im Fidis-Vertrag fixiert war, übernahm Santoro das Fahrzeug trotzdem – ohne die Last der branchenüblichen Nachzahlung auf jeden zu viel gefahrenen Kilometer. Auch diesen Wertverlust übernahm also seine SAR Premium Cars.
Santoro hatte noch einen weiteren Anreiz für seine Fans im Angebot. Bereits nach sechs Monaten, so vereinbarte er mit ihnen in einem separaten Vertrag, durften sie ihm den Wagen vorzeitig wieder auf den Hof stellen und erhielten dafür etwas Schickes und Neues aus der Palette. So konnten sie im Halbjahresrhythmus mit brandneuen Ferraris, Maseratis oder Bentleys vor ihrer Lieblingsbar vorfahren. Somit hatten die Kunden zwei sich widersprechende Verträge unterzeichnet, wobei Fidis heute erklärt, dass sie erst im Frühjahr von Santoros Sondervereinbarungen erfahren habe.
Laut Businessplan verleaste Santoro die Fahrzeuge dreimal. Der zweite Kunde zahlte demnach für den BMW X5 mit unbeschränkter Laufleistung und Rücknahmegarantie 1151 Franken und der dritte nur noch 1026 Franken.
Damit war klar: Das Loch in Santoros Kasse musste sich innert weniger Jahre rapide vergrössern. Doch Santoro argumentierte in seinem Businessplan mit einer faszinierenden Wertsteigerung seiner Fahrzeuge – trotz Abnutzung und Alter. In seinem Beispiel sollte der BMW X5 nach drei Jahren und 60 000 gefahrenen Kilometern laut Eurotax einen Einkaufswert von rund 44 000 Franken und einen Eurotax-Verkaufswert von 53 700 Franken haben. Für Santoros Autos schienen die marktüblichen Wertschätzungen nicht zu gelten. Er rechnete mit einer Zauberformel: «Verkaufswert auf dem realen Markt = 53 000 bis 79 900 Franken.» So errechnete er mit dem BMW X5 einen Gesamtgewinn nach drei Jahren von 29 660 Franken. Die Wagen sollten dann unter anderem über WIR-Währung an Architekten und Bauunternehmer verkauft werden. Das WIR-Geld würde Santoro in seine Immobilienfirmen investieren.
Es tönte wundersam: Simsalabim, und Santoro wird reich. Hoffnungsfroh baute er sich im Dorf Dottikon eine Villa für mehr als vier Millionen Franken und investierte rundum in Liegenschaften.
Er unterschlug allerdings die Gefahr, dass seine Kunden die Wagen deutlich stärker abnutzen könnten als mit der Leasingfirma vereinbart und dass auch schöne Autos an Wert verlieren können. Jedenfalls ist das System nach wenigen Jahren kollabiert. Die Rücknahmeverpflichtungen belaufen sich laut Insidern auf mehr als 70 Millionen Franken, während der ausgewiesene Gewinn bei einem Umsatz von 137 Millionen nur knapp über einer Million lag. In vielen Fällen zahlte Santoro offenbar selbst die Leasingraten für Fahrzeuge an die Fidis weiter, die von den Kunden längst retourniert worden waren und nun vermisst werden. Fidis sucht nach rund 200 verschwundenen Limousinen, die laut Vertrag immer noch ihr Eigentum sind. Auf dem Schweizer Markt werden schlagartig viele hundert Luxuswagen zum Verkauf stehen. So günstig, wie es sich selbst Riccardo Santoro nie erträumt hätte.
Das Loch in Santoros Kasse musste sich in wenigen Jahren rapide vergrössern.
Aufgetaucht, wenn auch nicht für jeden Kunden: Riccardo Santoro, Lieblingsgaragist vieler Autofans.
Riccardo Santoros exklusive Flotte von schnellen und teuren Luxusschlitten, aufgereiht zu einen Rennanlass für nicht minder exklusive Kunden in Gstaad – Bilder aus «Riccis» besseren Tagen. Heute werden 200 Autos vermisst.
Vom Bentley bis zum Flügeltüren-Flitzer: Bei «Ricci» war alles zu haben – dank seinem Geschäftsmodell auch im günstigen Leasing.