Heike Böhnke sitzt an ihrem Zürcher Arbeitsplatz mitten unter Bankern. Die MainFirst Bank gewährt der Entwicklungshelferin Büroasyl. Böhnke baut das Schweizer Ashoka-Büro auf, und die MainFirst Bank ist einer der Partner aus der Privatwirtschaft, die ihr dabei Hilfe leisten. Ashoka, eine internationale Organisation, gegründet vom früheren McKinsey-Berater Bill Drayton, funktioniert beispielhaft nach den neuen Gesetzen des Gutmenschentums: Nach betriebswirtschaftlichen Kriterien werden nachhaltige soziale Hilfsprojekte installiert. Die Organisation setzt auf Social Entrepreneurs, welche die Welt nach unternehmerischen Prinzipien verbessern. Die sogenannten Fellows werden dabei streng nach ihrer Motivation und dem unternehmerischen Charakter ihres Projekts ausgewählt. Sie helfen Migranten bei der Eingliederung, kämpfen gegen Kindsmissbrauch oder Umweltverschmutzung. Der wohl bekannteste Ashoka-Fellow ist der Mikrofinanz-Guru Muhammad Yunus. Unterstützt werden die Sozialunternehmer lokal von Stiftungen und Partnern aus der Privatwirtschaft. In der Schweiz beraten Lenz & Staehelin, McKinsey und Kirchhoff Consult die Fellows pro bono.

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Nach dem ersten Jahr sind vier Schweizer Fellows am (sozialen) Werk. Weitere soziale Unternehmer sollen dazukommen. «Gerade jetzt in der Wirtschaftskrise wird unser Nachhaltigkeitsprinzip aufgewertet. Der klassische Charity-Ansatz mit einfachen Spendergaben spielt nicht mehr, weil die Gelder fehlen.» Böhnke selber ist ausgebildete Betriebsökonomin, doch schon während der Banklehre hat sie an etwas anderen Projekten gearbeitet. In einer Bildungsoffensive etwa machte sie Jugendliche an deutschen Schulen mit Finanzthemen vertraut, um das Image ihrer Bank zu steigern. Ihr Selbstverständnis dafür erklärt sie mit ihrem Hintergrund: «Ich komme aus einer Familie, in der grosser Wert darauf gelegt wurde, humanitär zu handeln und auch ehrenamtlich zu arbeiten.»

Die frühere Bankerin repräsentiert ein neues Phänomen. «Gesellschaftliche Verantwortung stand nie zuvor prominenter auf der Agenda von Firmen und Wirtschaftselite», sagt etwa der Insead-Professor Craig Smith, der an der Kaderschmiede in Fontainebleau und Singapur Ethik unterrichtet. Sein Fachgebiet, früher eher ein Randthema für die MBA-Absolventen, erlebt einen Boom: «Der Gedanke, dass gute Ethik auch gut fürs Geschäft ist, wird immer stärker», sagt der Professor. Smiths jüngstes Werk, erschienen im Juni dieses Jahres, trägt denn auch den Titel «Mainstreaming Corporate Responsibility».

Anderes Business-Tempo. Was oft als Feigenblatt hochgehalten wurde, hat sich mittlerweile in einer modernen Form etabliert. «Das unternehmerische Denken muss da sein, wir engagieren uns nicht nach dem Mutter-Teresa-Prinzip, sondern lieber wie Bill Gates», sagt etwa Pia Tischhauser. Sie ist Partnerin bei The Boston Consulting Group (BCG) und mitverantwortlich für die Pro-bono-Aktivitäten des Beratungsunternehmens. Fünf Prozent des Umsatzes werden weltweit für gute Zwecke eingesetzt – allerdings bewusst nicht als Spenden, sondern nach privatwirtschaftlichem Ansatz. Die BCG bringt Beratungsleistungen ein, hilft sozialen Unternehmern bei Businessplänen oder Strategiefindung. Eines der Anliegen sei es, den Social Entrepreneur in der öffentlichen Wahrnehmung als tatsächlichen Unternehmer zu positionieren. Was man bei der Analyse der Businesspläne der neuen sozialen Akteure erkenne, habe mit «Jute und Sandalen» nicht mehr viel zu tun, so Tischhauser. Man arbeite oft mit Leuten, die genauso gut in einem SMI-Unternehmen sitzen könnten.

Für den ehemaligen UBS-CEO Peter Wuffli ist die neue «Entwicklungsökonomie», die nicht mehr einfach Verteil- und Spendencharakter hat, ein wichtiger Grund für den positiven Trend. Ein «wohltuender Pragmatismus» sei eingekehrt, indem nicht mehr rein ideologisch, sondern erfolgs-orientiert investiert und operiert werde.

Etwas Mühe hatte Wuffli anfänglich schon, dass «das Tempo in der Philanthropie etwas anders ist als in der Businesswelt», wie er einräumt. Heute aber sehe er auch die Vorteile der neuen Langsamkeit. Als er seine Stiftung Elea 2006 – vor der grossen UBS-Krise und seinem Sturz als CEO – gründete, wusste der Banker noch nicht, dass er so viel Zeit für sein neues Engagement haben würde. Wuffli sieht sich als Brückenbauer. Im sozialen Unternehmertum werden die Grenzen zwischen ökologischem, sozialem und ökonomischem Denken verwischt.

Das sei keine kurzfristige Modeerscheinung, sagt Wuffli. Die Einstellung habe sich massiv verändert, gerade innerhalb von Unternehmen. Einerseits geschehe dies sicherlich aus einer «defensiven Haltung» heraus, um keine Angriffsfläche zu bieten: «Immer mehr aber wird das Prinzip auch offensiv hochgehalten, um Investoren, Kunden oder Mitarbeiter zu gewinnen», sagt der Elea-Gründer. Darüber hinaus weist Wuffli auf ein anderes Phänomen hin, das den Trend beflügelt. Durch Börsengänge oder Firmenverkäufe kommen in der globalisierten Wirtschaftswelt viele Unternehmer schon in jungen Jahren zu Geld. «Da stellt sich dann unweigerlich die Frage: Was jetzt?»

Der Eventunternehmer Hans-Jürg (Schoscho) Rufener ist ein Vertreter dieser jüngeren Wirtschaftsgilde. Er verkaufte seine Firma Anfang 2009 erfolgreich an die MCH-Gruppe. Schon vier Jahre zuvor hat Rufener in Hamburg den gemeinnützigen Verein «Werte erleben» initiiert und gegründet. In Kultur- oder Naturprojekten sollen sich Jugendliche mit Werten wie Respekt, Vertrauen, Mut oder Verantwortung auseinandersetzen. Rufener betont, dass er sein Engagement nicht aus Imagegründen oder weil es gerade in Mode ist, pflege: «Ich habe damit angefangen, als das noch nicht so stark im Trend war.» Und er habe sein Projekt ganz bewusst in Hamburg lanciert, «wo wir frisch und unbelastet starten konnten». Im wachsenden Interesse für soziales Engagement sieht er eine «sehr spannende, aber ganz normale Entwicklung». Die Zeit sei einfach reif dafür.

Die neue Generation denkt anders. Davon ist Elea-Gründer Peter Wuffli überzeugt. Er sehe das klar an den Bewerbungen, die bei seiner Organisation eingingen. «Das sind sehr gute Leute», sagt HSG-Alumnus Wuffli. Vor 30 Jahren, als er studierte, gab es noch gar keine vergleichbaren Unternehmen. Zur Entwicklungszusammenarbeit fühlten sich eher linke Idealisten hingezogen. Heute aber sei es Mainstream und ein Wachstumsgebiet, so Wuffli. Und die Krise werde das noch verstärken.

«Früher war ein Markt ein Markt, die jüngere Generation aber wächst in einer Zeit auf, da die Strukturen nicht mehr so klar sind und die Herausforderungen immer komplexer werden», sagt der St.  Galler Professor Urs Peter Jäger. Der promovierte Betriebswirtschaftler ist Co-Leiter des Center for Leadership and Values in Society, das vor drei Jahren an der Uni St.  Gallen eingerichtet wurde. Man verzeichnet eine grosse Nachfrage nach den Kursen: «Die Studenten suchen nach Orientierung, sie geben sich nicht mehr mit Shareholder Value als einzigem Wert zufrieden», so Jäger.

Der Stiftungsexperte Georg von Schnurbein von der Universität Basel glaubt, dass sich gerade durch die Finanzkrise die Erkenntnis durchgesetzt habe, dass der Staat allein nicht alles richten könne: «Bürgerschaftliches Engagement hat eine neue Bedeutung bekommen», so von Schnurbein. Zudem werde durch die Krise auch qualifiziertes Personal freigestellt. «Und viele fragen sich in ihrer Situation: Warum mache ich nicht einmal ganz etwas anderes?» Zumal es heute ja ganz neue Möglichkeiten für soziales Engagement gebe. Statt bei klassischen Wohlfahrtsorganisationen wie Caritas oder WWF einzusteigen, locken soziale Projekte mit unternehmerischem Drive und Start-up-Charakter.

Auch in Traditionshäusern ist eine solche Karriere möglich. Bei Lombard Odier etwa wird Philanthropie grossgeschrieben, sie ist Steckenpferd von Teilhaber Thierry Lombard. Die Verantwortliche für den Bereich, Karin Jestin, ist ehemalige McKinsey-Beraterin. Nach einem Engagement beim Roten Kreuz kam sie über eine Non-Profit-Strategieberatung zur Privatbank. Die bankeigene Stiftung engagiert sich in den Bereichen Nachhaltigkeit, Klimawandel, Familienunternehmen und versucht das Interesse für Philanthropie zu steigern. Dabei befruchteten diese Aktivitäten mittlerweile das klassische Bankgeschäft, erklärt Jestin. Mit ihrer Stiftung ist Lombard Odier etwa in einem WWF-Projekt zur Verminderung des CO2-Ausstosses und zum Schutz der Wälder aktiv. «Dieses Engagement gibt uns beispielsweise fundierte Einblicke in die Umweltthematik. Das Know-how kann bei der Entwicklung neuer Finanzprodukte zum Tragen kommen», so Jestin. Die Bank erleichtert ihren Kunden die Einrichtung von eigenen gemeinnützigen Stiftungen durch eine eigene Dachstiftung. Das Interesse an philanthropischen Projekten steigt, auch für Mikrofinanz und verwandte Anlagen: «Natürlich habe ich die Hoffnung, dass diese Entwicklung anhält, es spricht mehr dafür als dagegen, die Krise hat zusätzlich für Verantwortungsbewusstsein gesorgt», sagt Jestin.

Verdächtige Lohas. Klaus Tischhauser (Bild) beobachtet diesen Wandel schon länger: «Jetzt hat die Bewegung allmählich so viel Gefolgschaft, dass sie sichtbar wird.» Es gebe ja auch immer mehr «anschauliche Projekte, die Sinn und Freude machen». Der ehemalige CS-Banker hat seine Firma ResponsAbility 2003 gegründet. Heute verwaltet das knapp 30-köpfige Team 900 Millionen Dollar und investiert für die Kundschaft weltweit in soziale Projekte. International gehört ResponsAbility zu den grössten Geldgebern aus dem Privatsektor. Auch in dieser Firma gilt: Gutmenschen können rechnen. 2008 erzielte der ResponsAbility Global Microfinance Fund in Schweizer Franken 5,1 Prozent Rendite. Im Krisenjahr 2009 waren es noch 0,25 Prozent. «Die Rendite schwankt, aber selbst in der Krise blieb sie positiv, weil wir in absolute Grundbedürfnisse investieren», erklärt Managing Director Tischhauser.

Während zuerst nur vereinzelte Banken und Privatpersonen anklopften, geschäftet man jetzt mit fast allen traditionellen Häusern. Zu den Gründern und Aktionären gehören etwa die Credit Suisse, Swiss Re, Vontobel oder Raiffeisen. Tischhauser sieht «ein Momentum» wie einst im Umweltbereich: «Vor wenigen Jahren noch sind doch auch alle, die im Solarbereich oder in Windenergie investiert haben, als nett, aber naiv belächelt worden.»

Paolo Richter ist einer der neuen sozialen Unternehmer. 2009 wurde er von
der Schwab Foundation zum «Swiss Social Entrepreneur» ausgezeichnet. Vor 16 Jahren hat der Sozialwissenschaftler mit MBA seine Firma Gump- & Drahtesel für berufliche Integration gegründet. Mittlerweile bietet das Unternehmen 120 Arbeitsplätze für erwerbslose Personen und stellt jährlich 7000 ausrangierte Velos für den Bedarf in Afrika instand. «Meine Motivation war, eine soziale Aufgabe mit handfestem Tun zu verbinden und ökonomisch auszurichten», erklärt Richter. Grosse wirtschaftliche Sprünge soll sein Gump- & Drahtesel gar nicht machen, das finanzielle Ziel ist, jeweils Break-even zu erreichen. Dass er bloss Vorreiter auf einer grossen Welle ist, sähe Richter gern. Noch aber glaubt er nicht so richtig daran. Es gebe zwar immer mehr Leute, welche die Lust am «Weniger ist mehr» entdeckten, aber der Glaube an endloses Wachstum sei noch weit verbreitet. Trotzdem sagt Richter: «Viele sind ernüchtert darüber, dass ökonomische Ziele alleine nicht das grosse Glück bringen.» Die Krise habe das noch verstärkt.

Hat die neue Bewegung eine Zukunft, oder ist sie einfach en vogue? Statt Gucci und Prada kaufen lieber ein bisschen sozial investieren? Und wenn die Konjunktur wieder richtig läuft, erneut umschwenken? «Das Thema bleibt und wird sich noch verstärken», sagt Trendforscher David Bosshart vom Gottlieb Duttweiler Institut. Er beobachtet etwa im Detailhandel das Revival des ehrbaren Kaufmanns, der für Ehrlichkeit und Qualität steht – und dies trotz Preisdruck und Konsumschwäche. Bosshart ortet in der Gesellschaft das «dumpfe Bewusstsein, dass es so nicht weitergehen kann». Die Abhängigkeit von der Finanzwelt und der Technologie sowie die immer stärkere Fragmentierung steigerten das Bedürfnis nach Kontrolle, Überschaubarkeit und Verbundenheit und damit auch den Willen, sozial zu handeln.

Der Euro-RSCG-Schweiz-Chef Frank Bodin hat in seiner Werbeagentur schon lange eine Art Kulturprozent für die gute Sache definiert. Er persönlich engagiert sich seit Jahren für ein freies Tibet. Von Berufs wegen am gesellschaftlichen Puls, bleibt der Werber aber skeptisch: «Es gibt sicher viel ernst gemeintes Engagement, aber auch viele Leute, die das immer noch als Marketingwerkzeug verstehen.» Allein schon all «die schicken Begrifflichkeiten, die da herumschwirren», wie «Lohas» (Lifestyle of Health and Sustainability) oder «Social Responsibility», findet Bodin verdächtig. Grundsätzlich aber glaubt auch er: «Wir kommen aus der Ego-Zeit heraus, es findet ein Wertewandel statt.» Die Ich-Gesellschaft sei an ihre Grenzen gekommen, so Bodin: «Es macht irgendwie keinen Spass mehr.» Das drückt auch Eventunternehmer Schoscho Rufener aus, wenn man ihn nach seiner Motivation für sein Jugendprojekt fragt und er meint: «Hätte ich mir lieber einen Porsche kaufen sollen?»

Eigentlich sei der Wandel eine historische Notwendigkeit nach Jahren von Globalisierung und Gewinnmaximierung, meint Werber Frank Bodin. Noch seien viele hin und her gerissen, ob sie «für sich selber oder wieder mehr fürs Gemeinwohl schauen» sollten. Vor dem Hintergrund der Diskussionen, die er als Mitglied im Club of Rome erlebt, ist Bodin überzeugt davon, dass neben der Ökologie das Gerechtigkeitsgefälle zu den dominierenden Themen der Zukunft gehöre: «Das ist keine Borkenkäfererscheinung.»