Ronald McDonald war der bislang Letzte. Vergangenen Herbst zog die Werbefigur der Fastfoodkette McDonald’s in den Genfer Boulevard du Théâtre ein, zusammen mit rund 50 Mitarbeitern und Europa-Chef Denis Hennequin. Seither werden die 6400 McDonald’s-Filialen zwischen Lissabon und Moskau nicht mehr aus London, sondern von der Rhonestadt aus dirigiert. «Die Verlagerung ermöglicht uns das strategische Management und die Lizenzierung von wichtigen internationalen Konzessionsrechten», begründete McDonald’s-Sprecherin Cath O’Grady den Umzug der Europazentrale. Konkurrent Burger King hatte das schon vorher realisiert: Bereits im Sommer 2006 schlugen die Burgerbrater ihr europäisches Hauptquartier in Zug auf. «Bei denen mussten wir uns speziell Mühe geben, weil es ein klingender Name mit Werbeeffekt ist», sagt der Zuger Standortförderer Hans Marti.

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Er und seine Kollegen sind im Werben um Firmensitze überaus erfolgreich: Seit 2003 wurden nach einer Studie der Unternehmensberatung Arthur D. Little (ADL) nicht weniger als 269 globale oder regionale Hauptquartiere in die Schweiz verlegt. «Vermutlich hat kein anderes Land weltweit so viele Firmenzentralen angezogen», sagt Carsten Vollrath, Schweiz-Chef von Arthur D. Little. Zwar ist in den letzten eineinhalb Jahren der Zustrom fast zum Erliegen gekommen. «Die Finanz- und Wirtschaftskrise hat sich als vorübergehendes Hemmnis erwiesen», sagt Vollrath. Für die Zukunft rechnet er jedoch mit einem Wiederaufflammen der Liebe ausländischer Firmen zur Schweiz. Bereits hat der amerikanische Hersteller von Navigationssystemen Garmin angekündigt, seinen Hauptsitz Ende Juni nach Schaffhausen zu verlagern. Zunächst sollen 5, später 20 Mitarbeiter dort tätig sein.

Jobmaschine. Garmin ist nur ein kleiner Fisch. Eine Statistik der Osec zeigt, dass die Übersiedlung einer Firma durchschnittlich einen BIP-Zuwachs von 75 Millionen Franken schafft sowie rund 450 zusätzliche Arbeitsplätze im Land. Hinzu kommen Multiplikatoreffekte: Pro geschaffenen Job entstehen direkt noch einmal 0,8 Stellen bei Dienstleistern vom Catering bis zur Wirtschaftsanwaltskanzlei. Und wenn diese Unternehmen wiederum das so verdiente Geld ausgeben, entstehen weitere 3,7 Stellen, so eine Studie des Kantons Genf. Insgesamt liefern ausländische Firmen bereits rund zehn Prozent der Schweizer Wirtschaftsleistung, sagt Martin Naville, Chef der Schweizerisch-Amerikanischen Handelskammer AmCham und Co-Autor einer Studie mit dem bezeichnenden Titel «Foreign Companies in Switzerland – The Forgotten Sector».

54 Prozent aller ausländischen Headquarters in der Schweiz sind amerikanischen Ursprungs, es folgen Firmen aus Deutschland, England und Frankreich. Unter den asiatischen Firmen stammt die Hälfte aus Japan, grosses Wachstumspotenzial ortet man in den BRIC-Staaten (Brasilien, Russland, Indien und China). Den Firmen können die Standortförderer gute Gründe für die Schweiz bieten: die politische Stabilität und die Rechtssicherheit, die Lebensqualität, das harmonische soziale Klima, die gute Infrastruktur, die gute Ausbildung der Arbeitskräfte und das vergleichsweise liberale Arbeitsrecht. Die Steuervorteile kommen erst auf Platz 11 der Liste der Schweizer Vorteile. «Es gibt viel wichtigere Argumente als die Steuern», sagt Patrik Wermelinger, Standortförderer des Kantons Luzern. Dennoch wird er auf das Jahr 2012 die Unternehmenssteuern auf den dann tiefsten Satz des Landes halbieren. «Man muss steuerlich sehr gut sein, um überhaupt in die engere Auswahl zu kommen», sagt sein Zuger Kollege Marti. «Steht man erst mal auf der Shortlist, ist das Package aus allen Faktoren entscheidend.»

Auch beim Umzug von McDonald’s nach Genf dürften steuerliche Aspekte eine Rolle gespielt haben (selbst wenn die Firma das offiziell bestreitet): Zuvor hatte die britische Regierung bekanntgegeben, strengere Gewinnsteuern für Firmen einzuführen, die – wie McDonald’s – ihr Geld mit dem Verkauf von Konzessionen verdienen. Häufig ist der Grund für die Standortwahl aber auch viel simpler – etwa bei jenem Präsidenten eines japanischen Unternehmens, der sich bei einem Besuch in die Schweiz verliebte und prompt seinen Europasitz an den Genfersee verlegte. «Emotionale Gründe sind nicht zu vernachlässigen gegenüber den harten Faktoren», stellt Carsten Vollrath von ADL fest.

Förderwirrwarr. Dabei könnte die Schweiz noch viel erfolgreicher sein beim Werben um ausländische Firmen. Doch ein Kompetenzwirrwarr und starke interne Konkurrenz verhindern, dass das Land nach aussen einheitlich auftritt. Denn die Standortförderung ist auf verschiedenen Ebenen angesiedelt: eine davon ist der Bund, genauer gesagt die Osec. Sie stellt Basisinformationen über die Schweiz zur Verfügung und veranstaltet Seminare für interessierte Firmen. Die konkrete Akquisition ist dann Sache der 25 kantonalen Standortförderer (nur 25, weil die beiden Halbkantone Basel-Landschaft und Basel-Stadt diese Aufgabe an einer Stelle gebündelt haben).

Dazwischen liegen überregionale Gebilde wie die Greater Geneva Berne Area mit den fünf Westschweizer Kantonen plus Bern oder die Greater Zurich Area mit sieben Deutschschweizer Kantonen sowie den Städten Zürich und Winterthur. Und letztlich haben zahllose – auch kleine – Gemeinden wiederum eigene Standortförderer. «Die Abstimmung zwischen den verschiedenen Standortpromotoren bleibt ein Knackpunkt, Einzelaktionen und Doppelspurigkeiten in der Marktbearbeitung sind noch immer Realität», sagt Markus Neuhaus von PwC, der die Situation im Auftrag der Osec untersucht hat. So sind in China und den USA jeweils der Bund, drei regionale Sammelorganisationen sowie drei einzelne Kantone präsent. Chinesen oder Inder etwa, denen das föderalistische System fremd ist, können nicht nachvollziehen, warum aus einem kleinen Land gleich mehrere verschiedene Standorte um ihre Firma buhlen. «Wir arbeiten an einem besser abgestimmten Auftritt, um kundengerechter zu werden», sagt Osec-Direktor Daniel Küng. Doch die Koordination ist erst im Aufbau: «26 Kantone, 26 Meinungen», fasst er den Status quo zusammen.

Die grössten Rivalen im Kampf um die Firmen sind Irland mit seiner klaren Industriepolitik sowie die Niederlande, Grossbritannien und Deutschland, wenn es um Hauptquartiere geht. Singapur ist im Bereich Finanzen und IT stark. Einen starken Konkurrenten ortet Sonja Wollkopf Walt von der Greater Zurich Area jedoch auch im eigenen Land: Die Kantone der Westschweiz nennt sie dabei an erster Stelle. Diese interne Konkurrenz ist das zweite grosse Problem der Schweizer Standortförderer: Bisweilen unterlassen sie es gar, einen Interessenten, der im eigenen Gebiet nicht angesiedelt werden kann, an andere Kantone weiterzuleiten. «Für mich persönlich kann es besser sein, wenn ein potenzieller Investor ins Ausland geht als in einen anderen Kanton», sagt ein kantonaler Vertreter.

So gross ist das Misstrauen der Behörden untereinander, dass sie nicht einmal Daten über die erfolgten Ansiedlungen austauschen. Die Volkswirtschaftsdirektorenkonferenz sowie ADL haben zwar genaue Zahlen, wer wie erfolgreich ist bei der Neugewinnung von Firmen. Auf Wunsch der Kantone dürfen sie aber nicht veröffentlicht werden. Immerhin verrät ADL, dass Luzern und Zug mit jeweils über 50 Hauptquartieren am erfolgreichsten sind (siehe «An bevorzugten Lagen» im Anhang).

Hauen und stechen. Zwar gibt es unter den Kantonen ein Gentlemen’s Agreement, wonach man sich gegenseitig keine Firmen abwirbt. «Aber leider halten sich nicht alle Kantone daran», sagt Hans Marti aus Zug. Bekannt ist das Beispiel von Unilever, die von Zug nach Thayngen SH abgeworben wurde, und jenes von Alcon: Der amerikanische Augenheilmittelspezialist, eine Tochter von Novartis, zügelt demnächst von Hünenberg ZG nach Freiburg und Genf. Die beiden Kantone haben ein Päckchen geschnürt, das dem Konzern bei der Bundessteuer weit entgegenkommt – eine Steuer notabene, die Alcon in Zug jahrelang bezahlt hat. Osec-Direktor Küng versucht, dem Hauen und Stechen etwas Positives abzugewinnen: «Der Wettbewerb zwischen den Kantonen ist auch einer der Hauptgründe, warum die Schweiz ein so attraktiver Standort ist.»

Nicht genutzt hat dem Standort freilich die zwischenzeitliche Begrenzung von ausländischen Arbeitsbewilligungen Anfang Jahr. Auch wenn der Bundesrat inzwischen zurückgekrebst ist: «Der Schaden ist angerichtet, das Vertrauen der Firmen in den Standort Schweiz beschädigt», sagt AmCham-Chef Naville. Auch der Steuerstreit macht der Schweiz zu schaffen. «Gerade wegen der Diskussionen der letzten Jahre ist es nicht immer einfach, etwa deutsche Unternehmen anzusprechen», bemerkt Küng. Denn nicht wenige Firmen haben Angst, dass bei einer Schweizer Informationsveranstaltung auch ein Vertreter des deutschen Fiskus unter den Zuschauern sitzt. «Man muss diskret vorgehen», empfiehlt Küng. «Da wir ja genügend andere Trümpfe in der Hand haben, müssen wir nicht unbedingt den Steueraspekt in den Vordergrund stellen.» Auch bei der Ansiedlung amerikanischer Firmen hilft der jüngste Streit mit den USA um die Steueroase Schweiz nicht.

Es ist also anzunehmen, dass die anderen Burgerbrater nicht so schnell etwas wissen wollen von einer Zentrale in der Schweiz.