Am früheren Swissair-Hauptsitz auf dem Balsberg beim Zürcher Flughafen geht Rolf Winiger immer noch ein und aus. Winiger sass jahrelang in der Chefetage des Mutterkonzerns SAirGroup, heute hilft er beim Verscherbeln der letzten Trümmer der zusammengekrachten Aviatikgruppe mit.
Viele Jahre lang war Rolf Winiger ein unauffälliger Mitläufer im Team seines CEO Philippe Bruggisser. Doch als dieser Anfang 2001 entlassen wurde, setzte sich der Manager für alle Fälle möglicherweise auf den falschen Stuhl. Er wurde Präsident der Tochtergesellschaft Flightlease, jenes Unternehmens also, das für die ganze Aviatikgruppe Flugzeuge beschaffte und finanzierte. Am 4. Oktober 2001 beantragte die hoffnungslos überschuldete Flightlease Nachlassstundung, analog zu SAirGroup, SAirLines und Swissair.
Dieser Kurzeinsatz an der Spitze der Flightlease könnte Winiger nun zum Verhängnis werden. Der zuständige Liquidator Karl Wüthrich bereitet eine Klage gegen die Verantwortlichen der Flightlease vor. Er habe entsprechende Massnahmen eingeleitet, bestätigt Wüthrich Recherchen der BILANZ. Im Herbst will der Sachwalter die Gläubiger informieren. Bereits im März hatte er gegen die Verantwortlichen der SAirGroup im Zusammenhang mit einer Tochtergesellschaft für elektronische Reservationssysteme auf Schadenersatz über 280 Millionen Franken geklagt.
Bei Flightlease steht ein Verlust von rund 60 Millionen Franken im Zentrum, entstanden durch Zahlungen an den so genannten Cash-Pool. Dort liefen die Geldströme der verzettelten Gruppe zusammen, um die Finanzlöcher zu stopfen. «Die Frage lautet: Durften die Verantwortlichen der Flightlease zulassen, dass unkontrolliert Dutzende von Millionen Franken in die Zentrale hochgesogen wurden, als die Krise längst virulent war?», begründet Wüthrich seine Klageabsicht.
«Kein Kommentar», antwortet Rolf Winiger. In der Vorphase einer rechtlichen Auseinandersetzung wolle er sich nicht äussern. Auch die übrigen Verantwortlichen, die in der Schlussphase im Verwaltungsrat der Flightlease sassen, wollen keine Stellung nehmen. CEO Philippe Bruggisser, Finanzchef Georges Schorderet, SR-Technics-Chef Hans Ulrich Beyeler, Netzwerkchef Ray Lyons und der Flightlease-Geschäftsführer Hans-Jörg Hunziker reagierten nicht auf Telefonanrufe und E-Mail-Anfragen.
Laut Wüthrich überwies die Leasingtochter zweistellige Millionenbeträge an die Mutterfirma. Und zwar in den Monaten vor dem Kollaps, zu einem Zeitpunkt also, in dem die Schwierigkeiten absehbar gewesen seien. Die Zentrale verteilte darauf die Gelder nach unklaren Vorgaben. «Das Konstrukt mit dem Cash-Pool war bei der SAirGroup gefährlich, weil keine eindeutigen Richtlinien für das Abziehen von Geldern existierten», urteilt Wüthrich. «Offenbar zählte nur der Befehl von oben, egal, was dieser für eine einzelne Tochtergesellschaft bedeuten würde.»
Der Sachwalter muss nun beweisen, dass durch das Verhalten der zuständigen Gremien – Verwaltungsrat, eventuell auch Management – den Flightlease-Gläubigern ein Schaden entstanden ist. Im Unterschied zum Strafrecht braucht es in Zivilfällen keinen Nachweis eines subjektiven Verschuldens. Es genügt, widerrechtliches Verhalten nachzuweisen, wozu meist schon Fahrlässigkeit ausreichend ist. Schwierig wird es hingegen, einen exakten Zusammenhang zwischen der Fahrlässigkeit und dem eingetretenen Schaden herzustellen.
Flightlease wurde im Mai 1997 gegründet mit dem Ziel, Leasingkosten und Steuern einzusparen. Die Flotte wurde an die Flightlease ausgelagert, mit dem Effekt, dass milliardenschwere finanzielle Substanz der Swissair auf diesem Weg verflüssigt und für die Expansion im Ausland eingesetzt werden konnte. Die neue Firma war Teil des grössten Umbaus in der Geschichte des einst blühenden Unternehmens: weg vom Stammhauskonzept hin zur Holdingstruktur. Laut Wüthrich war dies der Anfang vom Ende der Swissair.
Unter dem Dach der SAirGroup richteten Bruggisser & Co. Hunderte von Töchtern ein, die nicht mehr der Fluggesellschaft untergeordnet, sondern dieser gleichberechtigt zur Seite gestellt waren. Von da an kam der Mehrwert, geschaffen beispielsweise durch zu hohe Preise der Technik zu Lasten der Airline, den Aktionären der Gruppe zugute. Das Nachsehen dabei hatte die Airline, sagt Karl Wüthrich. «So wurde die Swissair, das einstige Stammhaus, von ihren Töchtern ausgesogen.»
Die SAirGroup-Verwaltungsräte scheinen die Problematik unterschätzt zu haben. Im Bericht von Ernst & Young vom Januar 2003 steht: «Die Protokolle enthalten keine Hinweise, dass der Verwaltungsrat die Konzernstruktur in den Jahren 1998 bis 2000 vertieft diskutiert und hinterfragt hätte.»
So konnte Flightlease ohne Kontrolle wuchern. Im Frühling 1999 besass die Firma 60 Jets, laut internem Bericht schon damals «ein schwer verkäufliches Flugzeugportfolio». Bis Ende 2000 wuchs der Bestand auf 112. Am 6. Februar 2001 zählte Flightlease 30 Gesellschaften, in Irland, Holland und auf der Kanalinsel Guernsey. Am 26. Februar 2001 bezifferte PricewaterhouseCoopers die Schulden der SAirGroup auf 10,7 Milliarden Franken, hauptsächlich wegen Airline-Beteiligungen und der Flightlease.
Im Juni 2001 schlug KPMG den Verkauf von Flightlease zwecks Liquiditätssicherung für drei Milliarden Franken vor. Der Plan kam zu spät. Drei Wochen nach den Terroranschlägen vom 11. September ging die Swissair Pleite.