Es ist der Alptraum jeder Kommunikationsabteilung: Da hat man eine hübsche Präsenz auf allen Social-Media-Kanälen, einen guten Sprecher und nette Pressemitteilungen. Aber kaum wird ein grosser Umbau verkündet, hat der inoffizielle Twitter-Account von anonymen und unzufriedenen Mitarbeitern mehr Follower als der eigene Firmen-Account.

Genauso ist es kürzlich beim Medienkonzern Tamedia geschehen. Als das Unternehmen eine grosse Umstrukturierung bekannt gegeben hatte, entwickelte sich der Account «Inside Tamedia» zum inoffiziellen, aber viel gelesenen Kommunikationskanal der verunsicherten Mitarbeiter. Interna aus Sitzungen, Stimmungsbilder aus Abteilungen drangen so an die Öffentlichkeit.

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«Von Beginn an verfolgt»

Welchen Effekt hat diese direkte Kommunikation nach aussen durch die Mitarbeitenden? Gibt es eine optimale Reaktion für Führungskräfte und Firmen darauf?

Christoph Zimmer, Leiter Kommunikation bei Tamedia, sagt: «Wir haben den Twitter-Account von Beginn an verfolgt.» Die Belegschaft sei wenige Stunden nach dem Entscheid des Verwaltungsrats informiert worden. Der Twitter-Account habe die Kommunikationsstrategie von Tamedia nicht beeinflusst. «Unternehmen sollten sich der Kritik stellen und möglichst offen kommunizieren, die Interaktion mit einem anonymen Twitter-Kanal ist aber schwierig», so Zimmer.

Neue Realität der Kommunikation

Für Peter Stücheli-Herlach, Professor für Organisationskommunikation an der Zürcher Fachhochschule ZHAW und Jury Präsident des Swiss Award für Corporate Communication, ist es kein bedrohliches oder überraschendes Phänomen, wenn sich Mitarbeiter selbstständig an die Öffentlichkeit wenden. «Es gehört schlicht zur neuen Realität vernetzter Unternehmenskommunikation.» Die Kommunikationsabteilung sollte diesen Wettbewerb um die öffentliche Wahrnehmung aufnehmen.

«Das geht natürlich nur, wenn die Firmenleitung mitmacht. Sie dafür ins Boot zu holen, wird dann zur Nagelprobe.» Stücheli-Herlach plädiert für eine dynamische anstatt einer fixen Kommunikationsstrategie: «Köpfe zeigen, Prozesse offenlegen, Argumente liefern, Lernschritte teilen, Mission und Entscheide schärfen. Das sehen wir mittlerweile auch bei grossen Unternehmen wie Mobiliar und Raiffeisen», so Stücheli-Herlach. Diese würden diese Methoden gut anwenden.

Klarer Warnhinweis

Dieter Georg Adlmaier-Herbst, Kommunikationsexperte und Dozent für Unternehmenskommunikation in Transformationsprozessen an der Universität St. Gallen sieht im Inside-Tamedia-Account keinen Einzelfall. «In den vergangenen Jahren hat es zahlreiche Fälle gegeben, in denen Mitarbeitende ihrem Unmut über eigene Social-Media-Kanäle wie Twitter und Facebook frei Luft gemacht haben - teilweise ist dies sogar mit Unterstützung der Interessenvertretungen geschehen.»

Für ihn sind anonyme Social-Media Accounts von Mitarbeitern aber ein klarer Warnhinweis: «Die Firma sollte dies als deutliches Signal sehen, dass die Mitarbeitenden unzufrieden sind und die vorhandene Kommunikation nicht klappt. Kommunikation entsteht ja, indem die Kommunikationspartner damit zufrieden sind, wie sie abläuft. Das ist im Fall von Tamedia offenbar nicht der Fall.» Eine Firma sei nun gefordert, die Wünsche und Erwartungen der Mitarbeiter zu analysieren und zu fragen: «Wie kann ich den Prozess so gestalten, dass die Mitarbeitenden mit der Unternehmensleitung ins Gespräch kommen und nicht mit Menschen ausserhalb des Unternehmens, die ja nichts ändern können.»

«Zeigt Herausforderung traditioneller Medien»

Mitarbeiter suchten sich in der Not alternative Kanäle, wenn die Kommunikation des Managements als unglaubwürdig empfunden werde, glaubt auch Kommunikationsspezialist Roland Binz. «In so belastenden Situationen ist PR-Geschwurbel kontraproduktiv.»

Für Tamedia-Sprecher Zimmer zeigt der anonyme Account, der inzwischen schon wieder etwas ruhiger geworden ist, ein grösseres Phänomen: «Der Twitter-Account zeigt vermutlich unfreiwillig, aber fast idealtypisch die Herausforderung traditioneller Medien: Jeder kann kostenlos Öffentlichkeit herstellen; soziale Medien greifen das auf und einige Redaktionen berichten darüber, obwohl sie Glaubwürdigkeit und Authentizität der Quelle kaum beurteilen können.»

Stellenabbau nicht kommunizierbar

Die Zeiten, in denen Kommunikationsabteilungen die Hoheit über die Kommunikation zu ihren Unternehmen gehabt hatten, seien definitiv vorbei, sagt Cordula Rieger, Mitglied der Geschäftsleitung der PR- und Beratungsfirma Farner, die unter anderem spezialisiert ist auf interne Kommunikation. «Es ist sogar die Norm, dass Mitarbeiter ‹parallel› über ihre Firma sprechen - sei es im Unternehmen oder auch im Freundes- und Bekanntenkreis. Das ist bei den Unternehmern auch erwünscht. Nicht umsonst hört man immer wieder: ‹Unsere Mitarbeitenden sind unsere wichtigsten Botschafter.›» Und auch früher kam es vor, dass Mitarbeitende via Gewerkschaften oder Medien Insider-Wissen nach aussen spielten.

Das Phänomen sei daher nicht neu. Neu sei lediglich, dass sich die Botschaften schneller und weiter verbreiten. Das könnten autonome Gruppen von Mitarbeitenden sein, aber auch Personen auf Bewertungsplattformen wie Kununu oder Glassdoor. «Natürlich wünscht sich jede Firma, dass die Kommentare hier positiv ausfallen.» Mit schlechten Nachrichten umzugehen, verhelfe aber zu einer soliden Kommunikationsarbeit und Bereitschaft zum Dialog. «Einen Stellenabbau beispielsweise kann man nicht ‹gut› kommunizieren, denn das sind per se schlechte Nachrichten», so Rieger.

«Regelmässige und authentische interne Kommunikation»

Firmen könnten aber möglichst viele Hintergründe aufzeigen, nicht nur aus Sicht der Firma zu kommunizieren, ganz klassisch: Eine Führungskraft müsse sich persönlich vor die Mitarbeitenden stellen. Eine Aufgabe, die nicht delegierbar sei. «Eine regelmässige und authentische interne Kommunikation im Alltag legt den Grundstein dafür, dass man auch in schwierigen Zeiten glaubwürdig kommunizieren kann.»

Stefan Mair
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