Das FINMA-Rundschreiben 2017/2 «Corporate Governance – Versicherer» konkretisiert die Bestimmungen des Versicherungsaufsichtsgesetzes betreffend die Corporate Governance. In den Randziffern 6 bis 15 finden sich neun Corporate Governance-Prinzipien, die von jedem Schweizer Versicherer unternehmensweit umgesetzt werden müssen. Hierunter sind unter anderem auch verschiedene Massnahmen vorgeschrieben, welche den mit der Geschäftsführung sowie Oberleitung, Aufsicht und Kontrolle des Versicherungsunternehmens betrauten Personenkreis betreffen.
Ferner sind am 01. Januar 2021 verschiedene Änderungen des Obligationenrechts durch den Bundesrat in Kraft gesetzt worden. Eine dieser Änderungen betrifft auch die Geschlechterdiversität. Konkret sollen grosse börsenkotierte Unternehmen mit Sitz in der Schweiz zukünftig einen 30%-igen Frauenanteil im Verwaltungsrat und einen 20%-igen Frauenanteil in der Geschäftsleitung anstreben (jeweils Richtwerte). Unterschreitet ein Unternehmen diese vorgegebenen Richtwerte, so ist es ab dem Jahr 2026 verpflichtet, im Rahmen des zu publizierenden Vergütungsberichts auf die Gründe einzugehen und Massnahmen zur Verbesserung der Frauenquote darzulegen.
Autor:
Prof. Dr. Florian Schreiber ist Insurance Lead am Institut für Finanzdienstleistungen Zug IFZ der Hochschule Luzern – Wirtschaft. In dieser Rolle fungiert er auch als Programmleiter des Weiterbildungslehrgangs CAS Future of Insurance sowie als Herausgeber des IFZ Insurance Insights Blog.
Auch die grossen Vertreter der Schweizer Assekuranz müssen diese Vorgaben zukünftig entsprechend umsetzen. Ein prominentes Beispiel eines in die Kritik geratenen Versicherers die Swiss Re, deren Verwaltungsrat – mit Stand am 31. März 2022 – die 30%-Quote noch nicht erfüllt. Vor diesem Hintergrund hat das US-amerikanische Stimmrechtsberatungsunternehmen Institutional Shareholder Service (ISS) den Swiss Re-Aktionärinnen und -Aktionären die Abwahl des Verwaltungsratspräsidenten Sergio Ermotti empfohlen. Ist diese Empfehlung gerechtfertigt? Sind die Schweizer Versicherer tatsächlich zögerlich, wenn es um die Geschlechterdiversität in ihren Leitungsgremien geht?
Frauenanteil in den Verwaltungsräten mit Verbesserung im Jahresvergleich
Die im Rahmen der IFZ Versicherungsstudie 2022 analysierten Versicherungsgruppen bzw. -gesellschaften verfügen über insgesamt 481 Verwaltungsratssitze. Von diesen werden derzeit 105 Mandate von Frauen wahrgenommen (2019: 93 Mandate), was einem Anteil von 22% entspricht (vgl. Abbildung) – im direkten Vergleich zum Vorjahr bedeutet dies erneut eine Steigerung von zwei Prozentpunkten. Die Verbesserung der Geschlechterverteilung kann in der täglichen Praxis mitunter jedoch eine echte Herausforderung darstellen, weil der Frauenanteil unter den Führungskräften in den relevanten Branchen generell eher tief ist. Oftmals ergibt sich dann ein nicht zu vernachlässigender Trade-Off zwischen dem ursprünglich festgelegten Anforderungsprofil (siehe auch die Anforderungen des FINMA-Rundschreiben 2017/2 «Corporate Governance – Versicherer») für neue Verwaltungsratsmitglieder und der Zielsetzung, den Frauenanteil im Gremium zu erhöhen. Im Sinne der Diversität und guten Corporate Governance sind über die letzten Jahre jedoch stetige Verbesserungen zu beobachten. Abschliessend ist noch die Vorreiterrolle der Zürich Versicherungs-Gesellschaft AG hervorzuheben: Mit sechs Verwaltungsrätinnen und fünf Verwaltungsräten (Frauenanteil: 55%) ist sie der einzige Schweizer Versicherer, in dessen Verwaltungsratsgremium mehr Frauen als Männer Einsitz nehmen (Stand: 30. September 2021).
Geschäftsleitungen hinken noch hinterher
Der Frauenanteil in den Geschäftsleitungen der Schweizer Versicherer ist mit 15% konstant auf dem Vorjahresniveau verharrt (vgl. Abbildung) und bleibt damit immer noch deutlich hinter dem Frauenanteil in den Verwaltungsräten zurück (22%; 2020: 20%). In Köpfen ausgedrückt: Unter den 336 Geschäftsleitungsmitgliedern, die in unserer Analyse erfasst sind, sind gerade einmal 51 Frauen zu finden (2020: 50 Frauen). Insgesamt können 14 der 81 untersuchten Versicherer (17%; Anteil Vorjahr: 15%) eine Frauenquote von mindestens 33% vorweisen. Bei fünf Gesellschaften (2020: sechs Versicherer) ist mindestens die Hälfte der Geschäftsleitungssitze mit Frauen besetzt. Wie im Vorjahr 2020 hatten mit der Assista Protection juridique SA, der Protekta Rechtsschutz-Versicherung AG und der Solen Versicherungen AG per Ende September 2021 drei Schweizer Versicherer eine ausschliesslich weibliche Geschäftsleitung.
Bisherige Beiträge zur IFZ Versicherungsstudie 2022:
- IFZ-Studie mit Fokus auf Ökosysteme und Partnerschaften
- Wie wirkt sich Corona auf die Profitabilität der Versicherer aus?
- Diversity in den Leitungsgremien der Schweizer Versicherer
- Digitale Ökosysteme: Positionierung der Schweizer Versicherer
Beiträge zur IFZ Versicherungsstudie 2021:
- IFZ Versicherungsstudie 2021: Erfolgreich mit Kostendruck umgehen
- IFZ Versicherungsstudie 2021: Wer ist im MF-Geschäft am profitabelsten?
- Zukunft der Generalagentur: Was denken die Kunden? – Teil 1
- Zukunft der Generalagentur: Was denken die Kunden? – Teil 2
- Wer leitet die Schweizer Versicherungen? Es sind noch immer vor allem Männer
- So bringen Schadenversicherer ihre Produkte unter die Leute