Das Coronavirus nimmt die Schweiz wieder in den Griff. Täglich kommen weit über 2000 neue Infektionen hinzu, im März auf dem bisherigen Höhepunkt der Pandemie waren es nur halb so viele. Sicher: Heute wird auch mehr getestet. Trotzdem diskutiert die Politik darüber, wieder schärfere Massnahmen einzuführen; gar von einem zweiten Lockdown ist die Rede.

Bisher reagiert der Bund jedoch zögerlich; noch haben die Kantone das Sagen und diese wollen einen Lockdown verhindern. Derzeit gibt es noch nicht einmal einheitliche Regeln für das Tragen einer Maske, obwohl viele Wissenschafter sie für das effektivste Mittel halten, die Ausbreitung des Virus zu verhindern – vor allem, solange es noch keinen Impfstoff gibt.

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Einen Lockdown wie im Frühjahr dürften Bund und Kantone mit allen Mitteln zu verhindern versuchen. Denn der Schaden für die Wirtschaft wäre massiv, zwischen April und Juni brach die Schweizer Wirtschaftsleistung um rund 8 Prozent ein. «Ich glaube nicht, dass es nochmals zu einem solchen Einbruch kommt, damals wurde mit einem nationalen Lockdown sehr radikal reagiert», sagt Jan-Egbert Sturm, Leiter der Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich (KOF).

Bundesrat muss handeln

Allerdings dürften die Infektionszahlen diesmal anders als bei der ersten Welle über einen längeren Zeitraum ansteigen, denn die kalte Jahreszeit steht noch bevor. In den Sommermonaten hatte sich die Wirtschaft wieder etwas erholt, aber klar ist, dass es nicht so weitergeht, wenn Teile der Wirtschaft wieder geschlossen würden. «Einen Einbruch wie im zweiten Quartal kann sich die Schweiz nicht leisten», sagt der Roger Wehrli von Economiesuisse.

«Wir brauchen einen Bundesrat, der deutlich sagt, was zu tun ist», meint Sturm, der auch Mitglied der Covid-19-Taskforce ist. Der Ökonom plädiert dafür, dass die Bundesebene handelt: «Es ist wichtig, dass der Bund Massnahmen ausspricht, um die Menschen dazu zu bewegen, sich wieder stärker an die Regeln zu halten.» Es brauche nun wieder zusätzliche Einschränkungen, etwa von grösseren Versammlungen. 

Auch persönliche Kontakte sollten wieder eingeschränkt und dort, wo sie sich nicht vermeiden lassen, strenge Hygiene- und Abstandsregeln eingehalten werden. Schliesslich ist die Wissenschaft heute schon viel weiter als bei Ausbruch der Pandemie, vieles lässt sich besser machen als im Frühjahr.

Gesellschaft in der Verantwortung

Wie gross der wirtschaftliche Schaden durch den weiteren Verlauf der Pandemie sein wird, lässt sich nur schwer absehen. Doch für Jan-Egbert Sturm ist klar: «Je mehr die Gesellschaft ihr Verhalten anpasst, desto weniger wird die Wirtschaft leiden.» Der Worst Case wäre laut Sturm ein erneuter Lockdown, er hofft, dass es nicht so weit kommt.

Dazu können das Tragen von Schutzmasken sowie Abstands- und Hygieneregeln beitragen. «Wir wissen heute einigermassen, wie wir uns verhalten müssen, ohne die Wirtschaft abzuwürgen. Das ist positiv». Zudem sei die Wirtschaft heute besser auf eine zweite Welle und entsprechende Massnahmen zur Eindämmung der Pandemie vorbereitet.

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Anfang des Jahres hat die Pandemie die Unternehmen teilweise völlig unerwartet getroffen. Alle Branchen haben Schutzkonzepte, die vor allem auf die Sicherheit der Arbeitnehmenden abzielt. Einige Unternehmen reagieren bereits auf die steigenden Infektionszahlen und schicken ihre Mitarbeitenden wieder ins Homeoffice

Dass sich die Schweiz einen zweiten Lockdown nicht leisten kann, sagt auch Roger Wehrli von Economiesuisse. Die Branchen, die am stärksten von der ersten Corona-Welle betroffen waren, sind Detailhandel, Gastronomie und die Eventbranche. Doch im Sommer lief es dank konsumfreudigen Schweizerinnen und Schweizern wieder besser. Anders sieht es bei der Exportwirtschaft aus: Hier fangen die Probleme gerade erst an, denn bisher zehrten sie noch von Auftragsbeständen aus der Vor-Corona-Zeit.

Exportwirtschaft leidet unter fehlender Nachfrage

Nun aber fehlt die Nachfrage aus dem Ausland, insbesondere für Investitions- und Luxusgüter. «Die Wirtschaft ist zweigeteilt: Die Binnenwirtschaft hat sich über den Sommer einigermassen erholt, während die Krise in der Exportwirtschaft zunimmt», erklärt Wehrli. Während die Exporteure während der ersten Welle weniger betroffen waren als die Binnenwirtschaft, sei die Situation im Sommer gekehrt. 

Laut einer Umfrage von Economiesuisse und dem Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) beklagen rund 70 Prozent der Exportbetriebe ausser der Pharmaindustrie Absatzprobleme im Ausland, während sich die Stimmung in der Binnenwirtschaft seit Mai wieder aufgehellt hat.

Doch auch in den Nachbarländern Deutschland, Österreich, Italien und Frankreich breitet sich die Pandemie ähnlich rasant aus wie hierzulande. Wenn es in Europa zu einer zweiten Welle kommt, geht die Wirtschaft auch hierzulande zurück – mit oder ohne Lockdown. Denn die Erholung in den vergangenen Monaten war nicht nur in der Schweiz, sondern auch in den europäischen Nachbarländern konsumgetrieben.

Sicherheit und Vertrauen sind entscheidend

Die europäische und die Weltkonjunktur haben sich zwar erholt, doch die Wirtschaft ist immer noch weit weg vom Vorkrisenniveau. Als weltoffene Volkswirtschaft ist die Schweiz abhängig von der Situation im Ausland – für KOF-Ökonom Sturm ein weiterer Grund dafür, dass die Bundespolitik handeln soll.

Fest steht: Je schneller sie das tut, desto besser kann sich die Wirtschaft darauf einstellen. Und für Vertrauen bei den Menschen sorgen, denn Unsicherheit und Angst dürften für den wirtschaftlichen Schaden durch die zweite Welle entscheidend sein.