Achtsam kündigen – was Arbeitgeber bedenken sollten

Marianne Sievers hat ihren Arbeitsplatz infolge von Corona verloren. Getyourguide hat neunzig Mitarbeitende entlassen, darunter auch Sievers, weil Kurzarbeit den Umsatzeinbruch aufgrund der Pandemie nicht länger auffangen konnte. Das Touristik-Startup mit Sitz in Berlin und Schweizer Wurzeln zog Konsequenzen, wie es viele Firmen auch in der Schweiz getan haben. Reiseveranstalter, Autozulieferer, Uhrenhersteller: Die Kündigungswellen der vergangenen Monate waren Corona-geprägt. Knapp 60'000 Menschen mehr als im Vorjahr haben in der Schweiz ihre Anstellung verloren. Obwohl die Option der Kurzarbeit das Schlimmste verhindert hat, ist die Arbeitslosigkeit im Jahr 2020 von 2,3 Prozent auf 3,5 Prozent angestiegen. Die Corona-Kündigungen haben einen besonderen Charakter. Marianne Sievers zum Beispiel war Anfang März noch befördert worden. Die 32-Jährige startete ein Training für die neue Position im Customer Service, zweites Level, dann kam der Lockdown. Ihr wurde schnell der Ernst der Lage deutlich. Sie sagt: «Alles, was wir noch abgehandelt haben, waren Stornierungen. Massenweise Stornierungen.» Dann blieb die Arbeit aus. Als die Entlassungen nötig wurden, entschied sich Getyourguide zu einem ungewöhnlichen Schritt: Statt die Kündigungen diskret abzuwickeln, stellte das Startup seine Ex-Angestellten aufs Podest. Die Namen und Kontaktdaten aller Entlassenen wurden in einer Alumni-Liste auf Linkedin publiziert, sofern sie dem zustimmten. Ungewöhnlich: Getyourguide stellt Profile ihrer gekündigten Mitarbeitenden online. Die vollständige Liste der «Getyourguide-Alumnis». «Ein guter Teil der Mitarbeitenden, die aktuell entlassen werden, hätten unter normalen Umständen nicht ihren Job verloren. Das beschleunigt einen freieren Umgang damit, gekündigt worden zu sein», sagt Claudia Bolliger-Winkler, Co-Gründerin und Chefin des digitalen Stellenvermittlers Lionstep. Auf der sogenannten Alumni-Liste von Getyourguide steht auch Marianne Sievers. Für sie war der transparente Ansatz ein Erfolg: Rund fünfzig potenzielle Arbeitgeber haben sich bei ihr gemeldet, um ihr eine Stelle anzubieten. Sievers blickt vergleichsweise entspannt auf ihre Entlassung zurück. Sie habe das Unternehmen als wertschätzend erlebt während der Corona-Zeit, proaktiv in der Kommunikation, sagt sie. Sievers weiss: «Die Situation, nicht die Person war der Anlass für die Kündigung. Wir haben auch entsprechend Unterstützung bekommen, eben zum Beispiel durch die Alumni-Liste.» Dass die Kündigung kam, sei unter den Umständen okay gewesen. Ein so offenherziger Umgang mit Entlassungen, ist das auch in der Schweiz denkbar? «In der Schweiz hat bisher noch kein Unternehmen die Profile der Gekündigten visibel gemacht. Das entspricht auch nicht der schweizerischen Zurückhaltung», sagt Lionstep-Chefin Bolliger-Winkler. Doch auch in der Schweiz hinterlassen die Corona-Kündigungen Spuren beim Umgang der Firmen mit dem Thema. «Was sich ändert, ist, dass Firmen Spezialisten hinzuziehen, die im Prozess der Entlassungen unterstützen», sagt die Managementexpertin. Zum einen, damit sie sicher seien, die rechtlichen Vorgaben korrekt umzusetzen. «Aber auch, um die Mitarbeitenden zu unterstützen.» Gleichzeitig verändert sich auch in der Schweiz der Umgang mit Jobverlust und Stellenwechsel. Darum sei es weniger schambesetzt als noch vor einer Generation, wenn jemandem gekündigt werde. «Ein 53-jähriger Banker hätte sich in der Schweiz bestimmt nicht auf eine Parachute-Liste setzen lassen.» Regula Monin, die in Wirklichkeit anders heisst, hätte es wohl für sich erwogen. Sie arbeitete für Orsay. Das Unternehmen mit Sitz in Süddeutschland war bis zum Sommer in der Schweiz präsent, musste dann alle elf Filialen schliessen. Wie Sievers hatte Monin zunächst Verständnis, als sich Corona-Folgen abzeichneten. «Dem Unternehmen ging es in der Schweiz auch vor Corona schon nicht so gut», sagt die 43-Jährige. Der Lockdown war dann zu viel, Ende Juli war Schluss. 55 Mitarbeitende verloren ihren Job. «Nichts hat man uns kommuniziert. Nichts war transparent. Ich hatte irgendwann so eine Wut in mir.» Doch nicht daran stösst sich Monin, sondern an der Art und Weise, wie das Unternehmen mit den Kündigungen umgegangen sei. «Im Juli kam ein Brief, in dem stand, dass es nicht gut um das Unternehmen steht. Alle Mitarbeitenden könnten sich mit Ideen ins Konsultationsverfahren einbringen und Lösungsmöglichkeiten entwickeln.» Einen Tag nach Abschluss der Konsultation habe die Firma bereits Banner mit dem Aufdruck «Wir schliessen» geliefert. Bei Regula Monin blieb darum der Eindruck zurück: Das Angebot der Konsultation war eine Pflichtübung, die Schliessung beschlossene Sache.Was Arbeitgeber tun können ► Transparent sein, wenn sich die Lage verschlechtert. Mitarbeitende fühlen sich so ernst genommen. ► Wertschätzung durch Taten statt durch Worte ausdrücken, etwa durch Unterstützung bei der Suche nach dem nächsten Job. ► Das direkte Gespräch suchen, im Zweifelsfall von Externen begleitet. Die Betroffenen sollten als Erste von den Kündigungen erfahren, nicht die Medien oder Kunden. Wenige Tage später erfuhr Regula Monin das genaue Datum der Schliessung: nicht von Vorgesetzten, sondern aus einem Kunden-Newsletter. Innerhalb von zwei Wochen waren dann alle Filialen in der Schweiz abgewickelt. «Nichts hat man uns kommuniziert. Nichts war transparent. Ich hatte irgendwann so eine Wut in mir», sagt Monin. Orsay wollte sich auf Anfrage nicht äussern. Für Monin steht fest: «Ich werde nie wieder auch nur einen Euro in einem Orsay-Geschäft lassen. Nie mehr!» Umgang mit Kündigungen ist eine Generationenfrage Monin hat während der Kündigung die Wertschätzung gegenüber den Mitarbeitenden gefehlt, und das war es, was für sie die Entlassung stark negativ geprägt hat. Die Haltung gegenüber einer Kündigung ist aber auch eine Generationenfrage. Marianne Sievers zum Beispiel sieht ihre Tätigkeit eher nüchtern. «Meine Arbeit war nie mein Lebensmittelpunkt», sagt sie. «Es tut gut, mehrere Standbeine zu haben. Neben ihrer Beschäftigung bei Getyourguide, mit einem Pensum von 80 Prozent, studiert sie parallel Fotografie, schreibt ab und zu für Medien in Berlin. Auch sie möchte in der Zukunft mal länger bei einer Aufgabe bleiben, sagt aber zugleich: «Es kommt mir fast vor wie eine komische Idee, nur einen Bürojob auszuüben. Das lastet doch Körper und Geist nicht aus.» Regula Monin ist aus einem anderen Holz geschnitzt. Als ungelernte Arbeiterin hat sie sich im harten Retailgeschäft in Positionen mit Verantwortung vorgearbeitet. «Ich habe keine Angst, selbst anzupacken, arbeite gut. Bisher immer mit Erfolg.» Eine Anstellung hat sie auch jetzt schnell wiedergefunden. «Allerdings musste ich harte Lohneinbussen hinnehmen: 33 Prozent weniger als vorher verdiene ich jetzt», sagt sie. Ein tiefer Einschnitt. «Ich hätte mehr Geld bekommen, wenn ich arbeitslos geblieben wäre. Aber das wollte ich nicht.»Was Entlassene tun können ► Ruhe bewahren und respektvoll bleiben. Eine gute Grundlage für die Verhandlung des Austrittspaketes. ► Ihre Jobchancen mögen schlechter aussehen als in anderen Zeiten. Bewahren Sie Offenheit und sehen Sie es als Übergangsphase. ► Bleiben Sie flexibel, bis die Corona-Krise abflaut. Im Aufschwung ist wieder mehr Lohn drin, wenn Sie den Job noch einmal wechseln. Lohneinbussen beim Jobwechsel drohen besonders nach einer Kündigung vor allem im derzeitigen Krisenmodus in vielen Bereichen. «Für Entlassene in einigen Bereichen, zum Beispiel aus der Gastro- oder der Eventbranche, ist es momentan schwierig, wieder einen Job zu finden. Für andere ist es durchaus möglich. Es kann aber sein, dass sie ihre Lohnvorstellungen anpassen müssen», sagt Claudia Bolliger-Winkler. «In dem Fall empfiehlt es sich, wechselbereit zu bleiben. Wenn nach der Krise der Aufschwung kommt und der Run auf qualifizierte Mitarbeitende wächst, könnten sie gute Chancen haben, an ihr altes Lohnniveau anzuknüpfen.» Auch Regula Monin hat sich vorgenommen, offen zu bleiben für Veränderung. Solange die Krise dauere, sei der niedrigere Lohn in Ordnung. «Aber mittelfristig muss sich das verändern, entweder über einen Aufstieg in der jetzigen Firma oder über einen Jobwechsel.»