Das sind die wenigen weiblichen CFOs der Schweizer Konzerne

Die Kandidatin ist hoch qualifiziert und perfekt für die Stelle geeignet: Finanzstudium in St. Gallen und an der IMD Business School, jahrzehntelange Führungserfahrung in Branchen von Lebensmittel bis Mikroelektronik, unter anderem als Finanzchefin. Allerdings wäre da noch ein Punkt: Die Kandidatin ist hochschwanger. Ricarda Demarmels war vor zwei Jahren genau in dieser Lage – und hat den Job trotzdem bekommen. «Man hat vorurteilsfrei auf die Qualifikation geschaut. Solche Arbeitgeber brauchen wir», findet die 41-Jährige. Seit letztem Jahr ist sie CFO beim Milchkonzern Emmi in Luzern. Wenn Demarmels über ihre Tätigkeit spricht, ist ihr die Begeisterung deutlich anzumerken. «Ich freue mich jeden Tag auf die Arbeit.» Die zweifache Mutter gehört zu einer raren Spezies: zu jener der weiblichen CFO. Laut einer Umfrage der Hochschule Luzern wird nur in 10 von 192 börsenkotierten Schweizer Unternehmen das Finanzressort von einer Frau geleitet. Das entspricht einem Anteil von 5,2 Prozent. Das ist mager, sehr mager. Gemäss Schilling-Bericht beträgt der Anteil der Frauen in Geschäftsleitungen bei den grössten hundert Schweizer Firmen 10 Prozent, also doppelt so viel wie bei den CFO. Beim Dossier Finanzen auf oberster Hierarchiestufe hinkt man demnach locker 10 bis 15 Jahre hinterher. Ähnlich tief – nämlich ebenfalls bei 5 Prozent – klebt der Anteil weiblicher CFO unter den zwanzig grössten Konzernen der Schweiz: Unter diesen SMI-Firmen findet sich gerade mal eine einzige Frau, die sich ums Dossier Finanzen kümmert. Sie heisst Géraldine Picaud, ist Französin und arbeitet für den Industriekonzern Lafarge Holcim. Die Fünfzigjährige ist eine Routinière, der Finanzkonzern mit Sitz in Zug ist bereits ihre dritte Stelle als Finanzchefin. Sie ist eine absolute Ausnahmeerscheinung: Bereits mit dreissig Jahren stieg sie zur Finanzchefin in einem Unternehmen auf. Zur raren Spezies der Finanzchefinnen in einem Milliardenkonzernen gehört auch Annabella Bassler (Ringier). Oder Jill Lee (Sulzer) und neu Annelis Lüscher Hämmerli (Helvetia). Doch wie kommt es, dass das Finanzressort derart krass von Männern dominiert wird? Und was müsste getan werden, damit das Geschlechterverhältnis ausgeglichener ist? Gleiche Hürde für alle Frauen Für die Untersuchung der Hochschule Luzern hat die Studentin Tanja Todorovic fünf weibliche CFO interviewt. Und die sprachen immer wieder die gleichen Hürden an: Der Finanzbereich gilt nach wie vor als Men’s World, was dazu führt, dass vorzugsweise Männer in Leitungsfunktionen befördert werden. Sie sind zudem oft besser vernetzt als ihre Kolleginnen. Und fehlende Betreuungsmöglichkeiten machten es sehr schwer, die Führungsfunktion mit einer Familiengründung unter einen Hut zu bringen. Doch es ist auch die Arbeit selbst, die Frauen abschreckt: CFO gelten in der Rangordnung als Nummer zwei hinter dem Konzernchef; mit ihrer Querschnittfunktion müssen sie überall mitreden, über Investitionen, Entlöhnung, Sparmassnahmen – oder dann verkaufen sie die Firma auf Roadshows an Banken, Analysten, Investoren, und dies oft weltweit. Die Aussicht auf derart viele Fronten und mögliche Konfliktfelder schrecke Frauen möglicherweise ab, sagt Barbara Heller, Vizepräsidentin des CFO Forums Schweiz. Sie ist eine Kennerin der Szene und war selber einmal Finanzchefin. Wenig attraktiv wirken die Belastungen, die mit jedem Topmanagementjob einhergehen. Wer ein «C» auf der Visitenkarte stehen hat, verliert mitunter die Kontrolle über die Agenda. Wie der Tag abläuft, bestimmen andere – das Geschäft geht (fast) immer vor. Das gilt besonders für den oder die CFO: Wenn ein Brandherd irgendwo auf der Welt ausbricht, ist er oder sie an Deck. Expertinnen sind sich einig: Wenn mehr Frauen für diese verantwortungsvolle Spitzenpositionen gewonnen werden sollen, müssen sich die Unternehmen reinhängen und zumindest die Rahmenbedingungen verbessern. Dazu gehören flexible Arbeitszeiten. Emmi-Finanzchefin Demarmels arbeitet in normalen Zeiten einen Tag pro Woche im Homeoffice. Angebote zur Kinderbetreuung oder Mentoringprogramme kommen bei Topmanagerinnen ebenfalls gut an. Entscheidend jedoch ist die Kultur des Unternehmens. «Weibliche Talente wollen dort arbeiten, wo man es mit der Förderung von Diversität ernst meint», sagt Simone Stebler von der internationalen Beratungsfirma Egon Zehnder. Sie hat täglich mit hoch qualifizierten Kandidatinnen zu tun und kennt deren Ansprüche. «Sie wollen nicht in eine männlich geprägte Kultur.» Dass das Geschlechterverhältnis an der Spitze so unausgewogen ist, liegt allerdings auch an den Frauen selbst, räumen Expertinnen ein. In der Untersuchung der Hochschule Luzern nannten drei der fünf weiblichen CFO fehlendes Selbstbewusstsein als Grund für den geringen Frauenanteil an der Spitze. Männer gingen viel mehr Risiken ein, um ihre Karriere voranzutreiben, sagt die eine. Frauen zweifelten ständig, ob sie der Aufgabe gewachsen sind, erklärt eine andere. Ringier-Managerin Annabella Bassler ist überzeugt: «Frauen müssen sich noch stärker ihres Wertes bewusst sein und sich selbst mehr zutrauen.» Bessere Ergebnisse als Argument Die US-Marktforschungsfirma S&P Global Market Intelligence hat im letzten Jahr untersucht, wie sich die Ernennung einer weiblichen CFO auf das Betriebsergebnis auswirkt. Resultat: In den zwei Jahren nach dem Wechsel steigt der Gewinn im Schnitt um 6 Prozent. Den Grund sehen die Autorinnen und Autoren vor allem in einer anderen Erwartungshaltung: «Die Ansprüche liegen bei Frauen höher.» Headhunter und Recruiter, die CFO-Kandidatinnen suchen, kämpfen jedoch mit einem grundlegenden Problem: Der Pool an Personen, die infrage kämen, ist klein. Das lässt sich leicht belegen: Männer entscheiden sich doppelt so häufig für ein Wirtschaftsstudium wie Frauen. An der Uni Bern liegt das Verhältnis beim Ökonomie-Masterabschluss bei 40 (Frau) zu 60 Prozent (Mann), bei den Geisteswissenschaften ist es genau umgekehrt: 64 zu 36 Prozent. Nur logisch, dass sich in den zwanzig SMI-Firmen bloss eine einzige Finanzchefin finden lässt, dagegen aber sechs Human-Resource-Chefinnen.Expertin zum Thema Ex-CFO Barbara A. Heller spricht über die Anforderungen im Job und wie sie sich durchsetzen konnte: «Man muss manchmal Haare auf den Zähnen haben» Was Emmi-Finanzchefin Demarmels bestätigt: Frauen sollten sich aktiver ins Spiel bringen. «Dafür muss man raus aus der Komfortzone.» Zudem hätten viele Frauen zu hohe Ansprüche an sich. «Man muss nicht perfekt sein – man muss gut sein.» Und es brauche eine Voraussetzung, die gerne verschwiegen werde: Es brauche halt auch Partner, die eine Karriere mittragen. Allzu oft werde vergessen, dass ein Kind nicht nur die Mutter fordere, sondern beide Elternteile. Bei der Forderung nach Quoten winken alle weiblichen Profis ab. Sie haben ein stärkeres Argument für ein Mehr: dass es Umsatz und Gewinn dient, wenn Frauen in Toppositionen mitreden. Erst letztes Jahr hat die Unternehmensberatung McKinsey gezeigt, dass Firmen, die auf ein gemischtes Führungsteam setzen, mit einer 25 Prozent höheren Wahrscheinlichkeit überdurchschnittlich profitabel sind. «Wir brauchen Frauen, weil es uns besser macht – diese Grunderkenntnis muss sich durchsetzen», meint Emmi-Finanzchefin Demarmels. Um dieses Ungleichgewicht zu beseitigen, müsste früher angesetzt werden, fordern Expertinnen. Am besten schon in der Schulzeit. Egon-Zehnder-Beraterin Stebler: «Man muss früher ein Bewusstsein dafür schaffen, welche Studienfächer künftig wichtig sind.» Immerhin tut sich langsam etwas in den Teppichetagen. Immer mehr Unternehmen wollen wegkommen von der reinen Männerwirtschaft, das spürt auch Diversity-Expertin Stebler. «In den letzten drei Jahren hat die Nachfrage nach Kandidatinnen enorm angezogen.» Unternehmen, die es mit Diversität ernst nehmen, würden mittlerweile industrieübergreifend das Netz auswerfen oder verstärkt Kandidatinnen intern aufbauen. Dieser Meinung ist auch Guido Schilling, der mit seinem Schillingreport das Thema alljährlich aufs Tapet bringt. Sein Fazit: «Weibliche CFO sind in der Tat rar, aber die gute Nachricht ist: Sie werden weniger rar.» Auch weibliche Finanzprofis blicken überwiegend positiv gestimmt in die Zukunft. Sie glauben, dass jede neu ernannte Verwaltungsrätin als Karrierevorbild wirkt. «Gute Frauen an der Spitze ziehen weitere gute Frauen in die Unternehmen», sagt Daniela Stehli-Wiederkehr, Geschäftsführerin der Fachschule für Bankwirtschaft in Zürich. Sie erwartet, dass die Zeit, in der der Finanzbereich eine reine Männerdomäne war, allmählich zu Ende geht. Auch deshalb, weil das Thema Nachhaltigkeit ungleich stärker zu einer wichtigen Dimension auf dem Radarschirm der CFO wird. Richtig, Nachhaltigkeit ist ein Thema, das Frauen besonders interessiert.

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Seltenheitswert – das sind die wenigen Finanzchefinnen in Schweizer Firmen