UBS-Frontmann Alain Conte zu den Covid-Krediten: «Ein Kunde wollte das Geld in cash»

Vor einem Jahr trat Ueli Maurer vor die Kameras und kündigte Covid-19-Kredite für leidende Firmen an. Sie waren dabei? Alain Conte: Ja, als Firmenkundenchef in der Schweiz konnte ich mich an vorderster Front einbringen. Der Setup mit dem Bund und den anderen Schweizer Banken war eine grossartige Erfahrung. Wir sind anschliessend von vielen ausländischen Banken kontaktiert worden. Sie wollten wissen, wie wir das in so kurzer Zeit schafften und worauf zu achten ist. Was war wichtig? Ueli Maurer hat am Anfang Klartext geredet: Innert 30 Minuten müssen die Kredite geprüft und verfügbar sein. Das hat einen unheimlichen Druck auf die Banken ausgeübt. Anschliessend hatten wir eine Woche Zeit, um die Vorgabe umzusetzen. Wir wussten: Wir müssen das schaffen. Und? Grundsätzlich standen unsere 300 Kundenberaterinnen und -berater im schweizweiten Firmenkundengeschäft bereit. Zusätzlich haben wir eine Taskforce aus 100 Expertinnen und Experten von diversen Abteilungen aufgebaut – aus Kundenbetreuung, Operations, Compliance, IT, Legal. Diese Taskforce stand wochenlang im Dauereinsatz. Insgesamt haben über 1000 Mitarbeitende aus der Bank mitgeholfen. Wir konnten uns ja ausmalen: Wenn das Programm startet, werden wir mit Gesuchen von Firmen überrollt. Und tatsächlich trafen am Anfang 650 Anfragen pro Stunde bei uns ein. Mit Einbezug der technischen Unterstützung konnten wir die Anträge innert kurzer Zeit bewilligen oder ablehnen.Alain Conte Funktion: Leiter Corporate & Institutional Clients Switzerland, Mitglied Geschäftsleitung UBS Schweiz. Karriere: diverse Funktionen beim Schweizerischen Bankverein, seit über zwanzig Jahren bei der UBS im Firmenkundengeschäft. Milliardenkredite: Vor einem Jahr lancierte der Bund mit den Banken ein Kreditprogramm für notleidende Firmen. Es wurden – mit Staatsgarantie – Kreditlimiten von total 17 Milliarden Franken gewährt. Gesprochen wurden 136'000 Kredite. Die Laufzeit beträgt fünf Jahre. Die Technik half? Ja, dank Automatisierung konnten wir allein bei der UBS über 24'000 Kreditanfragen abwickeln. Es waren bei uns drei Arten von Robotern im Einsatz. Die einen haben die Selbstdeklaration der Kunden geprüft. Die zweiten haben ein Konto eröffnet, die dritten die Kreditlimite zur Verfügung gestellt und eine Meldung an die Bürgschaftsgenossenschaft gemacht. All diese Arbeiten waren extrem aufwendig, konnten aber innerhalb der kurzen Vorlaufzeit umgesetzt werden. Sie haben hohe IT-Kosten verursacht, damit die Kreditlimitenaussetzungen und die geforderten, einheitlichen Datenmeldungen an den Bund umgesetzt werden konnten. Wie viele Kredite haben Sie gesprochen? Insgesamt 3,3 Milliarden Franken, allein bei den Covid-19-Krediten bis 500'000 Franken sind es 2,7 Milliarden. Wie viele Firmen haben die Kredite voll in Anspruch genommen? Wir sind bei diesem Kreditprogramm von Bund und Banken jene Bank, die am meisten Kredite vergeben hat. Bei der UBS haben rund 50 Prozent der Firmen ihre Kreditlimiten voll ausgeschöpft, derweil haben rund 20 Prozent die Limiten noch gar nicht benützt. Diese Kunden hatten kein unmittelbares Liquiditätsproblem, sondern beantragten die Kreditlimite primär als Sicherheit. Jetzt gibts Entwarnung? Das Bild ist sehr uneinheitlich: Die einen Firmen haben ihre Kreditlimiten direkt ausgeschöpft, andere zahlen ihre Kredite bereits wieder zurück. Für eine Entwarnung ist es aber definitiv zu früh, denn die verschiedenen Wellen der Corona-Pandemie führten weiter zu grosser Planungsunsicherheit. Welche Branchen sind hart getroffen und haben die Kredite ausgeschöpft? Vier Branchen haben am stärksten auf die Kredite zurückgegriffen: Baugewerbe, Gross- und Detailhandel, Hotel- und Restaurantbranche sowie Transport. Welche haben am stärksten auf diese Kredite zurückgegriffen? Vor allem die Branchen Hotel und Restaurant sowie die Event-, Kultur- und Unterhaltungsbranche. Ende April 2020 hatten 50 Prozent der Kunden die Kredite gezogen, heute liegt die Zahl bei 75 Prozent. 60 Prozent der Betriebe haben die Kreditlimite voll ausgeschöpft. «Es gibt Firmen, die zahlen jetzt überschüssige Liquidität zurück.» Also gibts grosse Unterschiede. Ja, wir sehen mit Blick auf unsere Kunden, dass die Berg-Gastronomie vom guten Sommer profitieren konnte. Tief ist die Beanspruchung auch in ländlichen Gebieten. Das liegt eventuell daran, dass viele Hotels und Restaurants gleichzeitig Besitzer der Liegenschaften sind, entsprechend ist der Kostenfaktor Miete tief. In den Städten sind die Gastronomen dagegen oft eingemietet. Das schlägt sich im Jahresergebnis nieder. In welchen Branchen hat sich die Liquidität der Firmen in der Corona-Zeit erhöht? Zugelegt hat sie grundsätzlich in den Branchen Pharma und Dienstleister sowie bei Financial Services und IT. Es gibt auch Firmen, die ihre Kredite mittlerweile zurückzahlen. Absolut, bei uns haben das schon einige gemacht. Es gibt Firmen, die haben ihr Geschäftsmodell angepasst und zahlen nun ihre überschüssige Liquidität zurück. Das heisst, viele Firmen haben sich an die neue Situation adaptiert und mit der Rückzahlung ihre unternehmerischen Freiheiten zurückgewonnen. Es war ein Leichtes, an die Kredite zu kommen. Quasi eine Einladung zum Betrügen. Meine Erfahrung ist klar: Unsere Firmenkunden haben mit Weitsicht und Vernunft agiert. Entsprechend ist die Zahl der Missbrauchsfälle tief. Wo wir sie vermuteten, haben wir nachgeforscht und bei einer Erhärtung des Verdachts eine Meldung nach Bern gemacht. Sie haben auch mit jenen Kunden gesprochen, bei denen ein Verdacht bestand? Ja, sobald wir einen auffälligen Case identifizierten, haben wir den Kunden angerufen und Fragen gestellt. Ein Viertel dieser Fälle hat die Kredite sofort wieder zurückbezahlt. Der dreisteste Fall? Ein Kunde wollte das Geld cash bei einer Filiale abholen. Da ging bei uns sofort die rote Laterne los. Offenbar wollte er sich ein neues Auto kaufen. Daraufhin haben wir die Limite sofort annulliert. Wie haben Sie die Betrugsfälle konkret identifiziert? Die Revisionsfirma PwC hat die Banken unterstützt. Es ging meistens um Mehrfachbeanspruchung bei zwei Banken. PwC hat dies laufend kontrolliert. Dann gab es Fälle, bei denen die Firmengründung vor den 1. März 2020 verschoben wurde – weil man erst ab diesem Datum einen Anspruch anmelden konnte. All diese Fälle hatten wir unter Kontrolle. Dann haben wir unsere bestehenden Antigeldwäschereiprogramme eingesetzt und auffällige Kontobewegungen geprüft. 10 Prozent der Missbrauchsfälle kamen via die Finanzkontrolle rein. Sie prüfte, ob die Umsatzzahlen mit dem Mehrwertsteuerumsatz der Firma in einem vernünftigen Verhältnis stehen. Oder dann wurde geprüft, ob die Firma in ein Verfahren mit der Justiz involviert ist. Ihr Fazit? Die Missbrauchsversuche machen einen sehr kleinen Anteil der Covid-19-Kreditnehmer aus, verursachen aber viel Aufwand. Die totale Deliktsumme beträgt aktuell 122 Millionen. Wie viel war es bei Ihnen? Wir hatten die meisten Kreditanträge aller Banken, rund 20 Prozent. Entsprechend ist unser Anteil bei Missbrauchsfällen. Nochmals: Die Firmen sind sehr diszipliniert mit dem Kreditinstrument umgegangen. Es wurden immerhin Kredite von 17 Milliarden gesprochen. Nein, Betrug im grösseren Stil gab es nicht. Die Balance zwischen Pragmatismus, Schnelligkeit und Kontrolle funktionierte. Und was ist mit dem Vorwurf des Mitverdienens? Wir machten von Anfang an klar: Wir wollen mit den Covid-19-Krediten nichts verdienen. Was wir verdienen, spenden wir. Aber wir hatten bei der Aufsetzung des Programms erhebliche Kosten. Wie gesagt, in der Taskforce waren über hundert Leute involviert und es wurde in Technologie investiert. Es gab Anpassungen bei den IT-Systemen, der Entwicklung von Robotern und vieles mehr. Auch während der restlichen Laufzeit wird die Rückführung der Kredite Aufwände generieren. 2020 haben wir damit keinen Gewinn gemacht, den wir spenden könnten. Staatlich abgesicherte Kredite haben UBS-Kunden über Wasser gehalten, Sie profitieren. Das ist so. Aber wir haben das Unsrige zur Entspannung dieser Extremsituation beigetragen. Die Uhrenindustrie wurde hart getroffen, ihr gewährten wir höhere Kreditlimiten, weil die Branche extrem leidet. Es ist unser Ziel, diese Firmen über die Runden zu retten, und wir sind bereit, sie weiter zu unterstützen und auf ihrem strategischen Weg zu begleiten.

UBS-Frontmann Alain Conte zu den Covid-Krediten: «Ein Kunde wollte das Geld in cash»

Covid-Kredite: «Ein Kunde wollte das Geld in cash»