Nach Zinsentscheid der US-Notenbank: Fed-Chef Jerome Powell schummelt – und die Märkte jubeln

Gestern gab die US-Notenbank Fed eine Zinserhöhung um 0,25 Prozentpunkte bekannt. Alles gut, damit hatten die Börsen gerechnet. Ganz anders war das bei einigen Aussagen von Fed-Chef Jerome «Jay» Powell in der anschliessenden Pressekonferenz. Die liessen die Kurse in die Höhe schiessen. Es ist sogar nicht unwahrscheinlich, dass der Höhenflug der Börsen noch eine Weile anhält. Was genau sind die Aussagen, die die Börsen derart begeistern? Oberflächlich betrachtet drückte Powell gestern alle argumentativen Knöpfe, welche die Börsianerinnen und Börsianer von seinem Auftritt erwartet hatten: Sie legen ein weiterhin aggressives Vorgehen der Notenbank zur Bekämpfung der Inflation nahe. Wortreich erklärte der Notenbankchef, dass weitere Zinserhöhungen angemessen seien und dass die Leitzinsen auf mindestens 5 Prozent und vielleicht sogar noch höher steigen werden. Bei diesem Teil seiner Ausführungen reagierten die Märkte noch verhalten. Aber dann kam die Fragerunde nach der Pressekonferenz. Eine Journalistin wollte von Powell wissen, ob er sich Sorgen mache, dass sich die Finanzbedingungen deutlich gelockert hätten, etwa durch die steigenden Kurse an den Aktien- und Obligationenmärkten. Eine überraschende Antwort An dieser Stelle wäre es für den Notenbankchef ein Leichtes gewesen, darauf mit Ja zu antworten und die Märkte einzuschüchtern, mit Ausführungen darüber, wie entschlossen die Fed sei, gegen diese Lockerungen anzugehen. Aber das tat er nicht, sondern behauptete, dass sich die Finanzbedingungen gar nicht gelockert hätten. Das ist objektiv falsch, und viele Börsianer und Börsianerinnen wissen das. Gemäss den einen Messverfahren sind die Finanzbedingungen nicht restriktiver als vor den Zinsanhebungen der Fed, nach anderen sind sie sogar so locker wie noch im Herbst. Jedenfalls haben sich die Finanzbedingungen deutlich gelockert. Die Lüge des Fed-Chefs scheint den Börsianern und Börsianerinnen ein Hinweis darauf, dass die Notenbank gewillt ist, die durch die steigenden Kurse verursachte Lockerung der Finanzbedingungen hinzunehmen, beziehungsweise sie nicht zu bekämpfen. Das war es, was die gestrige Begeisterung ausgelöst hat und die Kurse unaufhaltsam nach oben schiessen liess. Klar, die Zinsen werden weiter steigen. Aber das beunruhigt die Märkte nicht besonders, zumindest im Moment. Denn: Höhere Zinsen führen zwar zu einer geringeren Kreditnachfrage, was sich hemmend auf die Konjunktur auswirken kann. Aber auf der anderen Seite sind Zinsen nicht nur Kosten, sondern auch Einnahmen für diejenigen, welche diese Zinsen kassieren. Käufer und Käuferinnen von neu ausgegebenen Staatsobligationen etwa erhalten bei steigenden Zinsen höhere Geldbeträge ausgezahlt. Diese Staatsobligationen befinden sich praktisch ausschliesslich in den Händen von Banken, Grosskonzernen und den reichsten US-Amerikanern. Diese verwenden die erhaltenen Zinserträge in der Regel nicht für Investitionen oder Konsumausgaben, sondern legen sie an. Wo? An den Finanzmärkten. Dieser Mechanismus sorgt also tendenziell für steigende Börsenkurse. Aber es kommt noch besser: Die Fed zahlt Zinsen auf Bankreserven, die vom Leitzinssatz abhängen, wobei diese Bankreserven durch Massnahmen der Fed auf 8 Billionen Dollar gestiegen sind. Die Finanzinstitute erhalten also mit jedem Zinsschritt mehr Geld von der Fed. Auch dieses Geld hat die Tendenz, den Weg an die Börsen zu finden und dort die Kurse nach oben zu treiben. Steigende Zinsen können sich zwar negativ auf die Realwirtschaft auswirken, aber erst mit einer zeitlichen Verzögerung. Demgegenüber entfalten sich die positiven Effekte für die Finanzmärkte sofort. Die Börsen verlieren die Angst vor dem Boom Und Jerome Powell hat den Börsianerinnen und Börsianern die Angst genommen, dass er gegen zu hohe Kurse vorgehen wird. Aus dieser Perspektive ist es also nicht ganz unverständlich, wenn die Aktienmärkte jubeln. Und für einmal haben die Bondmärkte die gleiche Sichtweise auf das Geschehen wie die Aktienmärkte. Denn die Zinserwartungen sind aufgrund des Auftritts von Jay Powell gesunken. Das war in den vorangegangenen Fed-Pressekonferenzen nicht der Fall. Im Moment können die Börsianer und Börsianerinnen also davon ausgehen, dass die Fed sie gewähren lässt, auch wenn sie wieder alte Höhen erklimmen. Die Gefahr besteht natürlich, dass die Inflation plötzlich wieder anzieht, unterstützt von den lockeren Finanzbedingungen. Oder dass die Zinsschritte der Fed schliesslich doch so restriktiv wirken, dass sie eine Rezession auslösen. Aber daran denkt im Moment niemand. Es könnte also gut sein, dass die Börsen noch eine ganze Zeit lang eine Tendenz nach oben zeigen.

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Fed-Chef Powell schummelt – und die Märkte jubeln