Velo-Aktien: Rückenwind fürs Portfolio

Tim Bachmann ist Fondsmanager und leidenschaftlicher Velofahrer. Im Jahr macht er rund 8000 Kilometer im Sattel. Sein Wissen über Mountainbikes kann er neuerdings auch beruflich nutzen. Seit geraumer Zeit investiert er mit seinem Climate-Tech-Fonds, der auf Unternehmen setzt, die den Klimawandel aufhalten, auch in Titeln der Fahrradindustrie. Damit ist er einer der wenigen in der Finanzbranche, die gezielt auf die Fahrradindustrie setzen. Doch der Erfolg gibt ihm recht. Letztes Jahr erzielte sein Fonds eine Performance von 41 Prozent und damit 35 Prozent mehr als der globale Aktienmarkt MSCI World. Einzig privat sorgte das Velo für Verärgerung bei Bachmann. Der Fahrradhändler seines Vertrauens erklärte ihm beim Kauf seines neuen Rennrades, dass die Wartezeit rund ein Jahr betrage. Die Ersatzteile, die er für sein altes Mountainbike benötigte, brauchten gleich mehrere Monate. Das Fahrrad wurde in Zeiten von Corona zur heiss begehrten Ware. «So etwas wie vergangenes Jahr habe ich noch nie erlebt», sagt Martin Platter von der Schweizer Fachstelle für Velo und E-Bike. «Die Nachfrage nach Velos stieg nicht nur in der Schweiz, sondern in allen Ländern weltweit, ohne Ausnahme. Fahrradfahren war eine der wenigen Freizeittätigkeiten geblieben, die noch erlaubt waren.» Wir erinnern uns: Während des Lockdowns im Frühling 2020 wurden Fahrradwerkstätten als systemrelevant erklärt und durften geöffnet bleiben – um die gesundheitsfördernde Mobilität der Bevölkerung weiterhin sicherzustellen. Da die Menschen nicht verreisen konnten und auch der öffentliche Verkehr wegen der Ansteckungsgefahr markant an Beliebtheit eingebüsst hatte, nahm die Attraktivität des Velos rapide zu. «Die Velohändler in ganz Europa waren praktisch leergekauft» sagt Tijs Hollestelle, Analyst bei ING. «Die Kunden und Kundinnen nahmen ganz selbstverständlich Wartelisten und Preiserhöhungen in Kauf.» Unter anderem weil die Lieferketten unterbrochen waren. «Kostete ein Schiffscontainer zwischen Rotterdam und Asien früher zwischen 1000 und 1600 Dollar, stiegen die Preise vergangenen Oktober und über die Festtage um das Fünf- bis Zehnfache auf über 11'000 Dollar an», erinnert sich Platter. In der Schweiz nahmen 2020 die Verkäufe von E-Bikes um rund 300 Prozent zu, die von herkömmlichen Fahrrädern um 45 Prozent. «Viele kauften sich ein Zweit- und Drittfahrrad», sagt Bachmann. «Der Trend geht hin in Richtung Niederlande, wo die Menschen für jeden Verwendungszweck ein Fahrrad besitzen. Für den Weg zur Arbeit nimmt man das teure E-Bike, zur Bar um die Ecke den billigen Drahtesel, der gestohlen werden kann, in der Freizeit eines der hoch spezialisierten Mountainbikes.» «Es ging heiss zu und her», erzählte Flyer-Chef Andreas Kessler unlängst der «Handelszeitung» über die Zeit nach dem Lockdown. «Wir sind jetzt total ausgeschossen.» Nur wenige Velos seien übrig geblieben. Der sportliche Mittfünfziger erlebte gerade das beste Jahr in der 25-jährigen Firmengeschichte von Flyer, das Geschäftsjahr schloss Ende September mit einem Rekordergebnis. Ähnliches geschah bei Scott, zu dem die Radmarken Bergamont, Bold und Sheppard gehören. Mit 350 Mitarbeitenden und einem Verkauf von 40'000 Bikes in der Schweiz ist Scott der grösste Fahrradhersteller hierzulande. «Wir konnten unsere Bestände, auch Restbestände aus Vorjahren, restlos verkaufen», erzählte Chef Beat Zaugg unlängst der NZZ in einem seiner seltenen Interviews. «Die Nachfrage nach Neuware stieg in einem Mass, wie wir das noch nie erlebt haben.» Er musste Kontingente einführen, um die künftig zu produzierenden Bikes gerecht verteilen zu können. Das Geschäft läuft derart gut, dass Scott nächstes Jahr die Milliardengrenze beim Umsatz knacken will. Dumm nur, dass beide Unternehmen in Privatbesitz stehen. Anlegerinnen und Anleger können vom Erfolg von Scott und Flyer nicht profitieren. Staatliche Förderungen nehmen zu Und nach Corona? Das Geschäft werde weiterhin gut laufen, sind Branchenspezialisten überzeugt. «2020 wurden europaweit 3,8 Millionen E-Bikes verkauft. Bis 2025 soll die Zahl gemäss Studien auf 11 Millionen steigen», sagt Bachmann. «Das Wachstumspotenzial von E-Bikes ist enorm», doppelt Karel Zoete, Analyst bei Kepler Cheuvreux, nach. «Während in den Niederlanden die Penetrationsrate von E-Bikes bei 50 Prozent liegt – das heisst, dass jeder Zweite dort ein E-Bike besitzt –, liegt sie in den deutschsprachigen Ländern bei 20 Prozent, in den USA und Grossbritannien hingegen unter 3 Prozent. Diese Länder haben ein enormes Aufholpotenzial.» Auch das überdurchschnittlich hohe Absatzplus bei den Lastenfahrrädern von 40 Prozent im vergangenen Jahr lässt darauf schliessen, dass der Drahtesel im Alltag zunehmend das Auto verdrängt. «Derzeit werden E-Bikes zu 80 bis 90 Prozent primär für Freizeitzwecke angeschafft», sagt Bachmann. «Doch künftig werden diese vermehrt auch als Lastenfahrräder verwendet, um Waren zu transportieren, wie dies die Deutsche Post und die Niederländische Post bereits machen.» Rückenwind gibt es von der Politik. Im Rahmen des Grünen Deals stellte die EU beispielsweise 20 Milliarden Euro zur Förderung für den Ausbau der Radwege zur Verfügung. In Frankreich erhält man 2500 Euro, wenn man sein Auto verschrotten lässt und auf ein E-Bike umsteigt. In Italien bekommt man einen Zuschuss von 500 Euro für den Kauf eines Fahrrads, im deutschen Bundesland Tübingen 200 bis 300 Euro beim Kauf eines E-Bikes. Der verstärkte Druck des Umweltschutzes auf die Politik zeigt Wirkung. Heute weiss man, dass es vier Hauptverursacher für CO₂ gibt. Neben der Stromerzeugung, der Landwirtschaft und dem Immobiliensektor gehört der Transport als Nummer zwei zu den Hauptverursachern. 75 Prozent des CO₂-Anfalls im Transportwesen werden im innerstädtischen Verkehr verursacht. Während ein PKW 20 Kilogramm CO₂ auf 100 Kilometer ausstösst, sind es bei einem E-Bike auf die gleiche Distanz gerade mal 400 Gramm. Bei einem herkömmlichen Fahrrad ist der Ausstoss gleich null. Wer in die Fahrradindustrie investierten will, hat es allerdings nicht leicht. Der Markt ist fragmentiert. Viele Unternehmen sind in Privatbesitz, gerade in der Schweiz. Dazu gehören Namen wie die bereits erwähnten Scott und Flyer, aber auch Tour de Suisse oder Komenda. International sieht es nicht anders aus. Bei anderen Unternehmen wie dem amerikanischen Vista Outdoor läuft das Fahrradgeschäft nebenbei – das Hauptgeschäft hier ist der Schusswaffenbereich. Der weltgrösste Fahrradhersteller Giant wird, ebenso wie die Nummer zwei, Merida – beide aus Taiwan –, nur an der Börse von Taipeh gehandelt und kommt deswegen für private Investoren nicht infrage. Besonders für Anleger geeignet sind hingegen die börsenkotierten Fahrradhersteller Accell und Dorel. Accell, aus den Niederlanden, ist der grösste Fahrradproduzent Europas. Der Titel ging vergangenes Jahr ab wie eine Rakete, mit einem Kursanstieg von 190 Prozent. Das KGV mit 11 ist jedoch durchaus attraktiv, was daran liegt, dass das Unternehmen ein Turnaround-Kandidat ist und lange Zeit underperformte. Ebenfalls ein Sorgenkind der Investoren war der kanadische Fahrradhersteller Dorel. Der tiefe Kurs hätte den Finanzinvestor Cerberus beinahe dazu gebracht, das Unternehmen zu schlucken und von der Börse zu nehmen. Dumm nur für Cerberus, dass der Corona-Boom dazwischenkam, die Verkaufszahlen explodierten und die bisherigen Aktionäre nicht mehr verkaufen wollten. Auch Dorel hat einen fulminanten Kursanstieg von 136 Prozent hinter sich. Dorel ist mit einem KGV von 16 teurer als Accell, doch noch nicht überteuert. Interessant für Anleger und Anlegerinnen sind auch Zulieferer wie Shimano und Panasonic. Deren Kurse sind zwar hoch, doch sie verfügen über gute Zukunftsaussichten. Shimano etwa besitzt nicht nur solide Bilanzen, sondern hat auch enorme Preissetzungsmacht. Zudem ist die operative Marge von Zulieferern mit 25 bis 30 Prozent wesentlich höher als jene der Fahrradhersteller. Damit stehen die Chancen gut, auch in Zukunft glänzende Gewinne einzufahren.