Wie der Markt hat sich auch die Versicherungsaufsicht grossen Herausforderungen zu stellen", sagt Monica Mächler, Verwaltungsrätin der Zurich Insurance Group. Das Tiefzinsumfeld, eine rasante Technologieentwicklung, extreme Wetterverhältnisse oder die Covid-19-Pandemie sind aktuelle Risiken, die zunehmend das Versicherungsgeschäft prägen. "In diesem Kontext gilt es, Resilienz betreffend Kapital und Liquidität und qualitative Anforderungen zu wahren", betont die Finanzmarktexpertin.

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Die Suche nach Resilienz ist aus ihrer Sicht eine Art «fil rouge» der Versicherungswirtschaft und steht mit Blick auf die Sicherung der Leistungsfähigkeit und damit der Widerstandskraft der Unternehmen schon seit längerem im Zentrum der Versicherungsregulierung. Seit dem Jahr 2000 gebe es jedoch eine "erhebliche Weiterentwicklung" in diesem Feld. "Resilienz und Sustainability werden zum Treiber der Versicherungsregulierung weltweit", sagte sie an einer Veranstaltung des Europainstituts der Universität Zürich. "Die Materie ist enorm in Bewegung geraten und fast täglich gibt es dazu neue Verlautbarungen."

Sustainability gewinnt an Bedeutung

Neben Resilienz hat der Begriff Sustainability im Sinne von mehr Nachhaltigkeit und Zukunftsfähigkeit an Bedeutung gewonnen. "Er gerät auch im Versicherungsbereich immer mehr in den Fokus von Standardsettern, Regulatoren und Aufsichtsbehörden", so Monica Mächler. Sustainability allerdings mit ESG gleichzusetzen, wie dies häufig zu beobachten sei, bedeute eine "unzureichende Verkürzung". In der Versicherungsregulierung spiele beim Thema ESG zurzeit vor allem der Teilaspekt «E(nvironmental)», also der Klimawandel, eine Hauptrolle. Weniger Aktivität gebe es in den Teilbereichen «S(ocial)» in Sinne von mehr Diversität und Nichtdiskriminierung und «G(overnance)», also in Bezug auf die Steuerung und Kontrolle von Versicherungsunternehmen und -intermediären.

Der Begriff Sustainability könne allerdings nicht isoliert betrachtet werden, sondern sei eng verbunden mit dem Thema Resilienz. Darauf verweist unter anderem eine Publikation der International Association of Insurance Supervisors (IAIS) von Mai 2021: Demnach wird "zunehmend anerkannt, dass der Klimawandel und klimabedingte Risiken eine Quelle finanzieller Risiken sind, die Auswirkungen auf die Widerstandsfähigkeit einzelner Finanzinstitute, einschliesslich der Versicherer, sowie auf die finanzielle Stabilität haben".

Um die Auswirkungen des Klimawandels angemessen regulatorisch zu erfassen, haben internationale Organisationen gemäss Monica Mächler bereits wichtige Arbeit geleistet. Ausgangspunkt bilde das Pariser Abkommen von Dezember 2015, in dem erstmals eine "globale Antwort" auf die Bedrohung durch den Klimawandel formuliert wird – mit dem Ziel, die "Finanzströme mit einem Weg zu niedrigen Treibhausgasemissionen und einer klimaresistenten Entwicklung in Einklang zu bringen".

Risiken gezielt analysieren

Aufbauend darauf gebe es Empfehlungen der vom Financial Stability Board (FSB) gegründeten Task Force on Climate-Related Disclosures (TCFD) von 2017 zur Offenlegung, die 2021 revidiert wurden. Und im Juli 2021 veröffentlichte das Netzwerk für die Ökologisierung des Finanzsystems (NGFS) der Zentralbanken und Aufsichtsbehörden Szenarien für den geordneten Übergang zu einer klimaneutralen Welt. Wichtige Stossrichtungen sind dabei die Installation einer zielführenden Governance, die Erfassung von Risiken auf der Aktiv- und Passivseite der Versicherungsbilanz, eine methodisch saubere Quantifizierung der Auswirkungen des Klimawandels – zum Beispiel mit Szenarioanalysen –, ein Aufsichtsdialog über Massnahmen zu Investments und Underwriting sowie zu weiteren Risiken und eine Regelung der Offenlegung vor und nach risikomindernden Massnahmen.

Aktiv geworden ist auch das Europäische Parlament: Im September 2021 wurde Artikel 45 der Solvency-Richtlinie mit Hinweisen auf Klimarisiken ergänzt; zugleich soll ein neuer Artikel 45a zu Szenarioanalysen betreffend Klimawandel eingefügt werden. Darin werden Versicherungsunternehmen verpflichtet, zu bewerten, ob es wesentlichen Risiken im Zusammenhang mit dem Klimawandel ausgesetzt ist. Falls dies zutrifft, müssen zwei langfristig ausgelegte Szenarien zum Klimawandel vorgelegt werden, welche Annahmen für eine Erderwärmung von unter 2 Grad Celsius oder darüber beinhalten. Die Bewertung samt Szenarioanalyse ist mindestens alle drei Jahre zu wiederholen.

Schliesslich sei im Oktober 2021 im "Climate Change Adaptation Report 2021" der Bank of England (BoE)/Prudential Regulation Authority (PRA) ein neuer Gedanke in der Diskussion um klimabezogene finanzielle Auswirkungen und Kapitalanforderungen aufgetaucht: Allenfalls die Konsequenzen, nicht aber die Ursachen des Klimawandels könnten demnach mit Kapital adressiert werden. 

Es sei nun Aufgabe der Finanzmarktregulierung, die Klimaauswirkungen zu kommunizieren und greifbar zu machen, meint Monica Mächler und betont: "In diesem Feld gibt es weiterhin grossen Entwicklungsbedarf." Eine Fokussierung auf den Finanzbereich genüge nicht. Die Stärkung der Resilienz der Realwirtschaft müsse ebenfalls deutlich vorangetrieben werden. Und: "Ein Zusammenwirken von Gesellschaft und Politik, der staatlichen Organismen und der gesamten Wirtschaft zur Bewältigung der Komplexität ist unabdingbar."