Wenige Firmen erfüllen Kriterien für Härtefallhilfen

Wie verhindert man Hilfe wirksam? Indem man möglichst viele Hürden aufbaut, damit es erst gar nicht zur Hilfe kommen kann. Dies passiert derzeit in Bern. Das Drama heisst Covid-19-Härtefallhilfe. Zur Debatte stehen Darlehen, Garantien und À-fonds-perdu-Beiträge des Staates. Aber bis jetzt ist kein einziger Franken geflossen. Was auffällt: Wirtschaftsminister Guy Parmelin und die Chefin des zuständigen Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco), Marie-Gabrielle Ineichen-Fleisch, liessen sich wochenlang nicht blicken, obwohl sie die Härtefallhilfe verantworten. Parmelin ist erst am Mittwoch wiederaufgetaucht. Das ist umso erstaunlicher, als es um Wirtschaftspolitik geht und um eine existenzielle Frage: Soll der Staat Tausende Firmen sich selbst überlassen, die «unverschuldet in Schwierigkeiten gekommen sind», wie Grüne-Präsidentin Regula Rytz es ausdrückt? Bürgerliche reden es als erwünschten Strukturwandel schön. Derweil die Regierung ihren Finanzminister Ueli Maurer an die Front schickt, als ginge es nur um die Staatsfinanzen. «Oft unsinnige» Härtefallkriterien So auch letzten Dienstag, als die 25 Nationalräte der Wirtschaftskommission bis spät in die Nacht darüber rangen, zu welchen Bedingungen Hilfe gewährt werden soll. Sie stehen im Entwurf der sogenannten Covid-19-Härtefallverordnung: zwanzig Paragrafen und Dutzende von Unterparagrafen. Ausgedacht haben sich diese die Beamten des Seco. Die Verordnung ist sechs Seiten lang. Aber Maurer und sein Chefbeamter Serge Gaillard mussten den Entwurf verteidigen, der – wie die Vernehmlassungsantworten zeigen – glattweg verrissen wurde. Am deutlichsten äusserten sich die Eventveranstalter: «Viele der Voraussetzungen und Kriterien für die Zulassung zum Härtefallprogramm erachten wir als sehr gesucht, oft unsinnig und teilweise kaum erfüllbar», so der Präsident des Verbandes Expo-Event, Christoph Kamber. Das Regelwerk sei in der aktuellen Fassung «ein Bürokratiemonster». Ähnlich sieht es die Dachgewerkschaft Travailsuisse: «Die Härtefallregelung ist tatsächlich ein Bürokratiemonster», sagt Präsident Adrian Wüthrich.Protest von den KMU Gerade kleine Firmen haben derzeit zu kämpfen, es droht eine Pleitewelle. KMU wehren sich gegen fehlende Corona-Hilfen Zum Beispiel der Paragraf, der definiert, dass eine Firma keine Steuerschulden im Moment des Antrags haben darf. Nur dann gilt sie als «profitabel und überlebensfähig» und darf Härtefallhilfe beziehen. Der Gewerbeverband mokiert sich in seiner Stellungnahme darüber: «Steuerschulden zu einem Stichtag können nicht ernsthaft als Kriterium für Profitabilität oder Überlebensfähigkeit genommen werden.» Schliesslich gewähre der Staat häufig Zahlungsaufschübe. In einem weiteren Paragrafen steht, dass eine Firma über eine «mittelfristige Finanzplanung» verfügen müsse, damit sie Hilfe beantragen kann. Wer aber kann sich inmitten der Corona-Pandemie eine Planung auf fünf Jahre hinaus leisten? Der Passus sei zu streichen, so der Gewerbeverband. Frühjahrskredit muss ausgeschöpft sein Ebenfalls in Parmelins Entwurf steht, dass eine Firma den Covid-19-Kredit vom Frühjahr voll ausgeschöpft haben müsse, um als Härtefall zu gelten. Ein Recht, Hilfe zu erhalten, hätten also nur Firmen, denen das Wasser bis zum Hals steht. Die Vorschrift steht im Widerspruch zur Anforderung, «profitabel und überlebensfähig» zu sein. Der Gewerbeverband verlangt, auch dies zu streichen. Es gäbe ein Dutzend weitere solche Beispiele zu nennen. Die Kommissionssitzung dauerte sieben Stunden – und es hagelte Änderungsanträge. Am erfolgreichsten war Nationalrätin Daniela Schneeberger. Als Vizepräsidentin des Gewerbeverbandes brachte sie etliche Vereinfachungen durch. «Man merkt, dass Schneeberger aus der Praxis kommt – im Gegensatz zu den Verfassern des Entwurfs», kommentierte ein Beobachter ihren Einsatz. Ihr halfen dabei öfters die SVP, die SP und die Grüne, während Teile der FDP und CVP an der harten Linie festhielten, mit der Absicht, die Staatsausgaben klein zu halten. Als Vertreter dieses harten Kurses outet sich CVP-Politiker Leo Müller. «Es ist brutal, es so zu sagen, aber den Hilfsmassnahmen sind Grenzen gesetzt», sagt der Wirtschaftspolitiker. Man müsse ehrlich sein, die Corona-Krise werde zum Strukturwandel führen. Dies gelte selbst dann, wenn der Staat die Wirtschaft eingeschränkt habe. «Für einzelne Firmen ist dies hart, das ist mir bewusst, aber es geht nicht anders», betont Müller. Man verteile Steuergelder – und der Staat müsse schauen, wie er das macht.Härtefallhilfe des Bundes Der Bundesrat schlägt dem Parlament vor, den Bundesanteil der Härtefallhilfe auf 680 Millionen Franken zu begrenzen. Die Kantone sollten weitere 320 Millionen leisten. Zusammen stünde für die Härtefallhilfe 1 Milliarde bereit. Nur Firmen mit einem Jahresumsatz von minimal 50'000 Franken sollen von einer Härtefallhilfe profitieren. So will es der Bundesrat und eine Mehrheit der nationalrätlichen Wirtschaftskommission. Dieser Umsatz muss für das Jahr 2019 nachgewiesen werden. Gewisse notleidende Firmen gehören einer Gemeinde oder einem Kanton, etwa Bergbahnen oder Messen. Der Bundesrat will sie von der Härtefallhilfe ausschliessen, sofern der Staatsanteil über 10 Prozent beträgt. Das Gewerbe lobbyiert für 25 Prozent. So verteidigt er auch die vielen Kriterien zur Härtefallhilfe: «Es ist hier wie bei der Sozialhilfe und Krankenkassenprämienverbilligung: Dort muss man auch alles offenlegen, damit man vom Staat Hilfe bekommt.» Dies gelte jetzt auch für Firmen, sagt er. Würde der Staat diese Prüfung nicht vornehmen, kämen in zwei bis drei Jahren Vorwürfe, dass unrechtmässig Staatsgelder ausgeschüttet wurden. «Die Kriterien zur Härtefallhilfe führen zu keinem Bürokratiemonster», entgegnet Müller den KMU-Kritikern. Grosszügige Kredite werden gefordert Wie geht es nun weiter? Am Donnerstag verhandelt die Wirtschaftskommission des Ständerates die Härtefallkriterien. In einer Woche beschliesst der Bundesrat sie endgültig, und je nachdem, was herauskommt, schaut für notleidende Firmen wenig oder mehr heraus. Ausgeschlossen sind unter anderem solche mit einem Umsatz von unter 50'000 Franken. Die Kommission wollte diese Hürde nicht senken. Der Gewerbeverband hatte 30'000 Franken gefordert. Der Gewerkschaftsbund will diese Hürde ganz streichen. Wie viele einst profitable Firmen in der Krise stecken, weiss niemand. «Uns fehlt die Übersicht», beklagt der Unternehmer und Präsident der Grünliberalen, Jürg Grossen. Er plädiert deshalb für grosszügige Covid-19-Kredite mit bis zu einem Viertel des Umsatzes und so, dass sie «unter bestimmten Kriterien später erlassen werden könnten». Ähnliches schlug die Covid-19-Taskforce vor. Solche Kredite auf Bundesebene zu erneuern, lehnt der Bundesrat ab. Ein solches Programm sei «ungeeignet als Übergangslösung», steht in einer Notiz Maurers ans Parlament. Viel wichtiger sei, dass die Härtefallhilfe in den Kantonen rasch zum Einsatz komme. Ob dies gelingt, ist die andere, grosse Frage. So sagte der Zürcher Finanzdirektor Ernst Stocker kürzlich, dass in Zürich die Härtefallhilfe aus juristischen Gründen nicht vor April ausbezahlt werden könne. Während die meisten Parlamentarier ums Problem herumreden, spricht Rytz Klartext: «Bei der Unterstützung der in Not geratenen Betriebe kann man von Systemversagen reden: Bundesrat, Kantone, das Parlament und die Verwaltung schieben einander die heisse Kartoffel zu, statt taugliche Lösungen zu suchen.» Für Parmelin und Ineichen-Fleisch brennt es lichterloh.

Wenige Firmen erfüllen Kriterien für Härtefallhilfen

Härtefallhilfen – die wenigsten Firmen erfüllen die Kriterien