Löhne rauf: Endlich kommt Schwung in die Debatte

Bis zu 5 Prozent mehr Lohn: Das bekommen die Angestellten der Helvetic Airways. Sie gehört dem Ehepaar Martin und Rosmarie Ebner. Ausgerechnet Martin Ebner, der von den Gewerkschaften jahrelang als Kapitalist verteufelt wurde, erhöht die Löhne am stärksten: zwischen 3,5 und 5 Prozent – plus Weihnachtsgeld. Zur Begründung sagte Ebner zur «Handelszeitung»: «Während der schwierigen Zeit der Pandemie gab es keine Möglichkeit, Saläranpassungen vorzunehmen. Wir honorieren mit der aktuellen Lohnerhöhung und dem zusätzlichen Weihnachtsgeld den Einsatz der höchst motivierten Mitarbeitenden.» Beste Voraussetzungen für Lohnerhöhungen Ebner macht vor, was eigentlich für die meisten Branchen gelten sollte: Wenn jetzt die Löhne nicht steigen, wann sonst? Die Wirtschaft wächst mit mehr als 2 Prozent, die Inflation liegt bei 3 Prozent. Die Gewerkschaften fordern einen Teuerungsausgleich. Auch Ökonomen wie der Berner Volkswirtschaftsprofessor Aymo Brunetti finden grundsätzlich eine Anpassung der Löhne an das gestiegene Preisniveau gerechtfertigt. Für höhere Löhne spricht auch die Situation am Arbeitsmarkt: Die Arbeitslosigkeit ist auf Rekordtief. Arbeitskräfte sind gesucht, das gibt ihnen eine bessere Verhandlungsposition, so die ökonomische Logik. Gemäss Umfragen der Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich (KOF) leiden zahlreiche Branchen unter dem Personalmangel, etwa der Bau. Das Einzige, was Unternehmen von grösseren Lohnerhöhungen abhält, ist der eingetrübte Wirtschaftsausblick und die Furcht vor einer aufziehenden Rezession in den Nachbarländern, zeigt eine Auswertung der UBS. Tatsächlich kommt zum ersten Mal seit Jahren Schwung ins Lohngefüge: In diesen Tagen und Wochen laufen die Verhandlungen fürs nächste Jahr, aber längst nicht alle Unternehmen sind so grosszügig wie Ebners Helvetic Airways. Das zeigt eine Zusammenstellung der «Handelszeitung». Keine Vorbilder bis dato sind die Detailhändler Coop und Migros. Coop gibt generell keinen Lohnausgleich. Das Einzige, was alle erhalten, ist ein Einkaufsgutschein von 800 Franken. Travailsuisse, die moderate der beiden Dachgewerkschaften der Schweiz, brandmarkt das Verhalten: «Als Negativbeispiel muss leider Coop genannt werden. Trotz Rekordgewinnen im Detailhandel sind die Lohnverhandlungen gescheitert. Coop wollte keinen vollen Teuerungsausgleich.» Die Migros präsentiert sich zwar etwas besser. Es gibt beim orangen Riesen 2 Prozent mehr für alle ab Januar. Doch davon wird ein Teil in Warengutscheinen ausbezahlt. Die Gewerkschaft Unia sagt, das sei kein Teuerungsausgleich. «Gutscheine haben in einer Lohnverhandlung nichts zu suchen: Sie führen nicht zu nachhaltigen Lohnerhöhungen.» Verhandlungen laufen noch In vielen Branchen und Firmen laufen die Verhandlungen fürs nächste Jahr noch. Baumeister, Industrie, Banken, Pharma, IT, Medienhäuser. Die allermeisten Abschlüsse der Geschäftsleitungen und Personalkommissionen sind noch nicht bekannt. Es gibt allerdings schon einige Leuchttürme aus Arbeitnehmersicht. Ein exemplarisches Vorgehen zeigt auch der Herausgeber der Zeitschriften «K-Tipp» und «Saldo», René Schuhmacher: «Die jährliche Anpassung der Löhne an die Teuerung ist bei uns im Vertrag geregelt», sagte er zum Branchenportal Persoenlich.com. Der Grund: «Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sollen nie real weniger verdienen als bei Stellenantritt.» Progressiv zeigt sich auch die so harsch kritisierte Gastrobranche. Sie gleicht nicht nur die Teuerung aus, die sie am Septemberwert der Inflation von plus 3 Prozent festgemacht hat. Die Wirte, Hotels und Restaurants geben ihren Angestellten auch eine reale Lohnerhöhung, und dies in einer Branche, die von der Corona-Krise gebeutelt wurde und in der die Margen traditionell nicht üppig sind. Nach einer langen Durststrecke können sich also viele Angestellte endlich über eine deutliche Lohnerhöhung freuen. Angst vor Lohn-Preis-Spirale ist unbegründet Die westlichen Notenbanken aber beobachten die Entwicklung mit Skepsis. Denn kaum etwas fürchten sie mehr als eine Lohn-Preis-Spirale. Davon spricht man, wenn die Löhne und die Kaufkraft so stark steigen, dass die Unternehmen die Preise weiter erhöhen, was noch höhere Lohnforderungen nach sich zieht. So wird ein Teufelskreis von Lohnwachstum und noch mehr Inflation Gang gesetzt. Solange die Löhne aber weniger stark zunehmen als die Konsumentenpreise und die Produktivität etwa gleich bleibt, sind solche Ängste unbegründet. «Nominalerhöhungen, die nicht grösser als die Preiserhöhungen zuvor sind, führen insgesamt kaum zu Lohn-Preis-Spiralen und implizieren damit auch relativ konstante Inflationserwartungen», erklärt Brunetti. Es mag zwar Ausnahmen wie Ebners Airline oder SBB Cargo mit bis zu 5 Prozent geben, aber gesamtschweizerisch dürfte das Lohnwachstum nicht über dem Niveau der Inflation zu liegen kommen. Gemäss der KOF-Umfrage vom Oktober erwarten die 4500 befragten Firmen im Mittel einen nominellen Lohnanstieg von 2,4 Prozent in den kommenden zwölf Monaten. Die UBS schätzt anhand ihrer eigenen Umfragen das Lohnwachstum 2023 auf 2,2 Prozent. Die HR-Beratungsfirma Know.ch kommt basierend auf Lohnmeldungen von 330 Unternehmen auf einen Anstieg von 2,5 Prozent. Die Inflation liegt derzeit deutlich darüber, bei 3 Prozent, und dürfte nächstes Jahr tendenziell sinken. Aber die steigenden Mieten und die verzögert angepassten Energiepreise sprechen gegen eine rasche Normalisierung auf unter 2 Prozent. «Von einer Lohn-Preis-Spirale zu sprechen, ist in der Schweiz verfrüht, aber die Ansätze dazu sind nicht zu unterschätzen», schreibt Thomas Stucki, der Anlagechef der St. Galler Kantonalbank, in einem Kommentar. Er geht deswegen davon aus, dass die Nationalbank bis im Sommer die Leitzinsen stärker als erwartet bis auf 2 Prozent anhebt. Eine Lohn-Preis-Spirale ist auch dann keine Gefahr, wenn im kommenden Jahr die Produktivität steigt. Das jährliche Produktivitätswachstum beträgt im langfristigen Mittel etwa 1 Prozent und lag zuletzt etwas darüber, zeigen Zahlen des Bundesamts für Statistik. Dieses Faktum würde nicht nur für den Teuerungsausgleich sprechen, sondern für eine kleine Reallohnerhöhung. So wie es das Gastgewerbe macht, oder wie Ebner, der vorausschaut: Die Helvetic-Löhne steigen auch, weil «die bevorstehende Saison 2023 den Mitarbeitenden nochmals viel abverlangt», schliesst der Investor.Lohnstudie 2022: Das verdienen Fachleute wirklich Ein nachvollziehbares Lohnsystem ist ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal im Wettbewerb um die besten Talente. Speziell in diesem Bereich, in dem die Löhne relativ überschaubar sind, wird das Thema aber gerne vernachlässigt. Ob ein Mitarbeitender 10’000 Franken mehr oder weniger verdient, erscheint der Führungskraft eventuell zweitrangig, vor allem bezogen auf ihr eigenes Gehalt. Im Vergleich mit seinen Kollegen und Kolleginnen und dem Marktumfeld – und Vergleiche werden durch Online-Portale immer leichter möglich – sind aber auch solche Beträge ausschlaggebend für Zufriedenheit oder einen Jobwechsel. Die Compensation-Beratungsfirma Kienbaum und die «Handelszeitung» haben deshalb einen Blick auf die Löhne der Spezialistinnen, Spezialisten und Fachkräfte geworfen. Für den Vergütungsreport wurden Dutzende Spezialisten-, Sachbearbeiter- und Fachkräftefunktionen ausgewertet. Mehr hier.

Löhne rauf: Endlich kommt Schwung in die Debatte

In diesen Branchen gibts die grösste Lohnerhöhung