Rekordhohe Verschuldung: Die Zinswende wird für die Staatsfinanzen zum ultimativen Stresstest

Der Streit um die US-Schuldenobergrenze sorgt für Nervosität. Eine noch wichtigere Frage ist aber, wie es mit der Verschuldung weltweit weitergeht. Erst recht, wenn die Zinsen noch mehr steigen. Die Ratingagentur Standard & Poor’s (S&P) warnt, dass bis 2060 die Hälfte aller Staaten nur noch Ramschschuldner mit geringer Kreditwürdigkeit sein werden. Wenn sie so weitermachen wie bisher. Die Warnungen sollen wohl zu Reformen animieren. Denn Fakt ist: Die Verschuldung hat in den vergangenen zwei Jahrzehnten massiv zugenommen. Nicht nur, aber vor allem jene der Staaten. Weltweit sitzen sie auf Verbindlichkeiten in der Höhe von 85 Billionen Dollar. Schuldenschub wegen Corona-Massnahmen Inklusive der Schulden der Unternehmen und der privaten Haushalte erreicht der globale Schuldenberg unterdessen ein schier unvorstellbares Ausmass von 300 Billionen Dollar. Das zeigen die neusten Zahlen des Schuldenmonitors des globalen Bankenverbands Institute of International Finance (IIF). Es ist mehr als dreimal so viel wie die jährliche Wirtschaftsleistung aller Länder zusammen. Die Industrieländer führen die Schuldenrangliste an, aber die Schwellenländer, insbesondere China, holen auf. In der Pandemie hat sich der Trend nochmals akzentuiert. Vor allem die Staaten haben zur Finanzierung der Corona-Hilfen Schulden angehäuft. In den USA kletterten die Staatsschulden 2020 auf über 160 Prozent des BIP. Auch in der Euro-Zone betrug die öffentliche Schuldenquote fast 100 Prozent. Nur noch wenige Euro-Länder, etwa die Niederlande oder Irland, können die Maastrichter Schuldenobergrenze von 60 Prozent des BIP einhalten. Nach den alten Regeln des Stabilitäts- und Wachstumspakts müssten deshalb praktisch alle Länder massiv sparen. Doch dieser wurde wegen der Pandemie ausgesetzt und soll erst ab 2024 wieder aktiviert werden. Bis dann will die EU das Regelwerk revidieren. Die Eckwerte von 60 Prozent Schuldenquote und maximal 3 Prozent Defizit werden zwar voraussichtlich bestehen bleiben, aber neu soll die Schuldentragfähigkeit im Mittelpunkt stehen. Schliesslich lässt sich auch mit etwas mehr Schulden gut leben, sofern die Wirtschaft wächst und die Zinslast nicht zu gross ist, so die Überlegungen. Anstatt der starren Regel für alle, welche verlangt, dass jährlich ein Zwanzigstel der Differenz zwischen Schuldenstandquote und der 60-Prozent-Marke abgebaut wird, sollen flexiblere Entschuldungspläne gelten, die auch die spezifischen Herausforderungen der einzelnen Länder berücksichtigen. Kaum Schulden, aber Defizit in der Schweiz Die Schweiz ist bei der Staatsverschuldung ein Sonderfall, und es besteht deshalb auch kaum Handlungsbedarf. Die gesamte Schuldenquote von Bund, Kantonen und Gemeinden zusammen ist von über 50 Prozent zu Beginn der Nullerjahre auf gut 40 Prozent gesunken. Das ist auch der 2003 eingeführten Schuldenbremse zu verdanken, die die Ausgaben unter Berücksichtigung der konjunkturellen Lage an die Einnahmen bindet. Doch auch in der Schweiz schloss der Bundeshaushalt wegen der Corona-Massahmen die letzten drei Jahre in Folge mit einem deutlichen Defizit. 2022 war das Loch auch ohne die ausserordentlichen Ausgaben zum ersten Mal seit 2005 grösser, als es die Konjunktur gemäss der Schuldenbremse zuliesse. Als Grund nennt das Finanzministerium die geringeren Einnahmen aus der Verrechnungssteuer. Die Inflation lässt die Schuldenquoten schmelzen Auch für die kommenden Jahre wird mit einem solchen strukturellen Defizit gerechnet. Doch selbst bei einer leicht zunehmenden Neuverschuldung könnte die Schweizer Schuldenquote in nächster Zeit fallen. Denn die Quote wird im Verhältnis zum nominellen Bruttoinlandprodukt berechnet. Dieses nimmt wegen der Inflation unter Umständen stärker zu als der Schuldenstand und vermindert so die Verschuldung. Ausserdem nehmen die Einnahmen aus den Umsatzsteuern tendenziell zu. Dieser günstige Effekt von Inflation und Wachstum auf die Verschuldung ist in anderen Ländern noch viel ausgeprägter. Das beste Beispiel dafür ist Griechenland. In den letzten zwei Jahren ist die griechische Wirtschaft nominell, also inklusive der Preissteigerung, um ein Viertel gewachsen. Die Staatsschulden hingegen haben im gleichen Zeitraum nur 4 Prozent zugenommen. Dadurch ist die Schuldenquote gemessen am BIP rapide gesunken und liegt mit rund 170 Prozent auf dem tiefsten Stand seit 2012. Global und über alle Wirtschaftssektoren hat sich die Verschuldung ebenfalls stabilisiert. Gegenüber der Spitze im Corona-Jahr 2020 ist die Gesamtschuldenquote wegen der Zunahme der nominalen Wirtschaftsleistung sogar deutlich gesunken, von 360 auf 335 Prozent (siehe Grafik). Allerdings wird dieser positive Effekt früher oder später durch die negativen Auswirkungen des Zinsanstiegs konterkariert, den die Inflation mit sich bringt. Wegen der Zinswende ist es auch für Staaten teurer geworden, neue Kredite aufzunehmen oder Anleihen zu platzieren. Die USA, Grossbritannien oder auch Italien müssen für zehnjährige Papiere rund 4 Prozent bezahlen – das sind drei- bis viermal so viel wie vor zwei Jahren. Die Zinskosten steigen mit Verzögerung Die Gesamtkosten für den Schuldendienst steigen aber nur langsam, weil ein Grossteil der Verbindlichkeiten von früher stammt und tiefer verzinst wird. Die Staaten haben die tiefen Zinsen genutzt, um sich möglichst langfristig zu besten Bedingungen zu finanzieren. Doch nicht alle Staaten sind gleich gut gegen steigende Zinsen gewappnet. In Italien etwa hätte ein um 3 Prozentpunkte höherer Zins während dreier Jahre einen Anstieg der Zinskosten auf über 5 Prozent des BIP zur Folge, wie Berechnungen von S&P zeigen. Das wäre so viel wie seit 2012 nicht mehr und würde den Schuldenabbau erheblich erschweren. Demografische Zeitbombe Die andere grosse Herausforderung für die Staatsfinanzen ist die Alterung der Gesellschaft. Dadurch steigen die Gesundheitskosten und die Ausgaben für die Altersvorsorge. S&P schätzt, dass sich schon ab 2025 in vielen Ländern deswegen die fiskalischen Kennzahlen verschlechtern werden. Ohne Reformen würde sich das durchschnittliche Haushaltsdefizit der Staaten bis 2060 auf 9 Prozent des BIP ausweiten und die Verschuldung auf 142 Prozent steigen. Das einzige Land, in dem gemäss der Prognose der Ratingagentur die alterungsbedingten Staatsausgaben nicht zunehmen werden, ist nicht die Schweiz, nein: es ist Griechenland. Aber bis 2060 kann – beziehungsweise muss – noch viel passieren.

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