Schweizerische Nationalbank: Das Zeitalter der Negativzinsen neigt sich dem Ende

Die Teuerung in Europa kennt kein Halten. Am Dienstag zeigten neuste Zahlen für den August eine Jahresteuerung für Deutschland von 7,9 Prozent an. Erste am Mittwoch veröffentlichte Schätzungen zeigen sie für die Eurozone bei 9,1 Prozent und damit noch höher als erwartet. Die Zahlen wurden nicht gleich berechnet: Gemessen an der Methode für die Eurozone liegt die Inflation im August in Deutschland bei 8,8 Prozent Noch im Juli hat die Erwartung die Aktienmärkte befeuert, dass es die entscheidenden Notenbanken der Welt mit den Zinserhöhungen am Ende doch nicht so ernst meinen. An ihrem Treffen in Jackson Hole vom vergangenen Wochenende machten deren Chefinnen und Chefs nun überdeutlich, wie ernst sie es tatsächlich meinen. Niemand kündigte einen konkreten nächsten Zinsschritt an, was ohne formelles Entscheidungsverfahren auch nicht möglich gewesen wäre, aber unisono machten die Notenbankerinnen und Notenbanker deutlich, dass sie sogar eine wirtschaftliche Abschwächung bis hin zu einer Rezession in Kauf zu nehmen bereit sind, um die ausser Kontrolle geratene Inflation zu bändigen. Das Ziel der kompromisslosen Bekämpfung der Inflation bestätigte am Treffen ebenfalls Thomas Jordan, Präsident der Schweizerischen Nationalbank (SNB), in seiner Rede in Jackson Hole. Auch aus den übrigen Reden lässt sich folgern, dass ein Zinsschritt der Nationalbank an ihrem nächsten Treffen am 22. September so gut wie sicher ist. Damit würde dann das Zeitalter der Negativzinsen auch in der Schweiz enden. Und in weiteren Treffen der Nationalbank dürften weitere Zinsschritte folgen. Das ist schon deshalb zu erwarten, weil auch die Europäische Zentralbank (EZB) im September ihre Leitzinsen im Umfang zwischen 0,5 und 0,75 Prozent anheben wird. Der Einlagesatz für Banken, der sich vor dem Juli-Entscheid noch auf minus 0,5 Prozent belaufen hat, würde damit auf 0,5 oder 0,75 Prozent ansteigen. Jordan warnt vor einer Verbreitung der Teuerung Jordan verwies aber vor allem auf die Preisentwicklung im Inland. Die aktuelle Inflation in der Schweiz mit zuletzt gemessenen 3,4 Prozent übersteige nicht nur das Ziel der SNB von maximal 2 Prozent deutlich, sondern es bestehe auch die Gefahr, dass die Teuerung sich auszubreiten droht, nachdem sie ursprünglich auf Lieferengpässe nach der Pandemie und steigende Rohstoff- und Energiepreise im Zuge des Krieges in der Ukraine zurückgegangen ist. Wörtlich sagte Jordan, es gebe bereits «Anzeichen, dass sich die Inflation zunehmend auf Waren und Dienstleistungen ausbreitet, die nicht direkt von den Auswirkungen der Pandemie oder des Kriegs in der Ukraine betroffen sind». Unternehmen würden Preiserhöhungen rascher weitergeben, und das würde leichter akzeptiert. Nicht zuletzt sei deshalb auch ein Anstieg der Inflationserwartungen in der Schweiz zu erkennen und «Anzeichen, dass die Lohnentwicklung an Dynamik gewinnt». Solche Aussagen mögen auf den ersten Blick harmlos und nüchtern klingen, zeugen aber von höchster Alarmbereitschaft der Notenbanken. Ausser Kontrolle geratene Inflationserwartungen und eine Spirale, in der höhere Preise zu stets neuen Preis- und Lohnanpassungen nach oben führen, sind der Albtraum der Geldpolitikerinnen und -politiker. Um das zu verhindern, sehen sie sich unter solchen Umständen gezwungen, alles zu tun, um diese Dynamik zu brechen. Wenn es sein muss, indem sie mit immer höheren Zinsen die Gesamtnachfrage in der Wirtschaft brechen. Wirtschaftlicher Schmerz ist laut Powell nicht zu verhindern Noch deutlicher verkündeten diese Botschaft auch Jerome Powell, Chef der US-Notenbank Fed, sowie Vertreterinnen und Vertreter der Europäischen Zentralbank (EZB). Die Inflation in diesen Regionen ist immerhin noch sehr viel höher als jene in der Schweiz. Zur Bekämpfung der Inflation stetig weiter steigende Leitzinsen seien zwar für Haushalte und Unternehmen mit Schmerzen verbunden, meinte etwa Powell, doch ein Scheitern beim Versuch, die Preisstabilität wieder herzustellen, hätte sehr viel grössere Schmerzen zur Folge, erklärte der US-Notenbankchef. Obwohl alle Notenbankerinnen und Notenbanker wie abgesprochen die gleichen Argumente vorbrachten, lieferte die ausführlichste und ausgefeilteste Begründung für eine entschiedene und kompromisslose Inflationsbekämpfung die deutsche Ökonomin Isabel Schnabel, die dem Entscheidungsgremium der EZB angehört. EZB-Chefin Christine Lagarde blieb dieses Jahr Jackson Hole fern. Wie Thomas Jordan in seiner Rede machte auch Schnabel in ihrer Rede klar, dass eine Reihe von Faktoren in der nahen Zukunft nicht nur für einen anhaltend höheren Inflationsdruck als bisher sprechen, sondern dass auch eine «neue Ära hoher Volatilität» drohe. Gemeint ist eine Zeit starker Schwankungen sowohl beim Preisniveau als auch beim Wirtschaftsverlauf und generell eine erhöhte Unsicherheit. Als Gründe dafür nannte Schnabel unter anderem den Klimawandel, die Nachwirkungen der Pandemie und das Auseinanderbrechen der bisherigen globalisierten Wirtschaft. Wie Isabel Schnabel die höchste Dringlichkeit begründet Die Geldpolitik könne es sich in dieser neuen Welt unter keinen Umständen leisten, eine zu hohe Inflation zu akzeptieren und damit die soziale Stabilität zu untergraben. Schnabel ging detailliert auf drei Gründe ein, weshalb eine entschiedene und unmittelbare Bekämpfung der Inflation mit Zinserhöhungen wichtiger sei als alles andere, selbst wenn dabei die Konjunktur einbricht. Der erste von Schnabel genannte Grund betrifft die Unsicherheit über den weiteren Verlauf der Inflation. Sollten die Notenbanken diese wie zuvor weiter unterschätzen, wären sie später gezwungen, mit noch viel höheren Zinserhöhungen die Wirtschaft in eine schwere Rezession mit hoher Arbeitslosigkeit zu zwingen, so wie das zu Beginn der 1980er Jahre der damalige Chef der US-Notenbank Paul Volcker in den USA getan hat. Der zweite Grund betrifft die auch von Thomas Jordan und Jerome Powell angesprochenen Inflationserwartungen. Geraten diese ausser Kontrolle und münden in eine Preis-Lohn-Spirale, sind ebenfalls besonders drastische Schritte nötig, um die Inflation wieder in den Griff zu bekommen. Schliesslich verwies Schnabel in ihrem dritten Punkt darauf, dass es heute viel drastischere Zinserhöhungen brauche, um die Inflation zu bändigen, als noch in den 1970er Jahren, weil die Realwirtschaft deutlich weniger stark auf Zinsen reagiert. Das liegt unter anderem daran, dass die Unternehmen weniger im klassischen Sinn investieren und auf Kredite angewiesen sind, aber auch daran, dass die Inflationstreiber zu einem geringeren Teil als früher auf die inländische Wirtschaft allein zurückgehen. Die Botschaft aller Notenbankerinnen und Notenbanker in Jackson Hole war einhellig: Wenn jetzt nicht ohne Rücksicht auf die Konjunktur die Inflation gebändigt wird, droht später sehr viel Schlimmeres. Nicht nur für die Wirtschaft, auch für den sozialen Zusammenhalt und das Vertrauen in die Institutionen.

Schweizerische Nationalbank: Das Zeitalter der Negativzinsen neigt sich dem Ende

Das Zeitalter der Negativzinsen in der Schweiz nähert sich dem Ende