Das sind schöne Ferienaussichten: Wer ins nahe Ausland fährt, kann mit einem äusserst günstigen Wechselkurs rechnen. Der Euro-Franken-Kurs liegt weiterhin unter der Parität bei aktuell 97 Rappen pro Euro. Wer in den Dollarraum fliegt, profitiert von einem tiefen Dollarkurs um die 90 Rappen.

Umgekehrt wird die Schweiz für ausländische Touristen und Touristinnen immer teurer, und Schweizer Produkte kosten im Ausland allein schon wegen des Wechselkurses ein paar Prozente mehr.

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Aber abgesehen von den üblichen Warnern wie dem Unternehmer Peter Spuhler und dem Gewerkschaftsbund gibt es wenig Klagen über den starken Franken. Warum ist es plötzlich so still geworden um die Schweizer Landeswährung?

Wenn die Pizza auf einmal fast doppelt sie viel kostet

Wenn Sie demnächst nach Italien oder Frankreich fahren, werden Sie verstehen, warum: Die Pizza kostet nun plötzlich mehr als 10 Euro, das französische Frühstück ebenfalls. Der Wechselkursvorteil wird von der höheren Inflation weggefressen. Viel billiger sind die Produkte in der Währungsunion durch die Euro-Abwertung gar nicht geworden.

Das ist kein Zufall und nicht nur ein aktuelles Phänomen. Es ist genau das, was die Wechselkurstheorien im Lehrbuch vorhersagen. Zu ihnen gehört die sogenannte Kaufkraftparität (KKP). In der strengsten Form, auch absolute KKP genannt, besagt diese, dass auf vollkommenen Märkten ohne Transportkosten der gleiche Warenkorb in zwei Ländern nach der Umrechnung in die gleiche Währung gleich viel kostet. Der Wechselkurs ist nichts anderes als das Verhältnis der lokalen Preise.

Wenn die gleichen Produkte in Deutschland 100 Euro kosten, in der Schweiz aber 150 Franken, sollte der Wechselkurs 1.50 Franken pro Euro sein. Dann herrscht absolute KKP.

Gleicher Preis für gleiche Ware  

Fiele der Wechselkurs unter die Kaufkraftparität, würde es sich theoretisch lohnen, die deutschen Produkte in die Schweiz zu exportieren und hier teurer zu verkaufen. Dieser Arbitrage-Gewinn wäre so lange möglich, bis die zusätzliche Nachfrage nach Euro den Euro-Franken-Kurs wieder auf 1.50 Franken pro Euro gehoben hätte.

Die Idee der absoluten Kaufkraftparität steckt auch hinter dem Big-Mac-Index. Seit 1986 erhebt die Wochenzeitung «The Economist» die Preise eines standardisierten Produkts, des Big Mac von McDonald’s. Unter absoluter Kaufkraftparität müsste dieser in Dollar umgerechnet überall gleich viel kosten.

Doch das tut er nicht. In der Schweiz kostet der Big Mac gemäss «Economist» 6.70 Franken, in den USA 5.36 Dollar. Der Wechselkurs ist aber nicht 1.25 sondern 0.90 Franken pro Dollar.

Daraus könnte man schliessen, dass der Franken massiv überbewertet ist und sich über die Zeit in Richtung der 1.25 Franken pro Dollar bewegen muss. Eine ähnliche Überbewertung herrscht gemäss den Big-Mac-Preisen auch gegenüber Deutschland.

Arbitrage funktioniert nur bei handelbaren Gütern

Das Problem ist, dass der Big-Mac-Index für die Anwendung der Kaufkraftparitätstheorie nicht geeignet ist. Der Burger ist zwar standardisiert und sieht in Jakarta gleich aus wie in Berlin, er ist aber nicht handelbar. An der Grenzregion können Schweizerinnen und Schweizer zum Essen nach Deutschland fahren, aber ansonsten gibt es keine Arbitrage-Möglichkeiten. Es ist nicht möglich, fertig produzierte Big Macs aus den USA in die Schweiz zu importieren. Zumindest würde niemand solche Burger essen wollen. 

Aus diesem Grund wurden in Anlehnung an den Big-Mac-Index alternative Preisvergleichsindizes erfunden. Etwa der Mini-Mac-Index, der den Preis eines Mini-iPads von Apple als Massstab nimmt, oder der Billy-Index, der sich auf das klassische Ikea-Gestell bezieht. Doch die Forschung hat gezeigt, dass auch bessere Indikatoren zum Vergleich des Preisniveaus die These der absoluten Kaufkraftparität nicht stützen. Zu hoch sind die Transportkosten und Zölle, zu verschieden die Konsumgewohnheiten in den einzelnen Ländern.

Auf die relative Preisänderung kommt es an

Und so fokussiert die Wissenschaft stärker auf die sogenannte relative Kaufkraftparität. Sie besagt, dass der Wechselkurs nicht das Preisniveau der beiden Länder spiegelt, sondern bloss deren unterschiedliche Entwicklung. Ist die Inflation in Deutschland höher als in der Schweiz, wird der Euro zum Franken schwächer.

Natürlich gilt das nicht immer, denn es gibt noch andere Einflussfaktoren auf Wechselkurse, wie die Zinsen oder externe Schocks. In der Forschung besteht jedoch ein Konsens, dass die relative KKP zumindest langfristig Bestand hat, dass also die Währungen nach einer gewissen Zeit zu jenem Wechselkurs zurückkehren, der die Inflationsdifferenzen spiegelt.

Der Euro-Franken-Kurs ist ein gutes Beispiel zur Illustration der relativen Kaufkraftparität. Seit Einführung des Euro als Bargeldwährung im Januar 2002 sind die Verbraucherpreise in der Euro-Zone über 50 Prozent gestiegen, in der Schweiz betrug die kumulierte Preissteigerung nur rund 13 Prozent. In der gleichen Zeit hat sich der Euro um 40 Prozent zum Franken abgewertet.

Mithilfe der Inflationsraten lässt sich auch ein fiktiver, theoretischer Wechselkurs darstellen. Es ist der faire Kurs – oder der Gleichgewichtskurs –, bei dem die relative Kaufkraftparität erfüllt ist.

Das Problem mit dem Referenzpunkt

Da sich die relative Kaufkraftparität auf die Entwicklung der Preise bezieht, sagt sie nichts über das Niveau der Kaufkraft aus. Um zu beurteilen, ob die Währung über- oder unterbewertet ist, muss man eine Annahme dazu machen, bei welchem früheren Niveau der Wechselkurs fair war. Es braucht also einen Anfangspunkt. Man nennt es auch das Problem des Referenzpunkts.

Oft wird dafür ein historischer Mittelwert verwendet. In diesem Beitrag setzen wir einfachheitshalber den Anfangspunkt auf den Januar 2002. Wir unterstellen damit, dass bei der Einführung des Euro keine Unter- oder Überbewertung herrschte.

Gemäss diesem Modell läge der faire Euro-Wechselkurs heute etwas über der Parität bei 1.06 Franken pro Euro. Der Franken wäre demnach überbewertet, aber nicht dramatisch. Natürlich ändert sich das Resultat, wenn ein anderer Anfangspunkt gewählt wird. Auch die Wahl der Preisindizes spielt eine Rolle.

Punktlandung mit den Produzentenpreisen

Viele Ökonominnen und Ökonomen bevorzugen die Produzentenpreise, weil in den Konsumentenpreisen viele nicht handelbare Güter und vor allem Dienstleistungen enthalten sind. Für den Zeitraum von 2002 bis heute ist das Ergebnis aber recht ähnlich. Denn auch die Produzentenpreise sind in Deutschland – für die gesamte Währungsunion gibt es diese nicht – viel schneller gestiegen als in der Schweiz, wo sie über mehrere Jahre sogar gesunken sind.

Gemäss dieser relativen Entwicklung müsste der Euro bei der Parität liegen. Oder anders gesagt: Unter Berücksichtigung der Produzentenpreisinflation ist der Franken fair bewertet.

Die gleichen Überlegungen stecken hinter den sogenannten realen Wechselkursen. Statt dem effektiven Wechselkurs einen theoretisch fairen Kurs gegenüberzustellen, wird der effektive Wechselkurs um die Inflationsdifferenz bereinigt. Ein Beispiel dafür sind die realen Wechselkursindizes, die die SNB berechnet. Die Zeitreihe ist indexiert auf 100 per Ende 2000.

Diese Darstellung sieht schön aus: Die Frankenstärke spiegelt die Inflationsdifferenz, real ist seit der Euro-Krise 2011 nicht mehr viel passiert. Seit dem Franken-Schock von 2015, als die Nationalbank den Mindestkurs von 1.20 aufhob, hat sich der Franken sogar real leicht abgewertet.

Deshalb ist es um die nominelle Frankenstärke so ruhig geworden. Zuletzt war die Nationalbank sogar bereit, Devisenreserven zu verkaufen, was den Franken eher stützt. Die Angst vor der Überbewertung ist verflogen. 

rop
Peter RohnerMehr erfahren