Familienunternehmen: Die wahren Börsenstars

Es war im Frühjahr vor einem Jahr. Aus heiterem Himmel hatte Andre Hofmann, Vizepräsident des Verwaltungsrats von Roche, einem Eins-zu-Eins Meeting mit Anick Baud zugestimmt. Die Fondsmanagerin, 47, staunte nicht schlecht. Das sonst so öffentlichkeitsscheue Mitglied der Eigentümerfamilie nahm sich eine Stunde lang Zeit, um via Zoom Rede und Antwort für alle Anliegen und Fragen zu stehen, die sie hatte. Zu jenem Zeitpunkt hatte die Pandemie ihren Höhepunkt erreicht, Roche war gerade dabei, einen Schnelltest zur Feststellung des Corona-Virus zu lancieren, und auch sonst dürfte André Hoffmann wohl kaum unterbeschäftigt gewesen sein. Dennoch nahm er sich Zeit für ein Meeting, mit einem vergleichsweise «kleinen Fisch» im Investoren-Teich. Das Anlagevolumen von Anick Bauds Fonds liegt bei 100 Millionen, während ansonsten Milliarden-Schwergewichte aus den USA bei Roche anklopfen. Ein Gespräch, in dem André Hoffmann seine Verbundenheit mit Roche zum Ausdruck brachte – und sein langfristiges Engagement. Richtig liegen«Ich hörte aus dem Meeting heraus, wie wichtige es André Hofmann ist, die Majorität bei Roche zu behalten und die Familientradition weiter zu führen», erinnert sich Anick Baud. «Das ist gut für das Unternehmen. Denn gerade bei Pharmafirmen ist es wichtig, langfristig zu handeln, in Forschung und Entwicklung zu investieren. Dafür braucht es oft einen langen Schnauf, den eine Familie im Hintergrund mitbringt.» Es bestätigte ihr, mit ihrem Investment in Roche richtig zu liegen. Wie mit dem Fokus auf eigentümergeführte Unternehmen, auf den sich ihr Fonds konzentriert. Der Swiss Family Enterprises von Bruellan erzielte seit Auflegung im Mai 2020 eine Rendite von 55 Prozent – im Vergleich zu 32 Prozent, den der Benchmark SPI einfuhr. Bevor sich Anick Baud auf Familienunternehmen konzentrierte, managte sie einen Small- und Midcap-Fonds für die Genfer Kantonalbank. Einige Unternehmen in ihrem Fonds erzielten stets bessere Ergebnisse als andere. «Irgendwann stellte ich mir die Frage, was das verbindende Element jener Firmen war, die ausserordentlich gute Ergebnisse erzielten.» Schliesslich erkannte sie, dass es Unternehmen waren, die in den Händen einer Familie lagen. So wie es bei Roche bis heute der Fall ist. 1896 wurde der Pharmakonzern von Andre Hoffmanns Urgrossvater, Fritz Hoffmann-La Roche, gegründet. Mittlerweile ist die 4. Generation am Ruder, wenn auch nicht mehr operativ. Den langfristigen Fokus der Familie bestätigte André Hofmann erneut anlässlich des 125-Jahr Jubiläums von Roche: «Wir stehen zwar unter der Aufsicht jedes Investors weltweit, sind aber auch in der Lage, langfristige Entscheidungen zu treffen, weil wir die Stimmenmehrheit haben. So werden die Entscheidungen, die das Unternehmen heute trifft, wahrscheinlich auch die fünfte und sechste Generation beeinflussen. Das unternehmerische Denken muss generationenübergreifend stattfinden. Das unterscheidet uns von Unternehmen, die nicht in Familienbesitz sind.» Mit dem Familien-Clans im Rücken reitet der Basler Pharmagigant seit geraumer Zeit auf einer Erfolgswelle. Dass es auch anders laufen kann, zeigt sich am Beispiel von Konkurrent Novartis. Mit einem Anteil von drei Prozent hat die Gründerfamilie bei Novartis nichts mehr mitzureden. Und während Roche an der Börse glänzt, hinkt Novartis der Lokalkonkurrenz hinterher. In den vergangenen sechs Monaten erzielte Roche eine Performance von 25 Prozent, während der Rivale 2 Prozent einbüsste. Auch der Drei-Jahres Vergleich spricht Bände. Roche legte um 50 Prozent zu, Novartis steht am gleichen Punkt wie vor drei Jahren. 90 Prozent der Schweizer Unternehmen sind gemäss einer PWC-Studie Familienunternehmen. Sie sind das Rückgrad der Schweizer Wirtschaft. Und sie sind gut für Anleger. Das zeigte sich zumindest in der Vergangenheit. Familienunternehmen erzielten gegenüber Nicht-Familienunternehmen eine anhaltende Mehrrendite. Effekt vor allem in EuropaZu diesem Ergebnis kamen gleich mehrere Studien des Credit Suisse Research Institutes. Anhand der eigenen Datenbank wurde für die Studie mit dem schönen Namen «Credit Suisse Family 1000, Post the Pandemic» über 1000 börsenkotierte Familien- und Gründerunternehmen untersucht. Die Ergebnisse zeigten, dass Familienunternehmen seit 2006 im Schnitt 3,7 Prozent besser performten als Nicht-Familienunternehmen. Am deutlichsten war die Outperformance in Europa und Asien mit 4,7 beziehungsweise mehr als 5 Prozent pro Jahr. «Wir haben bei Familienunternehmen ein regelmässiges Muster einer stabilen und besseren Entwicklung der Profitabilität sowie von Renditen für alle Aktionäre festgestellt» sagt Studienleiter Imran Javaid. Was aber machen Familienunternehmen tatsächlich besser? Dynamik, Innovation, Aufbruch, sind nicht genau die Werte, die man auf den ersten Blick mit Familienunternehmen verbindet. Gerade wenn man in die USA blickt, erscheinen die Unternehmer dort oft ein vielfaches dynamischer. Doch der Anschein trügt. Scheinbar altmodische Qualitäten, konservative Werte, die Familienunternehmen gerade im deutschsprachigen Raum auszeichnen, und die nicht so spannend wirken, zahlen sich langfristig gesehen aus. Birgitte Olsen, 55, Fondsmanagerin bei Bellevue Asset Management, analysiert seit mehr als 30 Jahren Familienunternehmen und kommt zu dem Fazit: «Eine tiefe Verschuldung, ein langfristiges Engagement, ein vorausschauende Denken das nicht in Ein- Jahres, sondern 10- oder 20-Jahresperioden mündet, bringen Familienunternehmen den Erfolg.» Familienunternehmer arbeiteten in den meisten Fällen für ihre Enkel. Sie wissen, dass sie oder ihre Kinder, und nicht der nächste Manager, Krisen auslöffeln müssen. Investitionen sind darauf ausgerichtet, das Unternehmen stärker an die nächsten Generationen weiterzugeben. Gerade wenn es um Finanzen geht, zeichnet die meisten ein konservatives Denken aus, das bei traditionellen Managern seltener zu finden ist. «Als ich in den 1990er Jahren als Analystin begann», erzählt Fondsmanagerin Birgitte Olsen, «ging man davon aus, dass die Finanzen eines Unternehmens nicht optimal sind, wenn es zu wenig Schulden hat. Die vergangenen Krisen zeigten uns, dass dieses Denken falsch ist. Gerade während der Finanzkrise 2008 und auch während der Corona Krise überlebten in erster Linie jene Unternehmen die eine komfortable Kapitalausstattung hatten. Zudem konnten diese in neue Märkte und Innovationen investieren.» Birgitte Olsen verantwortet bei Bellevue Asset Management gleich vier Familienfonds, zwei auf Europa fokussiert, zwei auf Schweizer Unternehmen. Der auf die Schweiz konzentrierte Bellevue Entrepreneur Switzerland erzielte in den vergangenen 12 Monaten eine Rendite von 39 Prozent. Im Vergleich dazu erzielte der Benchmark SPI 25 Prozent. Unterstützt wird sie von zwei Analysten, allesamt Stock Picker, die in erster Linie auf der Suche nach Unternehmen mit Wachstumspotential sind, die nicht so stark im Fokus der Öffentlichkeit stehen. Wie bei den meisten Fonds, die auf Familienunternehmen spezialisiert sind, müssen mindestens 20 Prozent der Stimmrechte eines Unternehmens beim Eigentümer liegen. Was nicht nach viel klingt. Doch in der Schweiz reicht ein Stimmrechtsanteil von 20 Prozent, um im Verwaltungsrat die eigenen Interessen durch zu setzen. Birgitte Olsen ist von Familienunternehmen überzeugt. Aus dem einfachen Grund: «Ein Unternehmer hat immer einen Plan. Auch in der tiefsten Krise. Familienunternehmer legen Wert auf solide Bilanzen, das gibt ihnen gerade in einer Krise Stabilität und einen ruhigen Kopf.» Und in Zukunft? «Selbst wenn die Zinsen erhöht werden sollten, werden Familienunternehmen gut abschneiden». Auch wenn diese nach aussen hin manchmal etwas anderes kommunizieren würden. «Die meisten Eigentümer-Chefs sind sehr weitsichtig, machen das, was sie ankündigen.» Doch gerade wenn es darum ginge, eine präzise Guidance für die Zukunft zu geben, hätten manche ihre Eigenheiten, die man kennen müsse. «Es gibt solche, die tendenziell zu konservativ in ihrem Ausblick sind. Stets sind die Zahlen besser, als ihre eigenen Prognosen.» Es sei ihr Job sich darüber Gedanken zu machen, wie Unternehmer ticken, wer zu konservativ, zu pessimistisch oder gar zu optimistisch sei. «Ich habe in meiner täglichen Arbeit mit vielen interessanten Persönlichkeiten zu tun, und ich kann sagen, es sind alles Überzeugungstäter.» Überzeugungstäter, die es richtig zu lesen gelte.