Yen schwächelt: Warum Japan kein sicherer Hafen mehr ist

Neben dem Schweizer Franken galt der Yen als ultimative Fluchtwährung in Krisenzeiten. Doch 2022 ist das anders: Im Zuge des Krieges in der Ukraine hat der Yen gegenüber den anderen wichtigen Währungen wie Dollar, Euro und Franken verloren. Ende März erreichte der Yen kurzzeitig die Marke von 125 pro Dollar – und war damit so wenig wert wie letztmals vor sieben Jahren. Japan «Lost Its Mojo» als «äusserster sicherer Hafen», titelte die Wirtschaftsagentur Bloomberg in Anspielung auf den Austin-Powers-Film. Wie konnte das passieren? Wachsende Zinsdifferenz Der Grund für die geringere Attraktivität des Yen gegenüber anderen Währungen ist die wachsende Zinsdifferenz. Nachdem in der Pandemie die meisten Zentralbanken – darunter die US-Notenbank Fed – die Leitzinsen nahe null hatten, kommt es in diesem Jahr angesichts der zu hohen Inflation zu Zinserhöhungen. Die Bank of England und die Fed haben vorgelegt, die EZB verringert zumindest die Anleihenkäufe, um einer möglichen Zinserhöhung den Weg zu bereiten, und auch in der Schweiz mehren sich die Stimmen, dass die Nationalbank von ihrem Negativzins von minus 0,75 Prozent wegkommen müsse. Ganz anders sieht die Stimmungslage bei Haruhiko Kuroda, dem Chef der Bank of Japan, aus. Ein schwächerer Yen ist für ihn kein Problem, wenn damit die «deflationäre Denkweise» der Bevölkerung überwunden werden kann. Dabei räumte Kuroda bereits Ende Dezember ein, die Abwertung könne sich «durch Preissteigerungen zunehmend negativ auf die Haushaltseinkommen auswirken». Kein Exportchampion mehr Selbstverständlich profitieren Japans Exporteure vom schwachen Yen. Doch im Februar wies das Land im siebten Monat in Folge ein Handelsdefizit auf. Gleichzeitig scheinen die steigenden Preise die Konsumentinnen und Konsumenten abzuschrecken. In einer Umfrage sagten 85 Prozent der Befragten, dass die höheren Preise für Benzin und Güter des täglichen Bedarfs ihren Lebensstandard beeinträchtigten, wie Bloomberg berichtete. Trotzdem ist eine Zinserhöhung beinahe ausgeschlossen. Selbst wenn die Schwäche des Yen aus Sicht der Zentralbank problematisch werden würde, wären ihr die Hände gebunden. Nur mit Zinsen nahe null ist die japanische Staatsverschuldung von 266 Prozent des Bruttoninlandprodukts einigermassen tragbar. Wie ernst es der Bank of Japan mit dem Kampf gegen höhere Zinsen ist, zeigte sich vor zwei Wochen: Um die Rendite der zehnjährigen Staatsanleihen unter der roten Linie von 0,25 Prozent zu halten, verkündete die Zentralbank am Montag unlimitierte Anleihenkäufe für einen Tag und – als die Spekulation weiterging – weitere Käufe in den folgenden drei Tagen. Bubble Economy Die Episode ist vor dem Hintergrund der verlorenen Dekaden zu sehen, der langjährigen Stagnation und Deflation in Japan. Diese begann, als die sogenannte Bubble Economy im Jahr 1990 platzte. Die Vorgeschichte: In den 1980er Jahren hatte sich der Wert des Yen zum Dollar beinahe verdoppelt. Diese Wertsteigerung führte zu einem Immobilien- und Aktienboom. Zeitweise stellte, so errechnete «Die Zeit» im März 1990, Japan die zehn grössten Banken und fünfzig der hundert börsenschwersten Unternehmen der Erde. Doch dieser Reichtum hatte mit der Realität nicht mehr viel zu tun. Die Konzerne verramschten ihre Waren im Ausland und erreichten damit trotz der starken Währung rekordhohe Handelsüberschüsse. Die Erträge investierten die Firmen in Immobilien und Wertpapiere. Schon damals spielte die Zentralbank eine entscheidende Rolle. Um der Aufwertung des Yen entgegenzutreten, senkte sie den Leitzins von bis zu 9 Prozent im Jahr 1980 auf 2,5 Prozent im Jahr 1987. Als die Bank of Japan schliesslich doch die Zinsen erhöhte, um der Vermögenspreisinflation – das heisst dem ungesunden Anstieg der Aktien- und Immobilienpreise – ein Ende zu bereiten, platzte die Blase. Stagnierende Löhne Nun war das Geld nicht mehr billig oder gratis, sondern knapp und teuer geworden. Der Wert von Aktien und Immobilien fiel zusammen und die Banken sassen auf den Krediten fest. Einige Institute gingen pleite, andere wurden vom Staat gerettet. Das Wirtschaftswachstum und die Inflation brachen ein, was die Bank of Japan veranlasste, die Zinsen wieder zu senken. Damit wurde es zwar billiger, Geld aufzunehmen, doch erneut wurde das Geld nicht produktiv verwendet. Löhne und Preise stagnierten bis in die jüngste Zeit – und mit den tiefen Zinsen konnten die Regierungen ihre Konjunkturprogramme zur Überwindung der Stagnation und zuletzt der Coronavirus-Krise finanzieren. So kommt es, dass der Leitzins der Bank of Japan seit 1995 dauerhaft um die Nulllinie pendelt. Seit 2016 ist er negativ. Schrumpfende Bevölkerung In den dreissig Jahren seit dem Ende der Bubble Economy ist Japan nicht verarmt. Doch die Stagnation hat Spuren hinterlassen: Die ehemals führenden Tech-Konzerne wie Sony oder Panasonic verloren den Anschluss an Apple und Co. und viel Wert an der Börse. Der Leitindex Nikkei 225 ist bis heute nicht mehr an seinen Höchststand vom 29. Dezember 1989 herangekommen. Zu all dem kommt die gesellschaftliche Zeitbombe einer alternden und seit 2010 sogar schrumpfenden Bevölkerung. Obwohl Japan keinen besonders ausgebauten Sozialstaat hat, steigt der Anteil der Sozialausgaben am Staatshaushalt kontinuierlich an. Die Folge ist wirtschaftlicher Pessimismus. Die Japanerinnen und Japaner werden nun auch die Konsequenzen des schwächeren Yen tragen müssen. Gespenst der «Japanisierung» Japan ist in vieler Hinsicht ein wirtschaftlicher Sonderfall. Dennoch geistert das Gespenst der «Japanisierung» auch im Westen herum. Tiefe Zinsen, geringes Wachstum und Überalterung beschäftigen die meisten reichen Länder. Obwohl die Inflation in den USA und in Europa viel zu hoch ist – viel höher als im Moment noch in Japan –, sind die Zentralbanken äusserst vorsichtig. Aggressive Zinserhöhungen würden den Aufschwung der Wirtschaft abwürgen und an den Börsen für weitere Turbulenzen sorgen. Doch ewige Niedrigzinsen sind mit Blick auf Japan auch kein wünschenswertes Szenario. Mehr zum Thema: Helikoptergeld: Japans Ausweg aus der Krise Japan – oder warum Schulden nicht gleich Schulden sind

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