The great reset: Die neue Kontroverse um den «Davos Man»

Kurz vor der geplanten Eröffnung des Weltwirtschaftsforums in Davos, das diese Woche hätte stattfinden sollen, hat dessen Gründer Klaus Schwab ein weiteres Buch veröffentlicht: «The Great Narrative» folgt auf «The Great Reset» («Der grosse Umbruch») aus dem Jahr 2020. Beide Bücher hat Schwab zusammen mit dem französischen Ökonomen Thierry Malleret verfasst, und sie haben die Mission des WEF-Gründers zum Thema: Die grossen Fragen der Zeit zu benennen, damit sie die Reichen, Klugen und Mächtigen der Welt, die Schwab versammelt, angehen und lösen können. Davos musste nun ein zweites Mal wegen des Virus abgeblasen werden. Das Einzige, was stattfindet, ist eine Online-Version davon. Doch auch da versammeln sich die Mächtigsten, wie zum Beispiel der Auftritt des chinesischen Machthabers Xi Jinping oder des indischen Staatschefs Narendra Modi am Montag gezeigt hat. Den chinesischen Staatschef hat Schwab auch am Montag nicht wegen Menschenrechtsverletzungen seines Regimes ermahnt, so wenig wie vor wenigen Jahren Donald Trump, als dieser der weltweiten Zusammenarbeit, wie sie Schwab propagiert, eine deutliche Abfuhr erteilt hat. Schwabs Credo ist der «Stakeholder-Kapitalismus»Es wäre trotzdem unfair, Schwab deshalb Feigheit vorzuwerfen. Denn es widerspricht Schwabs Überzeugung, dass nur durch eine Zusammenarbeit der Mächtigsten Lösungen für die Welt gefunden werden. Wieso diese also vor den Kopf stossen? Das gilt nicht nur für Politiker. Schwabs Credo für die westliche Wirtschaft ist jenes des «Stakeholder-Kapitalismus»: Wenn alle wesentlichen Interessengruppen an den Tisch gebracht werden können, lassen sich laut Schwab die Probleme am besten lösen. Der Schwab’schen Sicht auf Davos steht eine komplett andere gegenüber: In dieser Sicht sind die vorgebrachten und dort debattierten Weltprobleme bloss Kulisse für die Mächtigsten, die in Wahrheit ihren Deals nachgehen und denen das Forum deshalb für die Erweiterung ihres Reichtums und ihrer Macht bloss eine Bühne liefert. Ebenfalls zum Start des diesjährigen virtuellen Weltwirtschaftsforums ist nun ein Buch erschienen, das diese andere Sicht von «Davos» darlegt. «Davos Man: How the Billionaires Devoured the World», heisst das Buch, das der globale Wirtschaftskorrespondent der «New York Times», Peter S. Goodman, verfasst hat. Scharfe Kritik an den Milliardären«Der Davos Mann: Wie die Milliardäre die Welt verschlingen», so die Übersetzung des bisher erst auf Englisch verfügbaren Buches, erzählt von reichen Unternehmern wie dem Gründer und CEO des Software-Giganten Salesforce Marc Benioff. Ihm, der sich und seine CEO-Kolleginnen und -Kollegen vor einem Jahr am virtuellen WEF für deren Wohltaten gelobt und seinesgleichen als «Helden des Jahres 2020» bezeichnet hat, wirft Goodman vor, das Elend der Welt nur zum Schein mindern zu wollen. In Wahrheit würden sie sogar daran verdienen. Und das gelte für die meisten der in Davos für gewöhnlich versammelten Superreichen. Als Beleg dafür führt Goodman unter anderem an, dass die Milliardäre der Welt selbst während des Pandemiejahrs 2020 insgesamt um 3,9 Billionen Dollar reicher geworden, während gleichzeitig 500 Millionen Menschen in die Armut abgestiegen seien. Wenig übrig hat Goodman auch für den von Schwab propagierten «Stakeholder-Kapitalismus». Der Autor sieht darin nicht das Bemühen der Reichsten, bessere Lösungen für die Welt zu finden. Sie würden damit vielmehr staatliche Lösungen zu verhindern versuchen. Denn solche würden die Bewegungsfreiheit der Davos-Männer und -Frauen einschränken. Dass diese Reichsten auch alles tun würden, um Steuern möglichst zu entgehen, gerade dann, wenn die Krise die Staatskassen besonders fordert, sieht Goodman als weiteren Beleg für das Täuschungsmanöver der Superreichen in Davos. Kurz: Bei Goodman erscheinen die «Davos Men» als abgehobene Klasse, deren Vorgänger bei den Räuberbaronen in den USA des 19. Jahrhunderts zu suchen sind. Diese waren gingen in die Geschichte ein, weil sie ihre Macht und ihren Reichtum durch monopolistische Praktiken, Trusts und Marktabschottung zu mehren suchten. Und noch schlimmer: Der «Davos Man» erscheint bei Goodman als eine Gefahr für die Demokratie. Wie aber lässt sich die grundverschiedene Sichtweise von WEF-Gründer Klaus Schwab mit der weit geteilten Ansicht von Peter S. Goodman zusammenbringen? Beide Sichtweisen vermögen nicht zu überzeugen. Weltrettung ist nicht der wichtigste Grund in DavosWer schon in Davos dabei war, dem wird schnell klar, dass die Rettung der Welt tatsächlich nicht der wichtigste Grund der wohl meisten Mächtigen und Reichen jeweils in Davos ist und dass Deals dort die grössere Bedeutung haben. Solche sind aber per se noch kein Verbrechen an der Menschheit und auch nicht die Ursache aller Ungerechtigkeiten. Zudem ist es für Demokratinnen und Demokraten auch gar nicht wünschbar, dass die wesentlichen Fragen unseres Schicksals den Reichen und Mächtigen überlassen werden, die sich in Davos versammeln. Auch dass die dort jeweils Versammelten sich allesamt auf Kosten des Rests der Gesellschaften verschwören, ist wenig glaubwürdig. Dafür fehlt auch den Milliardären die Übersicht über die komplexen und wenig vorhersehbaren Triebkräfte in modernen Gesellschaften, in der Wirtschaft und der Geschichte. So war im Januar 2020 das Coronavirus nur ein Randthema, das kurz darauf die ganze Welt in seinen Bann geschlagen hat. Zudem sind die Interessen der «Wef-Men» keineswegs deckungsgleich.