Am Donnerstag feierte sich die Schweizer Uhrenindustrie wieder selbst. Am Genfer Grand Prix d'Horlogerie – den Oscars der Uhrenbranche – wetteifern Marken und Uhrmacherinnen um die Trophäe der Uhr des Jahres, die Aiguille d'Or. Und um den Sieg in insgesamt 14 Kategorien. Insgesamt 84 exquisite Zeitmesser buhlten in diesem Jahr um die Gunst der Jury.

Gerade im Krisenjahr 2020 ist der Grand Prix wichtig. Weil er die Schaffenskraft der Schweizer Uhrenindustrie zeigt. Weil er vorführt, welche Handwerkskunst in den luxuriösen Stücken steckt. Weil er eine Bühne bietet für die unzähligen Talente in der Branche, die sich – entgegen dem Vorurteil – nicht vornehmlich in den Marketingabteilungen der grossen Marken tummeln, sondern an den Uhrmacher-Bänken in den oft wenig glamourösen Manufakturen.

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Die Illusion der Normalität

Der Grand Prix ist dieses Jahr aber auch deshalb wichtig, weil er die Illusion von Normalität aufrecht erhält. Selbst in einem Jahr, in dem nichts normal ist. Auch in einem Jahr, in dem viele Akteure der Branche nicht in Feierstimmung sind. Weil sie nicht wissen, ob sie nächstes Jahr um diese Jahreszeit überhaupt noch Uhren herstellen oder die Bücher bereits deponieren mussten.

Wir zeigen Ihnen nachfolgend alle 84 nominierten Uhren, nach den offiziellen 14 Kategorien geordnet in je einer Bildgalerie. In jeder Kategorie kürten wir ausserdem unseren HZ-Favoriten und vergleichen mit der tatsächlichen Entscheidung der Jury.

Wir präsentieren: die HZ-Selection

Zum Schluss schicken wir zusätzlich zehn Uhren als HZ-Selection ins Rennen. Diese Auswahl hat mit dem Grand Prix nichts zu tun, zeigt aber weitere Uhren, die uns dieses Jahr aufgefallen sind. Durch ihr Design, ihre Qualität oder eine andere Besonderheit. Selbst eine Schweizer (!) Smartwatch ist da dabei. Kurz: Es sind zehn richtig coole Uhren, von denen es aber nur neun vor die kompetenten Augen der Grand-Prix-Jury geschafft haben.

Piaget räumt ab

Beginnen wir mit der Königsklasse: Die schönste Uhr 2020 ist die «altiplano ultimate concept» von Piaget. Zweifellos eine wunderschöne Uhr, der HZ-Favorit war aber eine andere: Der «Streamliner Flyback Chronograph Automatic» von H. Moser & Cie. aus Schaffhausen. Einige schnöden über ihn, er versuche krampfhaft, die «Trophy Watches» Nautilus von Patek Philippe oder Royal Oak von Audemars Piguet nachzuahmen. Andere sehen in ihm ein Uhr, die ihresgleichen sucht, einen Instant-Klassiker. Unser Urteil: bold and beautyful. 

PIAGET ALTIPLANO ULTIMATE CONCEPT

Der Preisträger: altiplano ultimate concept von Piaget.

Quelle: ZVG

Unverkennbar Chanel

In den Kategorien beginnen wir, Ladies first, mit den Uhren für Frauen. Das war eine schwierige Kategorie. Viele Marken überfrachten ihre Uhren für Frauen mit Edelsteinen und Glitzer, welche das Design der Uhr verdecken statt zu unterstreichen. Oder sie machen die Frauenuhren so klein und zart, dass sie für starke und selbstbewusste Frauen nicht in Frage kommen. Kommt hinzu: Viele Frauen mögen schlicht die gleichen Uhren wie die Männer.

Keine der sechs nominierten Uhren in der Kategorie «Ladies'» ist in diese Fallen getappt. Der HZ-Favorit war die «Mademoiselle Privé Bouton perle» von Chanel. Weil sie nicht nur Uhr, sondern ein Schmuckstück mit einem kleinen Geheimnis ist.

Die Gewinnerin ist aber die «Miss Audrey» von Bovet 1822

Bei der zweiten Kategorie für Damenuhren, «Ladies' Complication» steht bei den meisten Nominierungen für den Grand Prix das Tourbillon im Zentrum, eine uhrmacherische Komplikation, die verhindern soll, dass die Schwerkraft der Erde die Ganggenauigkeit einer mechanischen Armbanduhr beeinflusst.

Einen klaren HZ-Favoriten gab es unter den nominierten Uhren in dieser Kategorie nicht. Zwei Zeitmesser lagen praktisch gleichauf: Erstens die «Serpenti Seduttori Tourbillon» von Bulgari: die ideale Uhr für eine grossen Auftritt auf dem roten Teppich oder einer Charity-Gala. Zweitens die «Altiplano Tourbillon» von Piaget: die richtige Uhr für eine Frau, die soeben zur Chefin eines grossen Unternehmen befördert worden ist. Als HZ-Favorit machte die Piaget das Rennen, weil sie aufgrund ihrer dezenten Eleganz auch zu einem Business-Lunch getragen werden kann. Kurz: Sie ist alltagstauglicher als die umwerfende Bulgari. 

Die Jury entschied sich dann aber für eine dritte Uhr: Die «Tourbillon Signature Mystérieuse - fleur de sel» von Charles Girardier gewann den Preis.

In der Kategorie Männer-Uhren («Men's») sind Zeitmesser nominiert, die nicht gerade massen-tauglich sind. Sie stammen meist aus kleinen, feinen Manufakturen, die sich um den Zeitgeist wenig bis gar nicht kümmern. Entsprechend finden sie auch nur ein Nischenpublikum.

Als grosser Gewinner gekürt wurde die «28SC» von Voutilainen. Klarer HZ-Favorit in dieser Kategorie war die «Octo Finissimo S Blue Dial» von Bulgari

Auch bei den Männeruhren, die über mehr uhrmacherische Raffinesse verfügen als bloss die Zeit anzuzeigen, hat sich die Jury des Grand Prix für sechs Modelle entschieden, welche auf dem Markt ein Nischendasein fristen. Für Enthusiasten zweifellos interessant, aber keine Produkte, die sich in nennenswerten Stückzahlen absetzen lassen. Luxusprodukte eben.

In der digitalen Preisverleihen wurde unter den «Men's Complication» die «Hand Made 1» von Greubel Forsey ausgezeichnet. Hz-Favorit unter den «Men's Complication» war die komplett extravagante «HM10 Bulldog Ti» von MB&F (die Buchstaben stehen für Max Büsser & Friends).

In dieser Kategorie «Iconic» buhlen grösstenteils Zeitmesser um die Gunst der Jury, welche die Gunst des Publikums – also der Kunden, die sie kaufen – bereits gewonnen haben. Wir sind hier nicht mehr in der Nische, sondern auf dem Massenmarkt, jedesfalls für Luxus-Verhältnisse. Gewonnen hat der «Aluminium Chronograph» von Bulgari. 

Um das Label HZ-Favorit abzustauben, ist dieses Modelle optisch etwas plump. Wir verleihen es in dieser Kategorie daher lieber dem «Portugieser Chronograph» von IWC. Ein absoluter Klassiker, mit dem man nichts falsch machen kann. Und obendrein für die Richemont-Marke IWC ein absoluter Long- und Bestseller.

Weiter geht es mit der Kategorie «Chronometry» und sechs aussergewöhnlichen Stücken, von denen es zum Teil nur wenige Exemplare geben wird. Wir sind also zurück in der Nische des Uhrenmarktes.

HZ-Favorit war hier die «Endeavour Cylindrical Tourbillon H. Moser X MB&F». Zweifellos nicht jedermanns Sache, aber das Resultat der Zusammenarbeit von zwei feinen Manufakturen: MB&F und H. Moser & Cie.

Den Preis abgeräumt hat aber die «FB 2RE 2» der Chronométrie Ferdinand Berthoud.

Uhren zeigen die Zeit an. Aber nicht nur. Sie stellen den Lauf der Gestirne dar, messen den Wechsel der Gezeiten, wissen, welcher Monat wieviele Tage hat und welche Jahre wieviele Tage. Mechanisch, ganz ohne mit Daten gefütterte Computer. Faszinierend. Alle sechs Uhren der Kategorie «Calendar & Astronomy» sind uhrmacherische Meisterwerke der Sonderklasse.

Das Pradikat HZ-Favorit verdient sich aber die «Overseas Perpetual Calendar Ultra-Thin Skeleton» von Vacheron Constantin. Ihr ewiger Kalender samt Mondphase duckt sich auf eine Höhe von etwas mehr als 8 Millimeter, erlaubt faszinierende Einblicke in ihr Inneres – und sorgt mit Sicherheit für Gesprächsstoff bei allen, welche die Uhr an einem Handgelenk sehen.

Die Jury sah es ähnlich und verlieh der Uhr den begehrten Preis.

In der Kategorie «Mechanical Exception» würdigt die Jury Uhren, deren Uhrmacher die ausgetretenen Pfade verlassen und neue Varianten der Konstruktion gefunden haben.

Gekürt wurde die «Récital 26 Brainstorm Chapter 2» von Bovet 1822. 

HZ-Favorit in dieser Hinsicht  war aber die «Type 2A» der belgischen Marke Ressence. Sie zeigt die Zeit nicht mit Zeigern, sondern auf ständig rotierenden Scheiben an.

Männer mögen Chronographen, also Zeitmesser mit Stoppuhr-Funktion. Die Uhren lassen sie von schnellen Runden mit einem heissen Sportwagen auf einer Rennstrecke träumen. Oder von anderen Wettbewerben, bei denen eine schnelle Zeit zu Ruhm und Ehre verhilft. Fakt ist: Für die meisten von uns sind Chronographen eine reine Spielerei. Aber eine, die optisch oft etwas hergibt.

Von den sechs Chronographen, die um die Gunst der Jury am Grand Prix buhlen, haben gleich drei das Zeug zum HZ-Favoriten. Erstens natürlich die «Top Time Limited Edition» von Breitling, die Neuauflage der legendären «Zorro» (die schwarzen Teile des Zifferblatts erinnern an die Maske des Rächers der Armen. Zweitens der fantastische «Chronograph 1» von Kurono aus Japan, ein erschwingliche Kreation des japanischen Uhrmacher-Meisters Hajime Asaoka.

Und drittens der «Streamliner Flyback Chronograph Automatic» von H. Moser & Cie. aus Schaffhausen. Einige schnöden über ihn, er versuche krampfhaft, die «Trophy Watches» Nautilus von Patek Philippe oder Royal Oak von Audemars Piguet nachzuahmen. Andere sehen in ihm ein Uhr, die ihresgleichen sucht, einen Instant-Klassiker. Unser Urteil: bold and beautyful.

Die Jury war gleicher Meinung: Der Preis geht nach Schaffhausen. 

 

Taucheruhren gehören für viele Uhrenmarken zum Kerngeschäft. Und in kaum einem anderen Segment wie in der Kategorie «Diver's» buhlen so viele Uhren darum, Rolex und seiner «Submariner» den Rang abzulaufen. Von den sechs für den Grand Prix nominierten Taucheruhren wird dieses fast unmögliche Kunststück keiner gelingen.

Klar aber ist: Der HZ-Favorit in dieser Kategorie war ohne jede Frage «9RA5 Professional Diver's 600mM» von Grand Seiko, der Edelmarke des japanischen Uhrenkonzerns Seiko.

Die Jury entschied anders. Gewonnen hat die «Superocean Automatic 48 Boutique Edition» von Breitling.

Rapper prahlen gerne damit, sie würden ihre Royal Oak «iced out» tragen, also über und über mit funkelnden Diamanten überzogen. Mit solchen Poser-Protzerein haben die Stücke in der Kategorie «Jewellery» nichts gemein. Sie alle sind das Resultat höchster Handwerkskunst im Umgang mit Edelsteinen. Sicher: Selbst für die 300 Reichsten der Schweiz und andere Superreiche dieser Welt ist der Erwerb dieser Uhren eine Investition. Also sind sie für die wenigsten überhaupt erschwinglich. Aber blosses Bewundern kostet nichts...

HZ-Favorit in dieser Kategorie war die «Limelight Gala High Jewellery Black Opal» von Piaget. Diese Uhr strotzt förmlich vor Lebensfreude.

Zum Sieger gekürt wurde aber die «Frivole Secrète watch» von Van Cleef &Arpels.

Wie in der Haute Couture gilt auch in der Haute Horlogerie: Ohne spezialisierte Kunsthandwerker, die feinste Spitzen herstellen können oder Edelsteine fassen, wären auch die grössten Marken dieser Welt nicht in der Lage, uns immer wieder aufs Neue mit ihren Kreationen zu beeindrucken. Die Bewahrung und Pflege dieser Berufe gehört zur Verantwortung der Industrie. Chanel zum Beispiel hat das längst begriffen und übernimmt jene Unternehmen, ohne die es nicht sein kann, um diese vor dem wirtschaftlichen Untergang zu bewahren. In der Uhrenindustrie allerdings ist eine solche Vertikalisierung im Interesse der gesamten Branche noch nicht weit verbreitet.

HZ-Favorit in der Kategorie «Artistic Crafts» war die «Grand Bal Plume» von Dior, bei der echte Federn das Zifferblatt schmücken.

Doch wie in der vorherigen Kategorie konnte sich Van Cleef & Arpels mit ihrer «Lady Arpels Soleil Féerique» über den Preis freuen.

In der Kategorie «Petite Aguille» bewertet die Jury Uhren in einer mittleren Preisklasse, konkret zwischen 4000 und 10'000 Franken. Selbst Smartwatches wären hier zugelassen. Allerdings hat keine der sechs nominierten Uhren smarte Funktionen eingebaut.

Zwei Uhren buhlten hier um das Prädikat HZ-Favorit. Erstens die «BR 05 Skeleton» von Bell & Ross (die Marke gehört zu Chanel). Eine unkomplizierte Sportuhr für jeden Tag. Zweitens die «Chrono Felix Panda» von Habring2 aus Österreich. Clean, sauber, bestens verarbeitet - und mit dem Twist der blauen Zeiger. 

Das Rennen machte aber die «Superocean Heritage '57 Limited Edition II» von Breitling. 

 

In der letzten offiziellen Kategorie, der «Challenge» wirft die Jury ihren gestrengen Blick auf Uhren, die im Laden weniger als 4000 Franken kosten. Und auf Marken, die Kennern zwar ein Begriff sein mögen, aber noch längst nicht etabliert sind. Klarer HZ-Favorit hier war die «Black Bay Fifty-Eight» von Tudor.

Die Schwestermarke von Rolex hat sich längst von ihrem zweifelhaften Ruf «Rolex für Arme» etabliert. Heute müsste man eher sagen: «Tudor ist die Rolex für Clevere». Mit einer Tudor kann man zwar schlecht angeben, zeigt sich aber als Kenner, der weiss, dass er Rolex-Qualität zum Einsteiger-Preis bekommt.

Tatsächlich entschied sich auch die Jury für die «Black Bay Fifty-Eight».

Die letzte Kategorie – last but not least – nimmt nicht am Grand Prix in Genf teil. Sie läuft ausser Konkurrenz. Mit der «HZ Selection» wollen wir schlicht zehn aussergewöhnliche Uhren zeigen, die im Jahr 2020 unsere Aufmerksamkeit auf sich gezogen haben – aus ganz unterschiedlichen Gründen.

Da gibt es zum Beispiel die äusserlich längst bekannte «Aquis» von Oris, ein Klassiker unter den Taucheruhren. Doch innerlich ist die «Aquis Date Calibre 400» etwas besonderes. In ihr tickt ein komplett bei Oris entwickeltes Werk mit antimagnetischen Eigenschaften, einer fantastischen Gangreserve und einer zehnjährigen Garantie.

Oder da ist die «Big Bold Checkpoint Blue» von Swatch. Cool, günstig, Swiss Made. Oder die rote «L3» von Maurice de Mauriac: eine Uhr, wie keine andere vor ihr, obwohl das bestehende Modell bloss mit einem rot gefärbtem Saphirglas ausgestattet wurde. Oder die «PSR» von Hamilton, mit Sicherheit die schönste Digitaluhr 2020, wenn nicht der letzen Jahre.

Doch die Uhr des Jahres unter den HZ-Selection-Uhren ist klar die «AlpinerX Comtesse Glacier» von Alpina, einer Schweizer Tochter des japanischen Konzerns Citizen. Alpina ist es es gelungen, eine Schweizer Smartwatch zu lancieren, die technisch nicht nur mit den Alternativen aus den USA oder Asien locker mithalten kann, sondern auch noch richtig gut aussieht – und so Frauen anspricht, die zwar smarte Funktionen wünschen, aber kein Gadget am Handgelenk haben wollen, sondern ein Schmuckstück.

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