Fifa-Chef Gianni Infantino: Der Herr der 1000 Bälle steht vor der WM in Katar im Abseits

Eigentlich ist die Macht im Fussballweltverband präzis geregelt. Die Generalsekretärin agiert als «CEO der Fifa», zuständig für die Organisation aller Wettbewerbe, worunter auch die Weltmeisterschaft in Katar fällt. So steht es in den Statuten des Verbands. Dem Präsidenten ist darin die Rolle eines Präsidenten im Verwaltungsrat einer Schweizer Firma zugedacht, zuständig für strategische Belange und die Oberaufsicht, jedenfalls nicht fürs Operative. Besuch der Generalsekretärin in Äthiopien Die Realität sieht freilich etwas anders aus: CEO Fatma Samoura ist nie in ihrem Amt angekommen, sie ist an den Rand gedrängt und nimmt undankbare Aufgaben abseits des Scheinwerferlichts wahr, wenn überhaupt. Interviews gewährt die ehemalige Diplomatin aus Senegal keine, ausgebucht. Die Fifa wird dominiert von Infantino und einer engen Entourage, zu der sein Fixer Mattias Grafström gehört, der Stellvertreter von Samoura. Grafström und Infantino kennen sich aus gemeinsamen Tagen beim europäischen Fussballverband Uefa aus Nyon. Ins dysfunktionale Konstrukt passt, dass die formelle Fifa-Chefin kurz vor WM-Kick-off in Katar durch Äthiopien tourte, wo sie das Spiel Arba Menche gegen St. George verfolgte und Nachwuchskicker mit 800 Paar Adidas-Stollenschuhen beschenkte. Trotz den Präsenten kam keine Begeisterung auf, was angesichts des Bürgerkriegs, der in der Tigray-Region im Norden des Landes tobt, kaum überrascht. Den Zwei-Tage-Besuch in einem krisengeschüttelten Land, zehn Tage vor der Weltmeisterschaft, muss Samoura als Strafaufgabe empfunden haben. Intern wird gemunkelt, die ehemalige UNO-Delegierte werde ihren Spitzenposten nach den Spielen in Katar quittieren. Infantino wäre eine Sorge los. Dieser jettet mit übervoller Agenda um den Globus. Eben war er am UNO-Gipfel in New York, wo er Staatsoberhäuptern, darunter Recep Erdogan, einen offiziellen WM-Ball überreichte. Dann tauchte er am G20-Gipfel in Bali auf und forderte während der WM eine Feuerpause in der Ukraine. Einen Plan, den er beim Lunch mit Justin Trudeau, Emmanuel Macron und Rishi Sunak besprach. Nun ist der polyglotte Walliser zurück in Katar, wo eine Sitzung die andere jagt. Es geht um die Fussball-WM, das 5-Milliarden-Kernprodukt der Fifa, es geht aber auch um die Sicherung seiner Wiederwahl, die nächstes Jahr ansteht. Infantino sei im Wahlmodus, sagt einer vor Ort.Die grosse Übersicht Das sind die wertvollsten Spieler an der Fussball-WM. Adidas neben Kühlschrankbauer Hisense Und er ist auf bestem Weg: Infantinos dritte Amtszeit ist gesichert. Die Föderationen Südamerikas, Asiens und Afrikas haben sich eben für eine weitere Amtszeit ausgesprochen. Nur die potente Uefa markiert Distanz, doch da ist viel Symbolik. Ihr Präsident Aleksander Ceferin verspürt keine Lust auf einen Wechsel; und solange er nicht nach Höherem strebt, gibts auch keinen Gegenkandidaten, der Infantino den Thron ernsthaft streitig machen könnte. Mit der gesicherten Wiederwahl hat der vielkritisierte Fifa-Präsident, der die Belastung Katar von Vorgänger Sepp Blatter erbte, eine nächste drängende Herausforderung: kommerziell wieder auf Touren zu kommen. Da steht er seit der WM in Brasilien im Gegenwind, denn grosse Marken aus dem Westen, Continental oder Johnson & Johnson, haben sich verabschiedet. Die Neuen aus Fernost hätten nie die Reputation der Ehemaligen, wird gemäkelt. Heute steht die trendige Sneeker-Marke Adidas neben Hisense, einem Kühlschrank- und Belüftungsbauer aus China.«Ein Sponsoring bei der Fussball-Weltmeisterschaft in Katar ist hinausgeworfenes Geld» Konzerne wie McDonald’s und Coca-Cola sponsern die Fussball-WM in Katar. Und handeln sich für zig Millionen an Werbedollars viele Probleme ein. Der vierte Marketingchef Was die Sponsorensuche nicht einfacher macht, sind die steten Wechsel beim Spitzenpersonal: Derzeit ist der vierte Marketing-Chef in der sechsjährigen Regentschaft des Gianni Infantino am Wirbeln. Nach seiner Präsidentenkür berief er Philippe Le Floc’h, den er von der Uefa her kannte; dieser blieb bis 2018, dann folgte Simon Thomas, der ein Jahr blieb, ihm folgte Kay Madati, ein ehemaliger Twitter- und Facebook-Manager. Er gleiste eine Kooperation mit der Online-Spieleplattform Roblox auf und verabschiedete sich nach bloss zehn Monaten. Das Micromanagement des Präsidenten, heisst es, habe ihn zur Verzweiflung getrieben. Nun sitzt mit Romy Gai der vierte auf dem heissen Stuhl. Gai ist ein alter Buddy aus Italien, gilt als Old-School-Marketeer, der bis 2006 das Marketing von Serienmeister Juventus Turin steuerte. Nun soll er den World Cup 2026 – ausgetragen in den USA, Kanada und Mexiko – gewinnmaximierend vermarkten. Zuvorderst aber muss er einen Kooperationspartner fürs boomende E-Sports-Geschäft finden, denn der alte, Electronic Arts (EA), wird demnächst bei der Fifa auschecken. Electronic Arts wird Konkurrent Im Frühling kams zum Bruch zwischen der Tech-Firma aus Kalifornien und dem Fussballweltverband, nachdem man dreissig Jahre lang perfekt kooperiert hatte. Lukrativ wars allemal, jedes Jahr kassierte der Sportverband zwischen 100 und 150 Millionen Franken für die Lizenzvergabe. Damit ist nach der Frauen-WM im Frühling 2023 Schluss, weil Infantino auf einer Verdoppelung der Lizenzabgaben auf 320 Millionen beharrte. Nach hitzigen Verhandlungen zogen die Amerikaner, die auf eine Exklusivpartnerschaft pochten und auf tieferen Lizenzgebühren, die Reissleine – zur Überraschung der Fifa-Granden. «Infantino hat sich mit EA verzockt», sagt ein Kenner der Verhältnisse. Es ist eine leise Trennung mit heftigen Folgen, denn niemand in der Welt der E-Sports hat so viel technische Expertise angesammelt wie Electronic Arts. Zudem gehen die Amerikaner nun mit der Eigenmarke EA Sports FC an den Start – ohne die Fifa, dafür mit Unterstützung der verfeindeten Uefa. Die Dealmaker von EA haben sich nicht nur die Lizenzverträge der Champions League in Europa gesichert, sondern auch die Rechte von 100 Spitzenclubs plus 130 nationalen Ligen, darunter die Premiummarken Deutsche Bundesliga, Primera Division oder Premier League. Der 52-jährige Infantino gibt sich trotz Eigentor so siegessicher wie immer. «Das einzig richtige Spiel, dasjenige mit Fifa im Namen, wird das beste für die Fussballfans sein», sagt er. Möglicherweise ist er nun mit dem Video-Firma Epic Games im Gespräch, deren Ankeraktionär, Tencent, aus China stammt. Ein nächster Schritt in Richtung Osten.«Für die FIFA steht viel auf dem Spiel» Die Fussball-WM wirft ein grelles Licht auf das Emirat. Der britische Autor John McManus hat im Inneren recherchiert.

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Herr der 1000 Bälle im Abseits

Besuch der Generalsekretärin in Äthiopien